Slow Dancing In A Burning Room. Rika Mayer
das übersteigt alles was ich an Vorstellungskraft habe.“ „Mamma…“ „Das war keine einmalige Sache, habe ich Recht?“ Linnea schluckte erneut und seufzte kopfschüttelnd. „Wir treffen uns gelegentlich.“ Wo war Haydn wohl gerade? Im Studio? Vor der Kamera? In einem Schlafzimmer? Er war jedenfalls nicht hier und konnte ihr nicht helfen, aus dieser Situation herauszukommen, an der er genauso Schuld hatte wie Linnea.
„Was heißt das?“, war Agneta wenig zufrieden mit Linneas Antwort. „Du triffst dich mit ihm? Um Sex zu haben? – Linn, Kind, sagst du mir gerade, dass du eine seiner Frauen bist, die er über den ganzen Erdball verstreut hat?“ Ihre Stimme war aufgebracht und Linnea wurde auf ihrem Stuhl etwas kleiner. Was sollte sie denn sagen? Konnte sie jetzt auch lügen? Konnte sie in wenigen Sekunden eine Lüge aus dem Ärmel schütteln, die Agneta zufrieden stellen würde? „Wie kannst du nur, Linn?“, schüttelte Agneta den Kopf als keine Antwort kam. „Wie kannst du dich so billig verkaufen?“ All die Aufregung darüber, dass sie ihre Tochter mit einem Star angetroffen hatte war mit der Zeit abgeklungen und in Unverständnis übergegangen. Immerhin war es nicht irgendein Star gewesen, sondern Haydn Cavendish, dessen kleines schwarzes Telefonbuch dicker war als die Bibel. „Hast du das wirklich nötig?“, stieß sie hervor und deutete auf das Foto in der Zeitschrift. Es war fast als würde es sich über alles lustig machen, was Linnea ihrer Mutter über ihn klarmachen wollte. „Mamma…“ Es tat weh! Aber Agneta würde es nie verstehen. Sie war nicht dabei, wenn er ihr die Welt versprach. Wenn er sie im Arm hielt, sie küsste, ihr Baby in den Schlaf summte… Und die Tatsache, dass ihre Mutter sie gerade als eine Hure bezeichnet hatte, machte die Sache so überhaupt nicht besser.
„Linn“, legte Agneta ihre Hand auf Linneas in dem Versuch sie zu beschwichtigen. „Ich weiß ich habe selbst oft genug gesagt, dass ich ihn nicht von der Bettkante stoßen würde, aber meine Tochter ist eine viel zu anständige junge Frau, um sich auf sein Niveau herab zu lassen.“ „Du weißt doch gar nicht wovon du redest, Mamma!“, zog Linnea ihre Hand zurück. „Er ist nicht so ein Arsch wie du denkst!“ „Dass du so denkst, sagt doch schon…“ „Ich kenne ihn, Mamma!“, schnitt sie ihr harsch das Wort ab. „Ich kenne ihn.“ Sie kannte ihn und sie kannte ihn gleichzeitig überhaupt nicht und deswegen war es so schwer, ihn zu verteidigen. „Er ist vielleicht ein bisschen kompliziert, aber er ist auch liebevoll und zärtlich und…!“ Als sie den Blick ihrer Mutter sah, brach sie plötzlich ab. Für den Bruchteil einer Sekunde war Agneta überrascht, dann gewann sie ihre Fassung zurück. „Wie lange kennst du ihn denn, um so etwas sagen zu können?“, fragte sie kopfschüttelnd. Das arme Kind war doch übergeschnappt. „Fast fünf Jahre!“, schnaubte Linnea zurück. War es tatsächlich schon so lange her? Damals war er ja tatsächlich fast noch ein Kind gewesen, das unzählige Dummheiten im Kopf hatte. Und sie war eine junge Frau mit Komplexen und einem Freund gewesen, die Angst davor gehabt hatte, sich jemals wirklich binden zu müssen. Und nun saß sie vor ihrer Mutter und versuchte zu rechtfertigen, dass sie sich jeden Tag psychisch quälen ließ, weil sie ihn nicht aus dem Kopf bekam und er das so gar nicht teilte.
„Oh, Linn, du willst doch nicht sagen, dass du ihn in einem Interview wirklich kennen gelernt hast?“, schüttelte Agneta den Kopf. „Das ist ewig her und jeder weiß, dass er es mit der Wahrheit nicht besonders genau hält.“ Dieses eine Mal angeblich doch mehr als jeder zu wissen glaubte. „Mamma, wir kennen uns seit fünf Jahren“, gab Linnea auf. Es hatte keinen Sinn eine Lüge schön zu reden. Jetzt nicht mehr. „Und das zwischen uns geht seit vier Jahren. Ich kenne ihn besser als du dir vorstellen willst.“ Die Knotenpunkte in Agnetas Gehirn begannen zu rechnen und ihre Augen wurden immer größer, je näher sie der Wahrheit kam. Der Wahrheit die da war, dass ihre Tochter eine Affäre gehabt hatte, während sie mit ihrem Freund unter einem Dach gewohnt hatte. Die Wahrheit die besagte, dass ihre eigene Tochter sie jahrelang belogen hatte. Die einzige Wahrheit die ihr noch entging war jene, dass Linnea ihren Freund erneut betrog. Denselben Freund. Und zwar mit ihrem Ehemann. Nur das wusste Agneta noch nicht und Linnea würde lieber sterben, als ihr das zu gestehen.
„Ja genau“, sprang Linnea dann plötzlich auf, die nicht mehr die Geduld hatte zu warten, bis Agneta zu den richtigen Schlüssen gekommen war. Warum sollte sie? Es war alles wahr und sie schämte sich nicht im Geringsten dafür. „Ich bin eine billige Hure, die dem falschen Charme eines Casanovas erlegen ist, für den Frauen Einwegprodukte sind! Ich habe meinen Freund betrogen und lasse mir Flüge bezahlen, um mich durchficken zu lassen!“ Endlich, endlich, endlich! Verdammt, es tat so gut, das alles endlich zu sagen. Auszusprechen. Loszuwerden. „Aber du, du hast dich jahrelang durch die Betten von Männern geschlafen, die meine Brüder hätten sein können – meine kleinen Brüder. Und ich habe nie etwas gesagt!“ „Du hattest auch nichts zu sagen. Das war meine Angelegenheit.“ „Und das hier ist meine! – Du solltest doch eigentlich stolz auf mich sein: Ich habe mir einen jüngeren Mann geangelt, der Geld hat – und den du anhimmelst.“ „Du hast dir überhaupt niemanden geangelt, du hast dich angeln lassen. – Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.“ „Nein, der einzige Unterschied ist, dass du dich nie von einem von den Jungs hast schwängern lassen!“
5
Es war wahrscheinlich nicht die originellste Idee, nach London zu ziehen, um ein Album aufzunehmen, aber Toningenieur Sam McKay Kelly war in ihren Augen der Beste für den Job – und er war nunmal in England. Er hatte ihnen schon bei ihrem ersten Album den Weg gezeigt und die Band war sich bewusst, dass das hier ihr schwerstes Album werden würde – aber es konnte daher auch ihr bestes werden und deshalb brauchten sie den Besten.
Während Ian sich mit seiner Frau und Bobby und Barclay sich mit ihren Freundinnen in drei Studioapartments in der Nähe des Studios einmieteten, zogen Lafayette und Layla zum ersten Mal in die Wohnung, die sie sich erst zwei Monate zuvor gekauft hatten. Layla hatte darauf bestanden, da sie nicht gerne flog und so zumindest nicht ständig den Atlantik überqueren musste, wenn Lafayette auf Tour in Europa war. Es war die erste von vielen kleinen Gesten die Lafayette zu verstehen geben sollten, dass auch Layla sich irgendwie, irgendwo, irgendwann vorstellen konnte, ihm treu zu werden – so viele Witze sie auch jetzt noch darüber machte. Haydn hingegen zog ganz selbstverständlich in seine alte Wohnung und ging am ersten Abend die wenigen Schritte hinüber zu dem alten Speicher, dessen Wände voller Skizzen und Farbspritzer war. „Oh, look at what the cat dragged in“, sah Devon von ihrer Leinwand auf und musterte den jungen Mann der das Tor hinter sich schloss. „Good to see you too, White“, drehte er die Musik etwas leiser. „Was verschafft mir die Ehre?“, wischte sie ihre Hände in ihrem Mantel ab und ließ sich hochziehen. „Tut mir leid“, gab Haydn ihr einen sanften Kuss. „I’ve been alienating many people lately.“ „Eine Postkarte hier und da wäre nett gewesen”, sah sie auf ihr Werk hinunter und begann dann, ihre Pinsel einzusammeln. „Dafür kriegst du mich jetzt für eine ganze Weile“, reichte Haydn ihr ihre Palette. „Wir haben das Studio bis Mai.“ „Glory Days!“, steckte sie die Pinsel in eine Terpentinlösung und knöpfte ihren Mantel auf. „Is there any point in asking if you’re hungry?“ „Nein, nicht wirklich”, warf er einen flüchtigen Blick in den kleinen staubigen Spiegel über dem Waschbecken und rieb sich die Nase. „Okay“, zuckte sie die Schultern. „Dann werde ich nicht fragen.“ „Ha-ha. – You know you can always eat, I like watching you.“ „You are creepy.“
Obwohl es kein einfaches Album war und man zwischen den Aufnahmen Tourdaten abzuhaken hatte, verliefen die Aufnahmen überraschend gut. Abgesehen von dem einen oder anderen Streich, den sich jemand nicht verkneifen konnte. So war auf einer eigentlich abgeschlossenen Version des Titelsongs plötzlich Jodeln zu hören oder Ians Violine war plötzlich falsch herum bespannt. Haydn fand heraus, dass man seine Stimme einen ganzen Nachmittag durch den Verzerrer aufgenommen hatte und Bobbys Sticks waren mit Honig beschmiert. Irgendwie musste man ja verhindern, dass man alt wurde.
An den Abenden an denen sie früh genug nach Hause entlassen wurden, um nicht im Studio trinken zu müssen, trafen sie sich in diversen Bars und Restaurants und waren vielleicht ein bisschen zu laut, ein bisschen zu kanadisch, tranken ein bisschen zu viel und trällerten hin und wieder ein Lied. Auch wenn es London war, man konnte auch als Star hier in der Anonymität der unzähligen Pubs untertauchen und mit den anderen Betrunkenen