Gertrud. Luise Reinhardt

Gertrud - Luise Reinhardt


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im gewöhnlichen Speisesaal ein Vesperbrot einzunehmen.

      Der Vorschlag wurde genehmigt. Man verfügte sich in den Speisesaal, der zu ebener Erde im nördlichen Flügel lag, und die jungen Fräulein ließen es sich angelegen sein, mit tausend schmeichelhaften Aufmerksamkeiten das Herz des ›ungebetenen Gastes‹,wie Gellert sich scherzhaft immer aufstellte, zu erfreuen. Besonders war es hier Gertrud, die mit ganz besonderem Treffer auf passende Bemerkungen die Fabeln des Dichters rezitierte und durch ihre komischen Nutzanwendungen die Gesellschaft zum Lachen und den Professor zum Lächeln brachte.

      Frau von Pröhl, nach Mentorart, glaubte endlich dem übermütigen Treiben ihrer Pflegetochter ein Ziel setzen zu müssen. Gellert bemerkte den Wink, der dazu dienen sollte.

      »Missgönnen Sie dem armen Autor das Vergnügen, seine Dichtungen selbst vom Kindessinne richtig verstanden zu sehen, meine Gnädige? « fragte er mit sanfter Stimme.

      Als Frau von Pröhl ihn schweigend, aber deutlich fragend anblickte, fuhr er fort:

      »Sie meinen, des Kindes Freude an meinen Werken könne mir nicht genügen? O, wie irren Sie sich in den Gefühlen des Dichters. Der Beifall ist unser schönstes Glück! Schon die zufriedene Miene eines Lesers wird uns eine Belohnung, und unser stolzestes Verlangen erfüllt sich, wenn wir mit unsern Ideen das Gemüt erweichen und erwecken. Sehen Sie das strahlende Auge meiner kleinen Freundin – glänzt es nicht von dem Bewusstsein so hell, dass es ihr gelungen ist, mir ihren Beifall kundzutun? Dieser belebte und glänzende Blick ist mir das schönsteApplaudissement

      Sie lächeln über die Eitelkeit des Dichters.

      Frau von Pröhl horchte gerührt auf ihres Freundes Erklärung. Seine sprichwörtlich gewordene Bescheidenheit machte es fast unmöglich, ihm irgendeine Verherrlichung angedeihen zu lassen; umso lieber musste es ihr sein, dass er diese Befriedigung bei so geringer Anerkennung zeigte.

      »Warum aber, mein hochverehrter Freund, entziehen Sie sich so beharrlich jeder öffentlichen Auszeichnung, wenn es Ihnen doch Vergnügen bereitet, sich anerkannt zu sehen?« fragte sie herzlich.

      »Weil die Auszeichnung sehr oft mit kaltem Herzen vorbereitet wird, und derjenige, der sie in Anregung brachte, mehr sein liebes Ich dabei ins Licht des Ruhmes setzen will, als den, welchen er auf das Piedestal der Öffentlichkeit zu stellen Miene macht.«

      »Es mag sein, dass Sie Recht haben,« meinte sie nachdenkend, »aber von den meisten Menschen wird Ihre Bescheidenheit als eine Nichtbeachtung beurteilt.«

      Gertrud störte dies Gespräch. Mit dem ihr eigenen Ungestüm trat sie auf beide zu, zeigte rückwärts mit der Hand und flüsterte:

      »Mama – sehen Sie Margareth!«

      Frau von Pröhl folgte ihrer Weisung, und erblickte das schöne Mädchen in einer tiefen Versunkenheit, totenbleich von innerlich nervösen Aufregungen unweit der Tür stehen, bereit das Zimmer zu verlassen und von innerm Widerstreben zurückgehalten.

      »Sie fürchtet sich,« flüsterte Gertrud, und Frau von Pröhl musste sich zugestehen, dass ihre Stellung gar nicht anders gedeutet werden konnte. »Sie fürchtet sich,« wiederholte das junge Fräulein mitleidig nochmals. »Könnte ich für sie hinaufgehen zu der königlich-kaiserlich stolzen Dame, ich würde ihr besser gegenüber stehen!«

      »Meinen Sie, liebes Kind?« fragte Gellert freundlich. »Ihr Mut würde später sinken, aber er sänke gewiss vor der Geistesmacht dieser Dame! «

      »O Herr Professor!« schmollte die Kleine. »Ich habe Courage! Wie sollte Frau von Wallbott es wohl anfangen, mich zur Furcht zu bringen, da ich ihre Liebe nicht wünsche und nicht besitze. Margareths Furcht liegt in der Liebe, das ist sicher!«

      Gellert tauschte einen Blick mit Frau von Pröhl, der von Lächeln und Verwunderung gemischt war.

      »Mir wird selbst ganz bange,« flüsterte die Letztere und der Professor holte tief Atem. Wusste er, was dem armen schönen Mädchen für Kämpfe bevorstanden?

      »Sie geht!« riefen sie alle drei, als Margareth plötzlich die Tür öffnete und verschwand.

      Rittberg, der mit seiner Braut kosete, und Junker Wolf, der mit dem Obersten über die Bodenkultur sprach, sahen sich um und blickten sich dann scharf und bedeutungsvoll in die Augen. Beide waren von diesem Momente an zerstreut. Gertrud aber presste ihre Hände gegen die Brust und stöhnte ganz pathetisch:

      »Ach, Mama Pröhl – wie mir mein Herz klopft! Mama, sie wird Margareth doch nichts zu Leide tun?«

      »Seien Sie unbesorgt, mein kleines mutvolles Fräulein,«„ scherzte Gellert.

      »Herr Professor, Ihre Hand darauf, dass Sie der lieben Margareth ein treuer Beistand sind, wenn die majestätische Dame ihr Herzleidzufügen sollte. – Sie müssen Margareths Ritter werden!« befahl sie komisch ernsthaft.

      Gellert reichte ihr die Rechte.

      »Hier meine Hand zum Pfande, kleine Freundin!«

      »Ich werde Sie an dies Wort mahnen!« sprach sie mit Pathos und ging zu Elvire.

      Frau von Pröhl schwieg eine lange Zeit unter verschiedenartigen Gefühlen. Sie begriff nicht, wie Gertrud zu der sichtlichen Abneigung gegen Frau von Wallbott kam, da in ihrem Familienzirkel von dieser ausgezeichneten Frau nur mit Achtung gesprochen worden war, bis am Morgen dieses Tages sich ihr Gemahl den scherzhaften Ausfall auf sie erlaubte.

      Frau von Wallbott war eine entschieden geistig imponierende Dame von einer merkwürdigen Anziehungskraft. Sie war noch immer eine schöne Frau, groß, stolz und von kleidbarer Fülle. Sie liebte es freilich, sich als erhaben über irdische Verhältnisse und irdische Urteile zu betrachten, aber davon wusste doch die kleine Gertrud nichts! Sie kokettierte auch stark mit ihrer Geistesmacht, allein auch das konnte ihre Pflegetochter nicht wissen. Worauf stützte dies junge Mädchen also ihre Furcht? Leitete sie ein Instinkt oder eine höhere Eingebung? Sie rüttelte sich gewaltsam aus ihrem Grübeln auf und fragte den Professor, der auch tief versunken gewesen war:

      »Woher schreibt sich Ihre Bekanntschaft mit Frau von Wallbott, lieber Professor?«

      »Diese Bekanntschaft ist schon vor vielen Jahren geschlossen, und späterhin durch den Umstand befestigt, dass ich sie in Frankfurt einer großen Verlegenheit ausgesetzt fand und dass ich im Stande war ihr zu helfen. Sie begleitete ihren Neffen – nicht den Herrn von Rittberg, sondern den Baron Alexander von Lottum auf seinen ersten Reisen. Er war noch sehr jung, und sie hatte nicht ohne Grund Furcht, ihn allein reisen zu lassen, weil er von ihr mit jener echt weiblichen Sorgsamkeit erzogen war, die einen jungen Kavalier bei aller seiner Erziehung für alle Weltverhältnisse unbehilflich macht. Sie hatte diese Reise eben erst begonnen, als sie an einem Leiden erkrankte, das ihr jede weitere Reise unmöglich machte. Der Zufall oder Gottes Fügung brachte mich mit ihr zusammen. Ich hatte damals die Begleitung der beiden Barone von Einsiedel übernommen und wollte ziemlich dieselbe Tour machen, wie Frau von Wallbott. Natürlich erbot ich mich, den Baron Alexander als Reisegefährten mitzunehmen,


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