Verlorene Fassung. Ute Dombrowski

Verlorene Fassung - Ute Dombrowski


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Augen und blinzelte in das Licht. Er war durstig und fühlte sich merkwürdig. Neben ihm piepte etwas eindringlich. Aus dem Nebel erschien ein Gesicht vor ihm, das freundlich auf ihn herabsah.

      „Ich bin Dr. Benger, Herr Sabritschek, Sie hatten einen kleinen Herzinfarkt.“

      Jewgeni riss die Augen auf.

      „Bin ich im Krankenhaus?“

      „Im Gefängniskrankenhaus.“

      „Aber … aber … was ist denn passiert?“

      „Sie waren auf dem Hof und sind umgekippt. Wir haben Sie drei Tage auf der Intensivstation betreut, aber es gibt eine gute Nachricht: Sie werden bald wieder gesund. Sie bleiben noch eine Weile hier, schonen sich und machen eine Reha. Die Schwester bringt Ihnen gleich etwas zu trinken und ein wenig Schonkost.“

      Der Arzt verabschiedete sich und ließ Jewgeni mit seinen Gedanken allein. Er starrte an die Decke. Dass ihm jede Erinnerung an den Herzinfarkt fehlte, störte ihn nicht. Schon ein paar Mal hatte es in seiner Brust gezwickt, aber er hatte sich geschüttelt und gut war es. Schließlich war er ein Mann wie ein Baum und niemals krank gewesen.

      Jetzt fiel ihm ein, dass auch sein Vater an einem Herzinfarkt gestorben war, als er noch ein Teenager war. Jewgenis Leben danach hatte sich stark verändert. Er hatte sich nichts mehr sagen lassen, weder von seiner Mutter noch von Lehrern oder sonst irgendjemandem. Seine Freunde hatten Respekt und benahmen sich ihm gegenüber eher wie Untergebene. So war er dann auf die schiefe Bahn geraten.

      Im Bett neben ihm raschelte es, sodass er erschrak und hinübersah. Den Bettnachbarn hatte er noch gar nicht wahrgenommen. Ein Kopf mit einer Frisur wie ein Vogelnest nach einem Orkan erhob sich aus dem Kissen, dann hustete der Mann und fuhr das Kopfende seines Bettes hoch. Er grinste, wobei Jewgeni sah, dass dem Mann ein Schneidezahn fehlte.

      „Du lebst ja wirklich noch!“, rief er erstaunt. „Ich dachte, du bist tot. Habe gehört, du hattest einen Herzinfarkt. Hast wohl zu viel geraucht?“

      „Halt die Fresse“, brummte Jewgeni und drehte sich zum Fenster um.

      Er wollte nicht reden, schon gar nicht mit solch einem asozialen Penner. Aber der Mann mit den wirren Haaren sprach einfach weiter.

      „Die haben gesagt, du brauchst Ruhe und ich soll auf dich aufpassen. Mann, ich dachte echt, du kratzt hier ab. Aber keine Angst, Leo passt auf dich auf.“

      Jewgeni reagierte nicht und schloss die Augen.

      „Ich bin schon das achte Mal im Krankenhaus.“

      Leo erwartete wohl, dass Jewgeni antwortete, aber der reagierte nicht.

      „Bist wohl so ein Schweiger? Na egal, also ich habe immer Ärger im Knast mit den anderen. Die sagen, ich bin ihr Opfer Nummer eins. Eigentlich lustig, aber ich kriege ständig eins aufs Maul. Dieses Mal haben sie mir den Arm angebrochen und eine Rippe ist auch angeknackst.“

      Jewgeni hatte große Lust, dem Bettnachbarn noch viel Schlimmeres anzutun, als ihm einfiel, dass er diesen Leo vielleicht noch brauchen könnte.

      Jetzt betrat eine Krankenschwester mittleren Alters das Zimmer.

      „Mittagessen, die Herren“, bellte sie unfreundlich.

      „Kann ich ein Einzelzimmer bekommen?“, fragte Jewgeni.

      „Ja, klar, wir sind ein Luxushotel und erfüllen gerne die Wünsche unserer Gäste. Was denken Sie sich denn? Wir sind voll belegt und Sie haben Glück, dass es nur Leo ist.“

      „Ja, Schwester Regina, ich bin Stammkunde und ein guter Mann.“

      Leo schob sich das Tablett mit dem Essen zurecht und nahm die Gabel in die Faust. In Windeseile verschwanden Bratwurst, Sauerkraut und Kartoffelbrei in seinem Mund. Jewgeni sah angewidert weg.

      „Was ist das?“, fragte er, als Regina den Deckel von seinem Tablett hob und ein großes Glas Wasser eingoss.

      „Vollkornreis mit Hähnchen und viel Gemüse. Das ist die Schonkost.“

      Jewgeni schob mit der Gabel das winzige Stück Fleisch über den Teller und rührte den Reis in das Gemüse.

      „So ein Fraß! Wer soll denn davon satt werden?“

      „Sie sollen nicht satt werden, sondern gesund. Wir müssen noch ein paar Kilo runterkriegen, darum gibt es nichts Fettes. Guten Appetit.“

      Schwester Regina drückte ihm das Glas Wasser in die Hand und verließ das Zimmer. Im Nachbarbett kratzte Leo die Reste des Essens mit einem Teelöffel vom Teller und machte sich genauso schnell über den Schokopudding her. Dann sah er zu Jewgeni hinüber und seufzte.

      „Soll ich dir aus der Cafeteria etwas Richtiges besorgen?“

      Jewgeni sah Leos verschlagenen Blick und kniff die Augen zusammen. Er massierte sich die Brust und überlegte, ob er sich darauf einlassen konnte. Er fühlte sich nicht krank, nur schlapp und müde. Dann schaute er auf seinen Teller und nickte.

      „Hol mir ein Salamibrötchen!“

      Mühsam schnaufend richtete sich Leo auf und lachte.

      „Ey, du kannst hier nicht einfach rumlaufen, ich darf aber später mit einem Pfleger rausgehen. Dann besorge ich dir was zu essen. Versprochen. Das ist nicht nur ein Krankenhaus, sondern auch ein Knast.“

      Jewgeni nickte und schaufelte widerwillig sein Essen in sich hinein. Danach drehte er sich wieder zum Fenster um und Leo begriff, dass sein Bettnachbar Ruhe wollte.

      Eine Stunde später holte der Pfleger Leo zu einem Spaziergang ab. Sie liefen auf dem Flur hin und her, und Leo quengelte so lange, bis der Pfleger mit ihm in die Cafeteria ging. Dort saßen manchmal Patienten mit ihrem Besuch. Es gab Kaffee, belegte Brötchen und Süßigkeiten. Leo bot dem Pfleger eine Tasse Kaffee an, der lehnte ab. Er sah, wie Leo Kaffee, zwei Brötchen und Schokolade kaufte. Danach riss er mehrere Servietten aus dem Körbchen neben der Kasse.

      „Ja was?“, fuhr er die Kassiererin an. „Ich will das nachher essen. Der trockene Kuchen hängt mir zum Halse raus.“

      Er packte die Brötchen ein und trug sie zum Tisch, während der Pfleger die Tasse mit dem Kaffee balancierte. Sie setzten sich und schwiegen. Leo schlürfte laut, dann sah der Pfleger auf die Uhr.

      „Austrinken, die Zeit ist rum.“

      Leo grinste, bedankte sich für den Ausflug und wurde wieder in sein Zimmer geführt. Alle Türen, die auf dem Weg lagen, waren abgeschlossen, der Pfleger hatte einen Schlüsselbund an einer Kette, den er fest in seiner Faust hielt.

      „Ist hier schon mal einer abgehauen?“

      „Nein.“

      „Und wenn einer abhauen würde?“

      „Die Leute sind krank und nicht blöd. Jetzt rein!“

      Er schob Leo durch die Tür und schloss ab. Leo strahlte, als er Jewgeni die Brötchen überreichte. Der aß mit großem Appetit, obwohl die Brötchen schon ein wenig trocken waren und das Salatblatt schlaff auf seiner Zunge lag.

      „Regina darf davon nichts wissen, sonst kriegen wir Ärger.“

      Jewgeni nickte. Dieser Idiot würde ihm noch viele Dienste leisten. Er wollte sich also mit ihm gutstellen.

      „Ich bin Jewgeni“, sagte er.

      „Ich bin Leo.“

      Sie schüttelten sich die Hände, danach ließ Leo die Servietten verschwinden und legte sich wieder in sein Bett. Er grinste in sich hinein, denn auch er sah in der Verbindung mit Jewgeni nur Vorteile. Einen solchen Freund zu haben war nützlich. Mit einem wie Jewgeni war er unantastbar.

      4

      Susanne saß regungslos am Fenster im Büro und starrte hinaus. Weit und breit war alles grau, denn in der Nacht hatte Regen eingesetzt. Die Luft hatte wie frisch gereinigt geduftet, als sie


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