Drei starke Geister. Alexandre Dumas

Drei starke Geister - Alexandre Dumas


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Spieles ergeben ist, und der fromme Greis, als ob Gott, dem er diente, eine Ahnung in ihm geweckt hatte, fügt hinzu, daß diese Leidenschaft zu allen Verbrechen führt. Er ahnete es nicht, der heilige Mann, daß er selbst das erste Opfer dieser Leidenschaft sein werde! Er leugnet, und wir kennen den ganzen Grund seines Besuchs bei seinem Oheim, und ist dieser Besuch nach einer zweiundzwanzigjährigen Uneinigkeit, dessen Resultat ein Mord ist, nicht ein Beweis mehr von der Schuld des Angeklagten, und ein so schwerer Beweis, daß die Anklage drei Personen auf die Bank hatte bringen sollen, auf der ich nur eine sehe? —«

      Bei den letzten Worten hatte der Staatsanwalt Jeans beide Eltern angeblickt. Aber diese waren von ihrem Kummer so niedergedrückt, daß sie mit gesenkten Köpfen und sich bei den Händen haltend in halber Betäubung da saßen und die Worte des Staatsanwalts nur wie ein verworrenes Summen hörten, das sie nicht verstanden..

      »In der That,« hob der Beamte wieder an, indem er den Aermel seiner Robe zurückzog, um seinen Bewegungen mehr Freiheit zu geben, »sammeln Sie nur Ihre Erinnerungen, denken Sie nur an die Aussagen der drei ersten Zeugen, die wir Vernommen haben: der Pfarrer von Lafou hatte bei mehreren Gelegenheiten von dem heftigen Character seines Bruders gesprochen. Was wollte denn nun dieser Neffe nach einer Feindschaft, welche zweiundzwanzig Jahre gedauert hatte? Was ist er, als der Abgesandte des Hasses? was ist er, als das Werkzeug der Rache?«

      »Ja, meine Herren Geschwornen, der Angeklagte ist schuldig; ja, Sie können ihn ohne Bedenken und ohne Gewissensbisse verurtheilen. Die Gesellschaft hat das heiligste ihrer Rechte in Ihre Hände gelegt, üben Sie es aus ohne Schwäche. Ihre Mission muß Sie über die Eindrücke des großen Haufens erheben. Hier sind Sie keine Menschen, Sie sind Gewissen! Vergessen Sie nicht, daß Gott selbst gesagt hat: Wer mit dem Schwert gesündigt hat, soll durch das Schwert umkommen!«

      Der Staatsanwalt ließ sich wieder nieder unter den Ausbrüchen der allgemeinen Bewunderung und das allgemeinen Beifalls.

      Der Vertheidiger nahm hierauf das Wort; er erzählte die Wahrheit und deßhalb ließ sich Niemand durch seine Rede überzeugen.

      Als er schwieg, drückte ihm die Frau die Hand, um ihm für die vergebliche Mühe zu danken, die er sich gegeben hatte. Es war elf Uhr Abends. Beim Scheine der Lampen, die man angezündet hatte, sah man das erhabene Gesicht des Erlösers an dem im Hintergrunde des Saales hängenden Kruzifix. Seine Augen waren zum Himmel gerichtet, mit einem Ausdruck von Seelenruhe in seinem tiefen Schmerz, als sagte er zu den Verbrechern: »Bereuet und mein himmlischer Vater wird Euch vergeben!« als sagte er zu den Schuldlosen: »Beugt den Nacken wie ich, und sterbet lächelnd, wenn man Euch verurtheilte; Ihr werdet im Himmel erhöht und die Lieblinge Gottes werden!«

      Der Präsident erhob sich und sprach mit feierlicher Stimme:

      »Die Geschworenen werden sich in das Berathungszimmer begeben. Die Eltern des Angektagten fordre ich auf, sich zu entfernen, während das Urtheil gesprochen wird.«

      Das greise Ehepaar — denn Beide waren in zwei Monaten um zwanzig Jahre gealtert — stand auf und verließ, von zwei Huissiers geführt, den Saal, nachdem sie noch einen letzten Blick voll Thränen auf ihren unglücklichen.Sohn geworfen,der ihn mit einem Lächeln erwiderte, um ihren Muth zu stärken.

      Diese Scene machte einen lebhaften Eindruck auf die Zuhörer. Während sie sich entfernten, hörten Onesimus Raynal und seine Gattin von mehreren Stimmen die Worte:

      »Die armen Leute!«

      Und sie sahen, daß Mancher sich die Thränen trocknete.

      In diesem Augenblick hätte man die Freisprechung Jeans gewünscht, denn im Grunde ist das menschliche Herz gut.

      Die Geschworenen zogen sich in das Berathungszimmer zurück.

      »Man führe den Angeklagten hinaus,« sagte der Präsident.

      Jean entfernte sich in Begleitung zweier Gensd’armen.

      Nach einer Viertelstunde traten die Geschworenen wieder ein.

      Der Obmann sprach Folgendes:

      »Auf unsre Seele und Gewissen, ja, wir erklären den Angeklagten Jean Raynal der freiwilligen, mit Vorbedacht ausgeübten Ermordung seines Oheims Valentin Raynal und dessen Dienerin Toinette Belami für schuldig.«

      »Man führe den Angeklagten wieder ein,« sagte der Präsident.

      Jean trat ein.

      »Demgemäß,,« sprach der Präsident, nachdem er und der ganze Gerichtshof, sowie die Zuhörer sich erhoben und Jeder das Haupt entblößt hatte,«.demgemäß verurtheilt das Gericht den Angeklagtem Jean Raynal, zur Strafe des Todes! — Angeklagter, haben Sie noch etwas zu sagen?«

      »Nichts, Herr Präsident,« antwortete Jean mit ruhiger Stimme, »als daß auch ich bei meiner Seele und Gewissen und bei dem Gott, der uns hört und in unsere Herzen blickt, schwöre, daß ich unschuldig bin!«

      Schweigend und tief erschüttert entfernte sich die Menge.

      Als Jeans Vater diese Verurtheilung erfuhr, verließ er die Stadt und man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Die Mutter des Verurtheilten wurde wahnsinnig.

      Einen Monat nach dieser Sitzung las man in der Sentinelle von Nimes unter dem 16. Juli:

      »Gestern hat die Hinrichtung Jean Raynals stattgefunden, dessen Prozeß unsere Leser vor ohngefähr einem Monat gelesen haben. Der Angeklagte hatte das Rechtsmittel der Cassation ergriffen, allein sie wurde verworfen und gestern Morgen wurde ihm angekündigt, daß er nur noch zwei Stunden zu leben habe. Der junge Mann weinte heiße Thränen, während er die Verwerfung seines Gesuchs vernahm; er hat dem Priester gebeichtet, der einige Minuten später in sein Gefängniß kam und der ihn nicht eher als auf dem Schaffott wieder verlassen hat. Nach seiner Beichte hat er zu dem Geistlichen gesagt:

      »—Ein so guter Christ man auch sein möge, mein Vater, so ist es doch sehr traurig, unschuldig sterben zu müssen, und besonders in meinem Alter!«

      »—Auch unser Herr Christus ist unschuldig gestorben. . .« erwiderte ihm der Priester.

      »—Ja, mein Vater, aber er büßte durch seinen Tod die Sünden der Menschen, während der meinige Niemandem nützt!«

      »Der Henker ist hierauf eingetreten, um die letzte Toilette des Verurtheilten zu machen.

      »— Wünschen Sie noch etwas, ehe Sie sterben?« fragte man diesen. r

      »— Ein Blatt Papier, eine Feder und Dinte,« antwortete er.

      »Das Verlangte wurde. ihm gebracht und er schrieb Folgendes:

      »In dem Augenblicke, wo ich sterben muß,

       »verzeihe ich Denen, die mich verurtheilt haben, denn bei

       »den Beweisen, die auf mir lasteten, würde ich an ihrer

       »Stelle das Nämliche gethan haben. Aber ich

       »schwöre nochmals, daß ich unschuldig bin an dem

       »Verbrechen, wegen dessen ich den Tod erleide,

       »und ich hoffe, daß einst die Wahrheit an den Tag

       »kommen wird, damit mein Name, so wie der meines

       »armen Vaters, welcher verschwunden, und meiner

       »unglücklichen Mutter, die in Wahnsinn verfallen ist,

       »wieder zu: Ehren komme.

      »Jean Raynal.«

      »Am 15. Juli 1825.

      »— Mein Vater, sagte der Verurtheilte hierauf zu dem Priester, ich bitte Sie, dieses Papier aufzubewahren; es enthält die Zukunft eines Unglücklichem der nur noch eine Stunde zu leben hat.«

      »Jean Raynal hat hierauf, nachdem er Speise und Trank verweigert, einen Wagen bestiegen und ist mit der größten Ruhe und Ergebenheit die Stufen des Schaffotts hinaufgegangen.

      »Zwei Minuten später war die menschliche Gerechtigkeit gesühnt.«


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