Doomscroll. Volker Fundovski

Doomscroll - Volker Fundovski


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beuyssche Kunstverständnis der sozialen Plastik, kühn aus dem Innern eines jeden einzelnen in die Welt tretend, sollte die gerissenen Wunden noch heilen können, um letztlich die kollektive Seele einer an sich selbst erkrankten Gesellschaft zu balsamieren.

      Handlungsunfähigkeit. Gebe dich ihr hin. Sie nährt die Agenda der Entscheidungsträger. Nehme Corona dankbar an wie einen letzten Rettungsschirm. Vertraue deinem Herzen. Der freie Flug bietet optimale Voraussetzungen für wahre innere Einkehr. Besinne dich auf das Wesentliche. Werde unabhängig. Autark. Sei ganz du selbst. Bei Dir, individuell, mit Herz, Intellekt, Seele und Verstand. Lausche deiner inneren Stimme. Sei unabhängig. Nachhaltig. Ergiebig. Wo auch immer du bist. Jetzt.

      War inneres sowie äußeres Wachstum allein durch Verschuldung möglich? Sollte ein Unvermögen des Geistes das politische sowie spirituelle Prinzip unseres gemeinschaftlichen Beisammenseins stellen und die gegenwärtige Verschuldung tatsächlich über die Abhängigkeiten zukünftiger Generationen entscheiden?

      Kunst und Kultur bewarb sich masketragend um Hilfsfonds, ausgebreitete Rettungsschirme und ausgeschüttete Töpfe. Die Asozialen und sprachlich Verwahrlosten ätzten sich in Rage, worauf ihre Energien im Sumpf berauschender Gefühle erloschen. Und auch die Akzeptanz gegenüber des freien Diskurses stand auf der Kippe, das Ertragen der Meinung des Anderen, die Kerngrundlage demokratischer Anteilnahme und Souveränität - all das führte seinen Krieg gegen den gesunden Menschenverstand, brachte Massen junger Menschen zum Erliegen wie Coronamaßnahmen die Nation unter dem Lockdown. Wo waren nur die wahren Altruisten, Ärzte, die den hippokratischen Eid über die Moral der Gesinnungs- und Gesundheitskontrolle stellten? Füge vorerst keinen Schaden zu, solange die Diagnose unklar ist. Immerhin geht es hier um nichts weniger als um unser aller Gesundheit. Was sollten sie also tun? Was außer den Maßnahmen hatte die Epidemiologie zu bieten? Glaubt an den starken Retter. Er tut alles für eure Gesundheit, Sicherheit, euer Wohl. Er wird alles tun um euch zu retten. Auf Amazon werdet ihr bestellen, denn die Fahrt in die Innenstadt wird zu teuer und kompliziert sein. Und Schwarzfahren ist nicht drin. Bargeldlos korrekt wird es ablaufen. Und auch die Liebe zur Natur wird den obsessiven Freizeitkolonnen noch - etwa durch Trekking-Klimaschutz-Apps - abtrainiert werden. Das Parken wird zu teuer, gar unmöglich sein. Parkplätze werden renaturiert, virtuelles Wandern nachhaltig gefördert und letztlich, als klimaschonende Alternative zur zerstörerischen Echt-Tat - wie etwa ein Badeverbot im Bereich eines Brutgebietes oder schützenswerten Schilfgürtels - auf allgemeine Akzeptanz stoßen.

      Ein als Weiser getarnter Kindermensch redet zu Waisenkindern

      „Aber was sollen sie auch sonst tun? Alle krank werden und Sterben lassen? Unser höchstes Gut ist nun mal die Gesundheit. Und die wollen sie schützen,“ quasselte der mürbgewordene Medizinmann, der doch nur Apotheker war.

      „Und solange es eben keinen zuverlässigen Impfstoff gibt, gehen sie auf Nummer-Sicher. Das ist ihre Pflicht den Bürgern gegenüber.“

      Was sollte man darauf schon antworten. Da mochte er richtig liegen. Gandalf aber wusste, wie solch flacher Argumentationslinie entgegenzuwirken war: „ Ja, da gebe ich dir Recht. Wenn wir es tatsächlich mit einer lebensbedrohenden Pandemie zu tun hätten, wäre es oberstes Gebot für einen jeden von uns, die Mitmenschen vor der Ansteckung zu schützen. Es liegt jedoch keine eindeutige Übersterblichkeit vor. Sie bekämpfen, anstatt sich zu verbrüdern, das ist das eigentliche Dilemma. Ihre Abwehrhaltung gegen das Leben selbst ist ihr Problem. Hinzu gesellt sich ihr Streben nach Anerkennung, nach dem Erhalt ihres Besitzes, ihrer Bevorzugungen, ihren errichteten Machtstrukturen. Da kommen sie nicht einfach raus und laden dich ein, ein Stück von ihrem Kuchen zu naschen. Nein, sie werden alles dafür tun, dich außen vor zu lassen. Und da ist Corona ihnen die Mutter aller Dinge, wenn schon der Vater Waffenruhe genießt.“

      Der Medizinmann - wie ihn die Gemeinde augenzwinkernd nannte - schwieg nachdenklich. Bislang war der Apotheker mir nur aufgrund seines auffällig weiten Leinhemdes und des dichten lockigen Haares aufgefallen, das mich in irgend einem Moment an das dichte Geflecht von Wolle und Filz, das das Haupt meiner Exfrau zierte, erinnert hatte. Gandalf hatte des Apothekers Ängste subtil ausgestochen. Ein zustimmendes Flüstern machte die Runde.

      „Aber falls du das anders sehen solltest, bitte, ich bin ganz Ohr!“

      Der Apotheker verzog keine Miene. Sein linker Fuß wippte unruhig auf und nieder, etwa hundertzwanzig Beats in der Minute, wie ich unwillkürlich mitzählte. Seine in sich versunkene Mimik verriet sichtlichen Zweifel. Und doch wusste er das nicht direkt zu artikulieren.

      „Heißt es nicht im Zweifelsfall für den Angeklagten? Noch liegt von meiner Seite ein beachtlicher Zweifel vor und voreilig Schlüsse ziehen...“ Gandalf unterbrach ihn barsch, „Schlüsse ziehen? Wir sind mittlerweile hier, um weiter zu gehen. Um nicht in dumpfen Beschränkungen und Verordnungen unserem Schicksal ohnmächtig und fiebernd entgegen zu starren! Wir sind in Aktion getreten, verstehst du, wir geben unser Bestes, während du weiterhin mit der Agenda der Regierung kokettierst und deine theoretischen Schlüsse ziehst, die dich komplett blockieren. Bitte, versuche es erneut, schließe dich ihnen an, ziehe deine Schlüsse. Sie sind ja alle noch da. Auch die Kunden werden dir nicht so schnell ausgehen. Und grüße sie recht herzlich von mir, falls du ihnen die Beratung über die bevorstehende Impfung abschlägst – wie seitens der Regierung dem Apothekerverband empfohlen. Zwanzig Minuten Fußmarsch, eine kleine Fahrt und du bist daheim. Ich glaube, du vermisst da etwas. Du bist doch frei und kannst jederzeit gehen. Was also hält dich bei uns? Wenn du doch so arge Zweifel hast. Na dann im Zweifelsfall eben für den Angeklagten, bitte. Die milde waltende Regierung und ihre gute alte Rechtsprechung. Hierin hege ich keinerlei Zweifel - von dieser Regierung ist nichts weiter als noch größere Enttäuschung zu erwarten. Und falls mir da was entgangen sein sollte, kannst du mir das bitte berichten. Ich würde mich wirklich sehr freuen, falls es dir gelingen sollte, irgend etwas Tröstliches zu entdecken, statt nurmehr einen Hilfsfond anzuzapfen.“ Hier blickte der Apotheker kurz auf, wobei er ein zustimmendes, wenngleich etwas geknicktes Lächeln in sein hageres Gesicht zauberte.

      „In Kurzarbeit warst du ja bereits, wenn ich mich recht erinnere. Nachdem den Krankenhausapotheken die angekündigte Patientenwelle ausgeblieben war. Aber der Giftmischer ist und bleibt systemrelevant.“

      Der Apotheker schwieg entschieden. Sein Fuß jedoch wippte weiterhin - mittlerweile auf ca. 140 Schläge in der Minute angekommen. An liebsten wäre er wohl auf der Stelle aufgestanden und nie wieder zurückgekehrt. Etwas aber schien ihn davon abzuhalten, was würde ihn da draußen erwarten?

      Alles war noch da, hatte Bestand und Einfluss. Man nutzte bestehende Strukturen, ging weiter zu Arzt und Apotheker, sollten natürliche Heilverfahren nicht greifen. Alles ging seinen Weg. Parallel bildeten sich weitere ökologische Projekte, Stämme und Gegenkulturen. Nahe Immenstadt, Weiler, Niedersonthofen, Maierhöfen, regional, überregional, weltweit.

      Noch war die gute alte Idee vom Pluralismus nicht aus unseren Köpfen zu bringen.

      Das Fass brodelte. Schwankte so dahin und durchlief diverse Temperatursenkungen. Irgendwie regulierte sich die Masse an Menschen trotz ihrer Versprengung und Vielfalt wie in einem gespenstisch schleichenden Zersetzungsprozess. Noch war das Gesellschafts-Gebräu nicht gänzlich entmischt und abgelagert, noch hatten sich die Schwebstoffe nicht gesenkt. Noch lebte die Seele gemischter Verhältnisse. Und das war gut so.

      Doch wie hatte Söder gesagt: Er sei begnadeter Pluralist. Da der Pluralismus nun an seine Grenzen stoße, sei es an der Zeit, das Ganze wieder etwas zentralistischer anzugehen. Pluralistische bzw. Föderalistische Bemühungen seien ja verständliche Entwicklungen. Doch man müsse das jetzt zeitgemäß betrachten. Die Aufklärung sei schließlich nicht am Ende angelangt.

      Und wer demonstriert, der sollte dabei nicht vergessen, vielleicht auch sein Leben anzuzweifeln und gegebenenfalls auch bereit sein es zu ändern. Bei sich muss man das Drama suchen und angehen. Und Verrat sowie Denunziantentum sind keine eingeforderten Bürgerpflichten. Maßnahmen zu missachten ist in erster Linie eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat. Das Schlimmste jedoch: Anstand, Courage oder besser: die Achtsamkeit geht uns flöten. Wir erhöhen unser ach so löbliches Individuum vor dem Gegenüber, dem Nächsten.


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