Verlorene Fassung. Ute Dombrowski

Verlorene Fassung - Ute Dombrowski


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das Tuch anhob, das über die Leiche gebreitet worden war.

      „Keine Angst, Jungchen“, konterte die Kommissarin, „ich schwebe förmlich herbei wie eine Elfe.“

      „Ich verbitte mir diesen Ton!“

      „Und ich erst. Komm Herrmann, erzähl uns was.“

      Dr. Hacke trat zur Seite und kramte in einem Koffer, während Herrmann sich zu Susanne hockte. Robin schaute sich die Schutzhütte an.

      „Es sieht so aus, als wäre er dort auf die Mauer gestürzt. Entweder war es ein Unfall oder jemand hat ihn gestoßen. Näheres kann ich euch nach der Obduktion sagen.“

      „Er ist groß und kräftig, also braucht man schon Kraft, den umzuschubsen.“

      „Da stimme ich dir zu, doch mit der nötigen Wut geht das, auch wenn man nicht so stark ist.“

      Susanne schluckte, denn sie wusste das aus eigener Erfahrung. Der Mann, den sie im Potsdamer Hinterhof verprügelt hatte, war auch viel größer und bulliger als sie gewesen, noch dazu bewaffnet. Aber Wut und Angst hatten ihr übermenschliche Kräfte verliehen.

      Herrmann zog das Tuch ganz herunter und zischte einmal kurz zwischen seinen Zähnen. Auch Susanne stockte. Die Hose des Mannes stand offen und man konnte ahnen, was er vorgehabt hatte.

      „Ein Stelldichein?“

      „Herrmann, sowas sagt man heutzutage nicht mehr.“

      „Was denn dann?“

      „Ein Date.“

      „Aha. Wann hattest du dein letztes Date?“

      Susanne winkte lachend ab. Ein richtiges Date hatte sie zuletzt mit Phillip gehabt, aber daran mochte sie nicht denken.

      „Vielleicht wollte sie nicht so, wie er wollte und dann hat sie ihn von sich gestoßen. Es soll ja Frauen geben, die eher auf eine Beziehung aus sind.“

      „Dr. Hacke, haben Sie schon eine Brieftasche oder so etwas gefunden?“

      „Nein, ich habe ihn noch nicht angefasst.“

      Herrmann durchsuchte sein Jackett und holte eine dicke braune Brieftasche heraus. Er roch daran.

      „Das ist echtes Leder, ein teures Stück.“

      Er öffnete sie und sah einen dicken Stapel Geldscheine, dazu mehrere Kreditkarten. Also war es kein Raub.

      „Na prima“, sagte Robin, der zu ihnen getreten war, „das hätte es einfacher gemacht. Wer ist er?“

      Herrmann holte den Ausweis hervor und las: „Fabian Tschötz. Wohnt in Eltville. Schau selbst!“

      Robin sah den Ausweis an und erklärte, dass sie jetzt zu der Adresse fahren würden, während Susanne aufstand und ihm zum Auto folgte. Sie sahen sich über das Dach hinweg an.

      „Was ist, wenn er Frau und Kinder hat?“

      „Das sehen wir dann. Ich hoffe, er ist ledig. Hast du die offene Hose gesehen?“

      „Ja, denkst du, er trifft sich mit seiner Ehefrau zum Vögeln in den Weinbergen?“

      „Eher nicht“, sagte Robin, „darum hoffe ich auch, dass er nur pinkeln wollte und dabei gestolpert ist.“

      „Du bist ein hoffnungsloser Romantiker.“

      „Na einer muss es ja sein.“

      Susanne verdrehte die Augen und stieg ein. Als Robin sich neben sie auf den Beifahrersitz fallen ließ, sah er seine Kollegin düster an.

      „Mal im Ernst: Ich hasse es, Todesnachrichten zu überbringen, aber wenn Kinder davon betroffen sind, ist es doppelt so schlimm.“

      „Da wird mir auch immer ganz mulmig.“

      Sie parkten vor einem großzügigen Einfamilienhaus und sahen einen gepflegten Garten mit unzählbar vielen Tulpen, die in allen Farben strahlten. Hier hatte jemand ein Händchen für die Natur. Vor der Haustür stand ein pinkfarbenes Mädchenfahrrad und Susanne hatte sofort einen Kloß im Hals. Die Sonne schien wie zum Hohn, als sie klingelten.

      Eine Frau Anfang dreißig öffnete die Tür und lächelte. Sie war trotz altmodischer Kittelschürze über dem eleganten Kleid umwerfend schön.

      „Ja bitte?“

      „Frau Tschötz?“

      „Ja. Wer sind Sie und wie kann ich Ihnen helfen?“

      „Ich bin Robin Hinschler, das ist meine Kollegin Susanne Wescham, wir sind von der Kriminalpolizei. Dürfen wir reinkommen?“

      Die Frau hatte die Augen aufgerissen und zeigte mit einer fahrigen Bewegung ins Innere des Hauses. Susanne entdeckte die große Wohnküche und ging voran.

      Mandy Tschötz zog die Schürze aus und bot den beiden einen Platz an. Sie setzten sich und Susanne beobachtete, wie ihr Gegenüber die Hände knetete, bis die Knöchel weiß hervortraten.

      „Ist meinem Mann etwas zugestoßen? Hatte er einen Unfall?“

      Robin fragte: „Heißt Ihr Mann Fabian?“

      Die Frau nickte.

      „Ich bin Mandy.“

      „Haben Sie ein Foto von ihm?“

      Sie nickte abermals und nahm mit zitternden Händen ihr Handy vom Tisch. Dann zeigte sie den Kommissaren ein Bild des Mannes, der tot in den Weinbergen gelegen hatte.

      „Frau Tschötz, wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihren Mann heute Morgen tot aufgefunden haben. Es tut uns sehr leid.“

      Ein Schauer lief Susanne über den Rücken, als Mandy Tschötz den Kopf auf ihre Hände legte und still weinte. Ihre Schultern bebten heftig.

      Susanne berührte sie sanft, da richtete sich Mandy wieder auf und wischte die Tränen ab.

      „War es ein Unfall?“

      „Das wissen wir noch nicht.“

      „Wie ist er gestorben?“

      „Durch einen Sturz.“

      „Also kann es ein Unfall gewesen sein?“

      „Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?“

      „Gestern Abend um sieben. Er wollte nochmal in die Praxis und heute früh war er wohl schon weg.“

      Susanne und Robin sahen sich an.

      „Was ist das für eine Praxis?“

      „Fabian ist … war Schönheitschirurg.“

      Aha, dachte Susanne, daher der Luxus um sie herum. Sie hatte sich umgesehen und das Innere dieser Küche bewundert, die mit allem ausgestattet war, was sich eine Hausfrau nur wünschen konnte, aber sie würde diesen Raum niemals gegen ihre kleine Küche eintauschen, die Wärme und Geborgenheit vereinte.

      „Was machen Sie beruflich?“

      „Ich kümmere mich um den Haushalt und die Kinder. Nebenbei gebe ich Yoga-Kurse.“

      Susanne schluckte.

      „Kinder?“

      „Wir haben drei zauberhafte Mädchen. Es ist Samstag, die beiden Großen sind bei Freundinnen, die Kleine ist in ihrem Zimmer. Julia ist sechzehn, Jeannine fünfzehn und Jana zwölf. Oh mein Gott, wie soll ich ihnen erklären, dass ihr Vater tot ist?“

      „Haben Sie eine Freundin oder Familie, die Sie unterstützen können? Sie brauchen sowieso jemanden, denn Sie müssen Ihren Mann identifizieren.“

      Mandy begann wieder zu zittern, aber sie nickte trotz allem sehr gefasst.

      „Ich rufe eine Freundin an, die kann kommen.“

      Mandy telefonierte und als die Freundin eingetroffen war, informierte sie Susanne kurz und folgte ihnen zum Auto.


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