Slow Dancing In A Burning Room. Rika Mayer

Slow Dancing In A Burning Room - Rika Mayer


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keine Ahnung, wie man das jeweilige Instrument zu halten hatte. Nicht, dass sich ein Profi wie Sam davon gestört fühlte. Es war ein Übel, aber ein Übel mit dem er zu arbeiten gelernt hatte.

      Es war vielleicht auch das umstrittenste Album innerhalb der Band. Zu ernst, zu persönlich. Wollte Haydn wirklich mit solchen Texten an die Öffentlichkeit? Wusste er denn nicht, was ihm dann ins Haus stehen würde? Doch Haydn schüttelte alle Sorgen einfach ab. Er hatte sich bis jetzt auch immer über alle Verdächtigungen hinweg reden können. Aber natürlich würde er niemals laut zugeben, wie wichtig ihm dieses Album war. Es war eine Art Selbstverwirklichung, eine Art Selbstbefreiung. Doch noch konnte nicht einmal er wissen, dass die wirklich guten Texte noch nicht geschrieben worden waren und den ganzen Zeitplan durcheinander bringen würden.

      Nichts desto Trotz waren sich alle einig, dass es ein fantastisches Album werden würde. Die Musik war intensiv und eine Herausforderung an die Band und die Fans und die Texte waren gut genug um in einem Seminar auf der Universität studiert und analysiert zu werden. „Ich hoffe ja nur, dass das unsere Fans nicht zu sehr vor den Kopf stößt“, äußerste Anthony dennoch jeden Tag aufs Neue seine Bedenken, wenn er den aufzunehmenden Song aus seiner Mappe zog und auf dem Mischpult ausbreitete. Er ließ es sich nicht nehmen, regelmäßig bei seinen Schützlingen vorbei zu schauen und ihren Aufnahmetag durcheinander zu bringen. Nicht, dass ihm das schwerfallen würde, Agents Provocateurs waren sicher alles andere als organisiert und er musste eigentlich eher einen Ablauf in die Vorgänge bringen als ihn zu stören.

      Die fünf Jungs saßen meist auf dem Boden des Studios und rauchten, während sie über einem Arrangement brüteten. Auch wenn die Musik Haydns Hirngespinst war, durfte doch jeder mitspinnen und meistens entstanden die Akkordfolgen erst direkt auf diesem Boden, regelmäßig mit Zigarettenasche und Bierflecken unterschrieben. Wenn der Rauch zu dicht wurde, gingen sie dann nach draußen und kickten die Bierdosen über den Hof oder benutzen sie als Baseballbälle. Sams Cricketschläger war bestens dafür geeignet und Haydn bekam davon ein Cut auf der Unterlippe, Ian ein aufgeschrammtes Knie und Bobby renkte sich fast den Arm aus.

      An manchen Tagen wurden sie auch wegen guter Führung entlassen und durften sich einen ganzen freien Tag in der Stadt herumtreiben. Oder schlafen – oder was Rockstars sonst noch so machten, wenn sie sich außerhalb des Business bewegten. Haydn liebte diese Tage an denen er in der National Gallery sitzen konnte und Waterhouses „Lady of Shalott“ so lange studieren konnte, bis die Aufseher skeptisch wurden; oder im St. James’ Park Tauben füttern und im Pavillon ein unsichtbares Orchester dirigieren; oder mit Devon in den Secondhandläden am Camden Market stöbern bis sie etwas gefunden hatten, das sie weder brauchten noch wollten, nur um es zu kaufen weil sie Mitleid damit hatten. Dasselbe hatten sie damals gemacht, als Haydn Devon das erste Mal dazu hatte überreden können, die Schule zu schwänzen und stattdessen den Zug nach London zu nehmen. Sie fanden diesen perfekten Laden, der sich auf die Fünfziger spezialisiert hatte und kleideten sich darin völlig neu ein. Alles war aufregend, spannend und sie wurden von der Atmosphäre der Stadt und ihrem eigenen Fantasiespiel gänzlich aufgesogen und natürlich versäumten sie ihre letzte Verbindung nach Hause. Aber anstatt so verzweifelt zu sein, wie man es von zwei Zwölfjährigen erwarten würde, die zum ersten Mal allein in einer großen Stadt waren die sie nicht kannten, taten sie das Nächstbeste: Sie spazierten die ganze Nacht über durch die Viertel und Parks – ganz wie im Film - und frühstückten bei Sonnenaufgang auf der Westminster Bridge – wo sie die Polizei fand und sofort zurück nach Liverpool transportierte.

      6

      „London sure is a dreary place around this time of year!“, zog Haydn an seinem Hemdkragen und schlang seinen Schal einmal elegant um den Hals. „Oh, you miserable sod“, hakte Devon sich fröhlich bei ihm unter. „London is simply the most devine place in the world – anytime of year.“ „My sentimental old friend“, wich Haydn einem Hund aus und Devon zwickte ihm in den Oberarm. Nicht, dass er durch ihre Handschuhe, seinen Mantel, das Jackett und das Hemd viel gespürt hätte. „You’re in love with Montréal.“ „Ja, aber dort wurde ich geboren.“ Sie lachte laut und Passanten, Touristen die keine Sekunde ihres Aufenthalts mit Schlafen versäumen wollten und eilige Büroangestellte drehten sich zu ihnen herum. Welche Gestalten wandelten durch London so früh am Morgen? Daraufhin reckte Devon das Kinn vor und setzte einen Blick auf, der Milliardärstochter sagte. Der falsche Pelzmantel, die Schuhe und die kurzen Fingerwellen halfen dabei ebenso wie die Tatsache, dass sie am Arm eines jungen Mannes in schwarzem Anzug, schwarzem Mantel, weißem Schal und schwarzem Hut hing. Heute Nacht waren es die Zwanziger gewesen. Sie hatten einen Jazzclub besucht und in einem Nachtclub einen Drink genommen und waren dann mit einem Taxi zum Ritz gefahren, wo sie sich Champagner aufs Zimmer bestellt hatten, sich in der Badewanne geliebt hatten und das Hotel wieder verlassen hatten, um auf der Tower Bridge den Sonnenaufgang zu beobachten. Nun waren sie auf dem Heimweg, übernächtigt und aufgedreht und Devon tanzte an Haydns Arm, obwohl ihre Füße in den etwas engen Schuhen entsetzlich schmerzten.

      Am darauffolgenden Wochenende waren es die Siebziger. Toupiertes Haar, Schlaghosen, Rüschenhemden, Plateausohlen. Rollschuhlaufen mit Kopfhörern im Hydepark – in Ermangelung einer Rollerdisco und trotz des Wetters – und eine schrille Disco am Abend, danach in die Wohnung eines befreundeten Künstlers, wo sie im Lichte einer Lavalampe psychedelische Bilder malten und Haschischpfeifen rauchten.

      Einige Tage später war es Hollywood im Savoy. Die guten alten Tage der Schauspielerlegenden, um genau zu sein. Herren waren in Smoking und Fliege, Damen in Abendkleid, Brillianten und Pelz. Die anwesende und in diesem Fall sogar geladene Presse liebte es. Glamour war gar kein Ausdruck. Haydn Cavendish zog an einer Zigarre, schob seinen Hut aus der Stirn und sprühte vor Charme. Devon an seinem Arm war eine Puppe aus Porzellan mit tiefroten Lippen unter den grünen Augen, in einem Kleid aus fließendem Gold und einer Pelzstola die nur knapp ihre aufreizende Rückenansicht verdeckte.

      Der Champagner floss in Strömen, es spielte eine Bigband und um Mitternacht gab es eine private Vorführung von An Affair to Remember. Die Band saß auf einem Divan, umgeben von glitzernden Bewunderinnen, lachte, diskutierte und gestikulierte. Andere Berühmtheiten wechselten laufend die Plätze mit ihnen. Zeitungen nannten es eine eitle Parade der jungen Stars und Starlets. Haydn nannte es seine Geburtstagsparty.

      Am Morgen, um 6:24 Uhr um genau zu sein, wurde er 28. Er stand im Bad seines Hotelzimmers, der Hut zu weit nach hinten gerutscht, die Fliege lose über dem aufgeknöpften Kragen, einen Lippenstiftabdruck auf der Wange und drehte eine kleine Dose in seiner Hand hin und her. Selbst hier oben hörte man das Gelächter und den Gesang der mittlerweile angetrunkenen Partygesellschaft die Zimmer im Hotel genommen hatte ohne daran zu denken sie aufzusuchen. Er musterte sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken. Sah er anders aus? Etwas war anders an seinem Gegenüber, aber er konnte bei Gott nicht sagen, was. „Joyeux anniversaire“, flüsterte er. Für die letzten zehn Jahre hatte er sich an jedem seiner Geburtstage fast besinnungslos getrunken und hatte dann eine Dose Schlaftabletten geschluckt. Nur um sie auszukotzen, bevor die Tabletten richtig wirken konnten. Er nahm den Deckel von der Dose und leerte den Inhalt in seine Hand. Diesmal war er nicht betrunken genug. Er zählte die Tabletten und sah dann wieder auf sein Spiegelbild. Es widersprach ihm nicht. Und plötzlich machte er auf dem Absatz kehrt und ging zur Toilette. Jede einzelne Tablette ließ er in die Muschel fallen, dann drückte er den Spülknopf. Er hatte vergessen einen Abschiedsbrief zu schreiben.

       Should I Tell the Truth Or Something Beautiful?

      7

      „Rise and shine! Rise and shine!“ Edda tanzte zur Tür herein und riss die Vorhänge zur Seite. „Mmmmm“, drehte sich Linnea missmutig auf die andere Seite, um dem frühlingshaften Sonnenlicht zu entkommen, das durchs Fenster ins Zimmer schlich. „Linn, komm, auf mit dir!“ „Mmmm…“ „Linn, auf mit dir. Schluss mit dem Brüten. Die Sonne scheint, die Vögel singen…“ „Ich will nicht aufstehen!“, wehrte Linnea ab und zog die Decke über den Kopf. „Ich hab keinen Grund aufzustehen“, kam es dann darunter hervor und Edda seufzte. „Okay, jetzt ist es genug!“ versuchte sie ihr die Decke wegzuziehen, aber Linnea klammerte


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