Doomscroll. Volker Fundovski
Interessen, geknüpft an das Diktat des freien Marktes. Wir selbst sind die Sau, die wir durchs Dorf treiben, bevor die nächste Sau durchgetrieben wird. Sie könnte unser Nachbar sein, ein Freund. Doch meistens erkennen wir sie nur als das was sie ist - eine echte Sau. Entfremdung von uns selbst ist das Ergebnis. Wir erkennen uns nicht.
„Außer SoLaWi und Verschwörungstheorie ist nicht viel geboten. Vielleicht sollte man doch lieber nach Schweden emigrieren. Deutscher Corona-Diktatur-Emigrant werden. Einfach nach Schweden ins Exil. Bargeld zuhause und die Privatsphäre hinter sich lassen. Die Schweden, sind sie uns nicht weit voraus!? Diese herdenimmunen Draufgänger haben aus ihren Fehlern gelernt, gehen als Helden aus der Krise hervor. Ein plötzlicher Aufhänger und Hingucker, der sonst so unscheinbare Schwede. Aber so kommen wir nicht weiter. Mittlerweile steht es einer Weltreise mit all ihren Risiken in nichts nach, von Salzburg nach Garmisch zu reisen. Grenzen, die sich täglich verschieben. Wer will denn schon nach Skandinavien auswandern um zum Musterschüler Europas zu werden,“ Gandalf legte eine bedeutungsschwere Pause ein.
„Nein, wir bilden neue Stämme. Auf alten Höfen, in neuen Nullenergie-Vierteln und Gemeinschaftszentren werden wir uns wieder finden.
Gandalf erhob sich mit theatralischer Geste aus seinem Monolog, um eine Art kabarettistische Einlage darzubieten:
„Bewundern sie auf unserem Demeter-Hof echte horntragende Kühe. Eintritt 15€, incl. Kleiner Verköstigung aus regionaler Herstellung. Greifen sie zu. Unser Automat hat 24 Stunde für sie geöffnet.“
So töne die Zukunft, erklärte Gandalf weiter, wobei seine Haltung während der dargebotenen Einlage von Wort zu Wort immer lebendiger wurde.
„Sinnstiftenden Projekten gilt es zahlungskräftig beizuwohnen. Das nennt sich Benefiz-Beitrag der passiven, institutionalisierten Gewissensbereinigung und ist jederzeit von der Steuer abzusetzen. Dabei dürsten gewiss auch diese bewussten Konsumenten nach Austausch und Zugehörigkeit. Doch gegen was sich richten, für was Partei ergreifen? War es nicht einfacher, den scheinheiligen Automaten zu füttern als sein Leben zu reformieren. Haben sie nicht Angst vor der Wahrheit, nach der nur noch ein schwindend geringer Teil der Menschen trachtet. Selbst das Ende der Philosophie haben wir eingeleitet. Doch der Mensch irrt weiter durch den luftleeren Raum seiner Freiheit. Und jetzt greift er obendrein auch noch verstört nach der Maske. Das ist die erschaffene Realität. Und in dieser Realität weiter vor der Wirklichkeit den Kopf in den Sand zu stecken, ist die größte Zumutung unserer Zeit.“
Der Apotheker war - nachdem er der Rede beiwohnend zuletzt völlig verstummt war - im Dunkel des Waldes verschwunden. Niemand fragte nach seinem Verbleib.
Die Seichtheit, die mittelmäßige Seichtheit, hinter der sich zu viele einrichten und verstecken würden, dabei gleichzeitig nach einzigartiger Individualität trachteten, sei nur ein kräftezehrender Spagat, den ein jeder für sich zu meistern habe. Mittelmaß kontra Einmaligkeit, erklärte Gandalf mittlerweile wild gestikulierend. Das sei die Spaltung in uns, die Zerreißprobe, durch uns selbst erschaffen und nur durch uns zu überwinden. Davon sei er felsenfest überzeugt.
„Stets wollen wir mehr wert sein, als wir uns selbst an Wert beimessen. Aus diesem Spannungsfeld heraus entwickeln wir all die uns umgebenden, verhärteten Machtstrukturen. Doch von diesen alten Mustern loszulassen, bedeutet gleichsam den uns tragenden Strom zuzulassen. Dieser könnte uns schließlich mit sich reißen, uns in üppigere Gärten führen, uns ertränken und heilen zugleich. Aber uns ist das Risiko um das Loslassen zu hoch. Noch siegt der neue Pioniergeist nicht über die Ohnmachtsgebundenheit, über die Angst, das Ressentiment, die scheinheilige Verliebtheit in ein untergegangenes Phantom. Ein Phantom, das nie da war, uns zu einen. Es spaltet, treibt den Keil, lässt klaffen. Wunden werden sich nicht schließen, wo permanent Druck ausgeübt wird. Die Genesung ist ein abseitiger Prozess des Innehaltens. Kein marktschreierischer Wunsch nach mehr Außenwirkung im Bezug auf die verquere eigene Geschichte und die Verstimmungen einer traumatisierten Gesellschaft. Transformation ist kein Prozess, der sich der Realität überstülpen ließe. Ein Prozess, angestoßen durch einzeln sich artspezifisch hervorhebende Exemplare, wird nicht umzusetzen sein. Ein noch so gut gemeinter, künstlich eingeleiteter Beschleunigungsprozess, der den technischen Wandel, gekoppelt an die Lösung der sozialen Frage einzuleiten vermag, kann so nicht gelingen. Vielmehr ein aus der tiefsten Seele der Notwendigkeit hervorgehender Aufschwung überdrüssiger Gefühlswelten, der, genährt durch das willentliche Zutun eines jeden einzelnen, sich bestenfalls in günstiger Konstellation zu einer positiv sozialen Umstrukturierung entlädt. Die Gefahr von Auflehnung und Gewalt ist dabei unausweichlich. Was jedoch sein muss ist eine unbedingte und unmittelbare Gewahrwerdung der Ausmaße unseres bisherigen Handelns. Eine Bewusstwerdung des Kollektivs durch Innenschau eines jeden Einzelnen ist Voraussetzung für jeden noch so geringen Erfolg.“ Eine Begegnungsstätte – so schloss er seine Rede - habe er den Neuankömmlingen bereits bereitgestellt.
Zukunftswerkstätte
In toten Hallen ist stets Sicherheit und somit das Überleben gewährleistet.
In freilebenden Herzen stirbt der Raum, der Lebensfreude spendet. Im Dialog zu bleiben ist nicht leicht. Es bedeutet Arbeit, fordert den Willen heraus. Und weiter quälen sich die Menschen durch digitale Abnabelungsräume, hinken kollektiv der KI nach, im Glauben, besser als jeh zuvor miteinander verbunden zu sein. Jeder versucht zu verstehen, jeder scheitert im Kleinen und zieht sein Teilverständnis heran zu einem Ganzen. An Schnittstellen, da wo noch vor kurzem soziale Kontakte pulsierten, herrscht heute social distancing, Theater ohne Darsteller, unterbundene Mimik, Misstrauen schiebt sich vor und zwischen uns. Dem kann man nur noch mit schonungsloser Offenheit begegnen, um der ausgeblendeten Transparenz Vorschub zu leisten. Sollten sie mich doch als eine Zumutung empfinden, sich gestört und empört fühlen durch meine rigorose Präsenz.
Was sollte ich ihnen auch sonst anbieten, als ihnen den Spiegel vorzuhalten? Das ist das einzige, was ich derzeit für sie tun kann. Sie an sich selbst, also an ihre eigenen Defizite erinnern. Gleich einem Pfarrer und Therapeuten. Was aber unternehme ich, was trage ich tatsächlich bei zu einem gesunden Miteinander und einer nachhaltigen Lebensführung? Abgesehen von der Freiheit, die ich mir einräume, zu sagen, was ich denke und der geleisteten Lohnarbeit, die meinen Energietransfer in zweifelhafte Bahnen lenkt, nicht eben viel. All die Jahre habe ich meine Lebenserfahrung allein dafür aufgebracht, mich gegen dieses expansiv auspumpende Prinzip des materiellen Wahnsinns auszusprechen. Und was war geblieben? Natürlich nichts! Wer nicht trachtet wird eben auch nicht beachtet. Jedenfalls hatte ich mich dafür entschieden, die Konsequenzen zu tragen und bei alledem mir die Freude am Leben in Aufrichtigkeit und mit gesundem Humor zu bewahren.
Was bedeutet schon Glück? Sich treu zu bleiben ist ein kleiner Wahnsinn, der in den materiellen Ruin, in ein überaus seelisches Hoch oder sogleich und direkt in den Niedergang führt. Aber soweit waren wir noch lange nicht. Er ging doch erst so richtig los, der Charaktertest für das Volk.
Auszug aus dem Gremium für Jugendarbeit am Modell der Mutterhofkultur:
Raus mit Euch Sesselfurzern. Da schicken die Kulturindustriellen Schausteller und Rapper, Euch in dem Bann Eurer Handlungsunfähigkeit zu ziehen. Sie erschaffen künstliche Action und hinterlassen Langeweile in Euch. Erzeugen Sucht. Ihr werdet zur Manövriermasse ausgebildet. Geformt und geknetet wie Teig. Selbst wenn die Rapper noch aus Dummheit und Geltungswahn hinter Gittern landen, ihr selbst keine Scheiben zertrümmert oder eben Baumhäuser baut, so wollen wir Euch eine Identität schenken, die unser Erbe an Euch sein wird...
Die Rechnung auf Kosten der Kinder zu tätigen, ist grob fahrlässig. Durch die Abkehr der jüngeren Generation von der Kulturleistung ihrer Väter, werden sich zukünftig deren Kinder schließlich von deren Abkehr abwenden, indem sie dem Nihilismus frönen. Für Gandalf bedeutet der Generationenkonflikt kein Grund zur Beunruhigung. Der handvoll Jugendlichen, die am Projekt durch die Teilnahme ihrer Eltern zwangsläufig beteiligt sind, räumt er großzügig sämtliche Freiheiten ein. Durch die Ausführung wesentlicher Pflichterfüllungen will er die jungen Menschen unter sorgsamer Vorsicht erreichen und gleichsam vor ideologischer Einflussnahme schonen. Sie unterstehen allein ihrer eigenen freiheitlichen Entfaltung. Gelegentlich stören sie mit der