Kirche im freien Fall. Cristina Fabry

Kirche im freien Fall - Cristina Fabry


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ihm ließe. Ich lasse ihn nicht. Wenn ihn niemand fragt, kommt er auch nicht auf dumme Gedanken.“

      „Aber ich hab‘ ihn schon gefragt.“, erklärte Konrad, dann verdrehte er die Augen und atmete bewusstlos seinem Ende entgegen.

      Das war dumm gelaufen, denn jetzt musste auch Till aus dem Weg geschafft werden, vermutlich war er schon im Rennen. Sie nahm ihn sich auf dieselbe Weise vor, nur erklärte sie ihm nicht warum. Sollte er doch dumm sterben. Und er starb schnell, schneller als Konrad. Doch dann saß Larissa plötzlich in Untersuchungshaft. Sie hatte kein Alibi, ein glasklares Motiv und schwache Nerven. Sie konnte sie unmöglich ihrem Schicksal überlassen und musste sich stellen.

      Nun würde sie bis ans Ende ihrer Tage im Gefängnis sitzen und den scheidenden Hannes würde sie wohl nie wieder zu Gesicht bekommen, denn mit einer Mörderin wollte er gewiss nichts zu tun haben.

      Wenigstens erhielt Larissa die Stelle der Ressortleiterin.

      Prophet

      Kiel hatte einen Auftrag. Er musste die Wahrheit aussprechen, unbedingt, jetzt sofort und gerichtet an die, die sie nicht hören wollten. Sollte er gleich bei den Schlimmsten anfangen, den Faschisten, den Steigbügelhaltern des Turbo-Kapitalismus, den Kriegstreibern und rassistischen Volksverhetzern? Aber wenn die ihn direkt zu Brei prügelten, hätte er nichts und niemanden erreicht.

      Nein, Kiel würde es umgekehrt angehen. Er würde bei denen beginnen, die fast total in Ordnung waren, vielleicht nur ein bisschen inkonsequent. Danach würde er sich mit den lokalpolitischen Mauschlern befassen, die gleichzeitig im sozialistischen Jugendverband, bürgerlicher Volkspartei und pseudo-gemeinnütziger freier Wirtschaft ihre Fäden zogen. Dann wären die mittelständischen Unternehmer dran, die jede Schweinerei mit Wettbewerbsfähigkeit rechtfertigten und danach ein paar Kandidaten im Landtag. Wenn er mit denen fertig war, kämen die Vorstände der Bundesparteien an die Reihe, zuerst die vermeintlich revolutionären, danach die bürgerlichen und am Ende die völkisch-nationalen. Und wenn er dann noch am Leben war, würde er sich die europäischen Despoten vornehmen, danach die eurasischen, dann die amerikanischen, dann käme Asien dran, danach Australien und ganz am Ende Afrika – nicht weil das etwa die Schlimmsten waren, sondern weil er glaubte, dass er von den Verhältnissen dort am allerwenigsten verstand.

      Er würde ja auch mit denen beginnen, die er noch am ehesten zu verstehen glaubte. Er ging einfach zu Carlos Geburtstagsparty. Paul war eigentlich ganz in Ordnung, auch wenn seine Perle nicht hellste Kerze auf der Torte war und nur für Schmink-Tutorials und Kochshows lebte. Paul ging malochen, kam niemandem auf die krumme Tour, trank gern einen über den Durst, dachte nicht so viel nach und klopfte gern Sprüche. Kiel legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter und sagte: „Komm Paul, lass uns mal auf die Zukunft trinken.“

      „Jau.“, sagte Paul. „Das klingt doch mal nach ‘nem guten Plan. Trinken wir darauf, dass uns auch in Zukunft das Pils nicht ausgeht. Prost.“

      „Und darauf, dass uns die Luft nicht ausgeht und die Wärme und das Licht und das Wasser und das Essen und dass alle endlich schnallen, dass das nur funktioniert, wenn wir endlich weniger Fleisch fressen, Auto fahren, einkaufen, Strom verballern und Plastik benutzen. Dass man keine Nazis wählt, muss ich dir ja zum Glück nicht erklären.“

      „Nee.“, sagte Paul. „Aber lass mich in Ruhe mit der Ökoscheiße, ich will feiern.“

      „Na gut.“, sagte Kiel. „Dann musst du wohl an deinem Schnitzel ersticken. Und deine Kinder gleich mit. Schade eigentlich. Ich fand, du warst ein prima Kerl.“

      Den Sonntag verbrachte er im Bett. Er musste Kräfte sammeln. Am Montag fuhr er mit der Straßenbahn zu den Stadtwerken. Er verlangte Pressesprecher Schumann zu sehen. Das erwies sich als schwierig, man wollte ihn mit Jakobs abspeisen, einem harmlosen Erfüllungsgehilfen, dem hatte er aber nichts zu sagen. Als er sich endlich zu Schumanns Büro hindurch gekämpft hatte, war es bereits früher Nachmittag.

      Schumann sah ihn müde an. „Kennen wir uns?“, fragte er halb abwesend.

      „Flüchtig. Von früher.“, antwortete Kiel. „Aber das ist irrelevant. Ich will nur ein paar Sätze loswerden. Mit denen können Sie dann machen was Sie wollen. Danach bin ich wieder weg. Folgendes: Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel und nicht jedes Mittel, das einem hehren Ziel dient, ist damit zu rechtfertigen. Ich wette, Sie wissen das, aber sie ignorieren es beharrlich, betrügen und lügen, dass sich die Gasleitungen biegen. Irgendwann wird Ihnen das alles um die Ohren fliegen, wenn Sie nicht umkehren. Also gehen Sie in sich und benutzen sie nicht nur ihren Verstand, sondern auch ihr Herz.“

      Kiel machte auf dem Absatz kehrt und verließ Schumanns Büro, ohne eine Reaktion abzuwarten. Er würde darüber nachdenken oder den Vorfall einfach ignorieren. Er würde sich ändern oder weitermachen wie bisher. Das hatte Kiel nicht in der Hand.

      Der Tag war noch nicht zu Ende und er beschloss, die Mittelständler vorerst in Ruhe zu lassen. Lieber gleich in die örtliche Schokoladenfabrik, die noch immer keine utz-zertifizierten Produkte lieferte, geschweige denn fair gehandelte. Doch wenn er geglaubt hatte, nur den Hauch einer Chance zu haben, zur Konzernleitung vorzudringen, hatte er sich geschnitten. Die wussten schon, warum sie sich abschotteten, denen hätte sonst schon längst jemand den Kopf gewaschen, den Hintern versohlt und die Eier rasiert. Aber so wichtig, dass sie Personenschutz erhielten, waren sie auch wieder nicht. Die Privat-Adresse der Familie hatte er längst ermittelt und so musste er sich nur an der Einfahrt auf die Lauer legen. Als Heribert keuchend vom Joggen aus dem Wald kam, stellte Kiel sich ihm unversehens in den Weg und sagte: „Sie werden jetzt zuhören, was ich Ihnen zu sagen habe. Es dauert nur eine Minute, danach können Sie damit machen was Sie wollen.“

      „Gehen Sie mir aus dem Weg Sie unverschämter Flegel!“, schnaubte Heribert und versuchte, Kiel beiseite zu schubsen. Aber Kiel war kampferprobt und willensstark und das Überraschungsmoment war auf seiner Seite. Er nahm den Unternehmer in den Schwitzkasten und sprach ruhig direkt in sein Ohr: „Auf den Plantagen Ihrer Bezugsquellen für Kakaopulver arbeiten sich Kinder zu Tode, die von ihren Eltern entführt wurden, um sie als Sklaven auszubeuten, darum ist der Rohstoff so billig. Obwohl Sie das wissen, wechseln Sie nicht den Lieferanten. An ihrer Schokolade klebt das Blut tausender Kinder, genauso wie an ihrem Vermögen. Ändern Sie das oder fahren Sie zur Hölle.“

      Er ließ Heribert los und verschwand in der Dunkelheit.

      Am Dienstag fuhr er mit der Bahn in die Landeshauptstadt. An die Politiker heranzukommen, erwies sich als unmöglich. Da musste er sich schon informieren, wann wer wo öffentlich auftrat und wenn er sich einmal einer Person unrechtmäßig genähert hätte, würde er das kein zweites Mal tun können. Also verlegte er sich auf E-Mails und Videobotschaften. Aber das konnte ja nicht funktionieren, er brauchte den unmittelbaren, menschlichen Kontakt. Nur so konnte er seine Adressaten erreichen.

      Eine Woche später lag Hoberg in seinem Blut. Etliche waren alles andere als betroffen, denn er hatte als die Reinkarnation des Bösesten aller Bösen gegolten. Aber trotz allem war es ein Mensch, der getötet worden war. Kiel hatte es nur aus einem Grund getan: damit sie ihm endlich zuhörten, damit seine Botschaft ankam, damit sie umkehrten, sich auf das besannen was wirklich wichtig war: Wahrheit, Gerechtigkeit, Mitgefühl, Barmherzigkeit, Verantwortung, das Leben und die Liebe. Dafür war ein Opfer nötig gewesen und er hatte ein Opfer gewählt, bei dem der Schmerz über den Verlust am geringsten wog.

      Sie sperrten ihn weg. Niemand hörte ihm zu. Es saßen längst zehn neue Hobergs in den Startlöchern. Das Martyrium ihres Parteifreundes hatte ihnen nur Aufwind beschert. Kiel hatte nichts erreicht. Der Schokoladenonkel rieb sich erfreut die Hände, als er sein Foto in den Nachrichten sah. Pressesprecher Schuhmann atmete erleichtert auf, dass er die Begegnung unbeschadet überlebt hatte.

      Paul aß heute Margherita. Er hatte nicht mehr so viel Zeit im Internet zu shoppen, weil er seit neuestem mit der Straßenbahn zur Arbeit fuhr. Seine Frau war angenervt, aber sie würde sich schon daran gewöhnen, genauso wie Paul sich ihrer neuesten Leidenschaft beugte: Gepa-Schokolade.


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