Doomscroll. Volker Fundovski
Allzeit sollten sie Zugang finden, sofern sie Interesse am Gemeinschaftsleben zeigen. Das ist alles, was er ihnen im Sinne der Freiheit sowie der misslichen Lage, die der Erwachsene den Nachkommen nicht nur während dieser windschiefen Coronazeit aufzwängt, anzubieten hat. Für individuelle Schulung und Unterrichtung seien die Eltern oder gegebenenfalls sich anderweitig an einem Bildungsmodell beteiligende Personen verantwortlich.
Gandalfs älterer Sohn hasste die Schule von Tag zu Tag mehr. Ihm war ständig schlecht und die Luft hinter dieser blöden Schnabeltüte stank nach Abflussrohr. Dafür verantwortlich war wohl sein Mundgeruch, irgendwelche Giftstoffe, die eigentlich verbraucht ausgestoßen gehören. Nicht eingefangen und wiedergekäut wie diese Scheisseluft. Es war einfach zum Kotzen, ihm ging es miserabel. Das Ganze stank gewaltig zum Himmel. Wer nur würde diese Scheiße je wegwischen? Ginge es nach ihm, so würde er einfach daheim abchillen, das Ganze sein lassen was es war - ein großer Schwindel - und alles wäre gut. Aber so leicht war das nicht. Während seine Mutter sich an der Hochschule als Dozentin verdingte, kroch sein Vater durch heimatliche Wälder, robbte durch Matsch und Scheiße. Dieser Höhlenmensch. Voll primitiv unterwegs war sein Vater. Was konnte man schon von einem Vater erwarten, der einfach abhaute, um einen auf Neandertaler zu machen? Nein, er stand einfach nicht hinter ihm. An jeden Mist glaubte er, bloß nicht an ihn. Hatte sein Vater nicht Erwartungen an ihn gerichtet, die er unmöglich erfüllen konnte? Sollte er ruhig den Wald besiedeln und sich dort als Häuptling aufspielen – egal. Solange er ihn in Ruhe ließ und da nicht mit reinzog, war ja alles gerade noch einmal so im grünen Bereich.
Seitdem sein Vater - warum auch immer - obendrein auch noch seinen Namen geändert hatte, war die Grenze des Zumutbaren eindeutig überschritten. Er war einfach komplett peinlich geworden. Ein Vater, der sich von einer Jüngerschaft Gandalf taufen ließ - den konnte man getrost für insane erklären.
Sicher, jeder ging mit der Belastung eben anders um. Während die einen auf Demos lauthals nach Außen skandierten, richteten andere sich wiederum nach Innen. Andere drehten durch, flatterten als Badman verkleidet durch die Innenstadt und boten Hilfe an wo nicht mehr zu helfen war. Sogenannte Covidioten, Rechte Raudis, Leugner, Spinner, Rechthaber, Grundgesetzbuch - sowie Gelbsockenträger, Heißkocher sowie Totschweiger, losgehetzte Kampfhunde, Antifa-Vorrechtsschreihälse, Angstgesteuerte Lämmerherden und eben Papas, welche sich selbst umtauften, in bärtige Freaks verwandelten oder eben ganz verschwanden. Gandalfs, die das herkömmlich bewohnte Territorium verließen.
Das Demokratiedemontagespektakel war also weiterhin in vollem Gange. Während privilegierte sowie abgesicherte Kreise das Ganze als eine Art elitäre Lieblingsentschleunigungstablette schluckten und eine wundersame Chance für die Menschheit in deren Einnahme sahen, wähnten sich vorweg sozial Benachteiligte bereits in der digitalen Diktatur angekommen. Zu allem Überfluss hatte obendrein auch noch in jenem unsäglichen Covidsommer der Sommerhit savage love die Charts gestürmt, was das DeSARSter nicht unbedingt abmilderte. Zumindest nicht in musikalisch geschulten Ohren. Dieses schädlich infantile Klagegejammer eines unappetitlich treudummen Kerls, der die Radiosender monatelang in Beschlag nehmen sollte und im zuckersüßen Topf angestaut brodelnder Körpersäfte wieder und wieder aufkochte, worauf das Geplärre in homöopathischer Dosis zu luftikoser Potenzlosigkeit gechaked wurde, hatte für die musische Gabe menschlichen Gesangs wohl mehr Elend und Leid hervorgerufen als Covid für die choralen Gesänge weltweiter Nationalorchester.
Überhaupt hatte die Pop-Industrie die Hirne der Heranwachsenden in den letzten Jahrzehnten derart gekapert, dass allein an dieser Stelle die materielle Eifersucht - der Neid und somit der Traum, Wunsch oder gar Wille, ebenfalls über derlei, in unzähligen Videoclips dargebotene Mittel wie etwa die üppig feilgebotenen Villen, Frauen, Autos, Poolanlagen und Reiseziele besagter Stars zu verfügen - die nächsten Hundert Jahre expansivem Wachstums trotz klimaschonender Nachhaltigkeitmusik weiterer Kanäle, gesichert sein sollte. Die Küken werden nicht das Werk des Adlers verrichten. Sie werden es sich zu besagter Zeit zu eigen machen und transformieren.
Die Ideologie der Kulturindustrie war nie unzeitgemäßer als heute. Doch unter dem Banner der Pandemie zeigt sich jetzt allzu deutlich, dass die Mitte sowieso seit jeher chronisch gelähmt war, allein schon durch den Status-Quo-Erhalt von Sicherheit und Lifestyle. Das Ende der Geschichte, das Ende der Philosophie, der Demokratie - alle möglichen Enden wurden bereits diagnostiziert und prophezeit. Warum nicht auch das Ende der Ideologie?! Die totale Verwurstung und Entfremdung sowie die zertrümmerte Aufmerksamkeit der Teilnehmenden hat womöglich das Ende der Ideologie eingeleutet. Es wird sich zeigen, ob sich die Kulturindustrie unter Einfluss dieses zersetzenden Prozesses letztlich selbst abschaffen wird.
Über was sein Vater sich nicht alles den Kopf zerbrach. Immerzu und jederzeit. Immer kam er mit der Großindustrie, den Verbrechen aller Branchen, die ihm zuwider waren, kurz: mit der ganzen falschen Welt da draußen kam er daher. Alles, was Spaß machte, führte in seinen Augen zwangsweise zur Verblödung. Handy, Internet, Videospiele, coole Muke, leckeres Essen, technischer Schnickschnack, Energiedrinks, Chips, McDonald – alles würde krank machen, krank sein, einen auszützeln, verarschen, ausnehmen und vor allem entseelen. Alles war in seinen Augen kaputt, zerstört, am Ende, gespalten, ohnmächtig und degeneriert - kurz: eben entseelt. Als Vater hatte er ihm einfach nichts anzubieten. Und tat sein Vater da nicht das Gleiche, was damals die Nazis getan hatten? Die haben das, was ihnen nicht passte, dann einfach entartet genannt und beseitigt. Nur seinem Vater würde das natürlich nicht gelingen. Er konnte ja nicht einfach sein Handy zerstören oder die Chips ins Klo schütten. Das konnte er zwar machen, war er auch oft kurz davor, so war er doch schlau genug, zu wissen, dass das auch keine Lösung ist. Also redete sein Vater eben viel über Missstände, verlor dabei den Humor und konnte echt nerven. Und jetzt war er sogar so weit gegangen, dass er sich an diesen Ort am Arsch der Heide zurückgezogen hatte, um dort einen auf Selbstversorger zu machen. Er sagte, Nachhaltigkeit sei nicht nur ein Trend. Das Wichtigste überhaupt sei es für die Zukunft des Planeten und daher müsse er sich – wenn sich schon sonst niemand darum schere - nun mal ganz darauf konzentrieren. Er hätte ihn als seinen Sohn gerne dabei gehabt, ihn von dieser Notwendigkeit überzeugt. Das selbe hatte er – nur altersgerecht und etwas abgespeckter – zu seinem kleinen Bruder gesagt. Und dann war er einfach, von heut auf morgen, verschwunden.
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