Die Bestie im Menschen. Emile Zola

Die Bestie im Menschen - Emile Zola


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vorüber und brachten die Gläser auf dem Tische zum Klirren, aber keiner der Tischgenossen schenkte ihnen irgend welche Aufmerksamkeit.

      Abermals ein Signal mit dem Horn, doch diesmal kam Flore, die soeben abgedeckt hatte, nicht zurück. Sie ließ ihre Mutter und die beiden Männer bei einer Flasche Apfelweinschnaps allein. Die drei blieben noch eine halbe Stunde sitzen. Dann nahm Misard, der vorher seine Blicke einen Augenblick forschend auf eine Ecke des Gemaches gerichtet hatte, seine Mütze und schritt mit einem einfachen Guten Abend zur Thür hinaus. Er wilddiebte in den Bächen der Nachbarschaft, in denen es prächtige Aale gab, und er ging nie eher schlafen, bis er seine Netze gründlich visitirt hatte.

      Kaum war er fort, sah Phasie ihren Pflegesohn bedeutsam an.

      »Glaubst Du nun? Hast Du gesehen, wie sich sein Blick dort in die Ecke wühlte? ... Es ist ihm nämlich gerade eingefallen, ich könnte meinen Schatz dort hinter dem Buttertopf verborgen haben ... O, ich kenne ihn, ich weiß genau, daß er heute Nacht den Topf von der Stelle rücken wird.«

      Ein plötzlicher Schweiß drang durch die Poren ihres Körpers und ein heftiges Zittern schüttelte ihre Glieder.

      »Da, sieh her, auch das noch! Er wird mir zu viel eingegeben haben, ich habe einen bittern Geschmack im Munde, als ob ich alte Sousstücke verschluckt hätte. Gott weiß, warum ich durchaus nichts von ihm nehmen will. Man möchte am liebsten gleich in's Wasser gehen. Heute Abend geht es leider nicht mehr, weil ich jetzt zu Bett muß. Also lebe wohl, mein Junge, da Du schon um sieben Uhr sechsundzwanzig Minuten abfährst, werde ich Dich nicht mehr sehen können. Und Du kommst bald wieder? Wir wollen hoffen, daß Du mich hier noch vorfindest.«

      Er half ihr in ihr Zimmer, wo sie sich hinlegte und auch sofort zusammengekauert einschlief. Allein geblieben, zögerte er einen Augenblick und überlegte, ob er auch nach oben steigen und sich auf das Heu in der Vorratskammer strecken sollte. Die Uhr war aber jetzt erst dreiviertel auf acht, also es noch zu früh zum Schlafen. Er verließ das Gemach und ließ die kleine Petroleumlampe in dem leeren, träumenden Häuschen brennen, das von Zeit zu Zeit durch den jähen Donner eines vorüberfahrenden Zuges erschüttert wurde.

      Draußen fühlte sich Jacques von der Milde der Luft angenehm überrascht, welche Regen zu verkünden schien. Eine gleichmäßige, milchartige Wolke hatte den ganzen Himmel überzogen und der hinter ihr verborgene unsichtbare Vollmond tauchte das Himmelsgewölbe in einen röthlichen Schimmer. Weit hinein sah er in das Land, dessen im friedlichen Schlummer ruhende Wiesen, Abhänge und Bäume sich in diesem gleichmäßigen todten Lichte dunkel abhoben. Er durchschritt den kleinen Küchengarten, dann wollte er nach Doinville zu spazieren gehen, weil die Straße nach jener Richtung weniger schroff aufstieg. Aber der Anblick des jenseits des Eisenbahndammes schräg aufsteigenden, einsamen Hauses zog ihn an; da die Barriere schon für die Nacht geschlossen war, überschritt er die Geleise bei dem Pförtchen. Er kannte dieses Haus sehr gut, denn er sah es ja auf jeder Fahrt beim Dröhnen seiner brummenden Maschine. Eine unklare Empfindung, die sein Anblick hervorrief, ärgerte ihn, er wußte selbst nicht, warum. Jedesmal fürchtete er, es könnte verschwunden sein, und erboste sich, wenn er es noch an derselben Stelle vorfand. Noch nie hatte er die Thüren oder Fenster offen gesehen. Er wußte nichts weiter, als daß es dem Präsidenten Grandmorin gehörte. An diesem Abend aber trieb ihn ein unstillbares Verlangen dorthin, um vielleicht mehr zu erfahren.

      Lange stand Jacques auf der Landstraße vor der Pforte. Er trat einige Schritte zurück, reckte sich in die Höhe und versuchte, sich klar zu werden. Der den Garten theilende Bahndamm hatte vor dem Hause ein schmales, von Mauern umschlossenes Parterre übrig gelassen; weiter hinten dagegen weitete sich ein ziemlich ausgebreitetes Terrain, welches nur von einer lebenden Hecke eingefriedet war. Im röthlichen Wiederschein dieser nebligen Nacht machte das Haus in seiner Verlassenheit einen unsäglich traurigen Eindruck. Jacques überlief es kalt und er wollte eben weiter gehen, als er ein Loch in der Hecke bemerkte. Der Gedanke, daß es feige wäre, nicht hineinzugehen, trieb ihn durch die Lücke. Sein Herz schlug zum Brechen. Doch gerade, als er an einem zerfallenen kleinen Gewächshause vorüberschreiten wollte, bannte ihn ein an der Thür desselben kauernder Schatten.

      »Wie, Du bist es?« rief er erstaunt, er hatte Flore erkannt. »Was thust Du hier?«

      Auch sie war überrascht zusammen gefahren.

      »Du siehst,« sagte sie jedoch gleich gefaßt, »ich hole mir Stricke. Es liegen hier so viele umher und faulen, ohne zu etwas zu nutzen. Daher hole ich sie mir, so oft ich welche gebrauche.«

      In der That hockte sie mit einer starken Scheere in der Hand am Boden. Sie entwickelte die Enden der Stricke und durchschnitt widerstrebende Knoten.

      »Kommt der Eigenthümer nie hierher?« fragte der junge Mensch.

      Sie lachte.

      »Pah, seit der Geschichte mit Louisette hat es keine Gefahr. Der Präsident wird es nicht wagen, auch nur seine Nasenspitze in la Croix-de-Maufras hineinzustecken. Ich kann unbesorgt ihm seine Stricke nehmen.«

      Er schwieg und sein Gesicht trübte sich bei der Erinnerung an jenen unglücklichen Vorfall, den Flore wachrief.

      »Und glaubst Du wirklich, was Louisette erzählte? Glaubst Du, daß er ihr nachstellte und daß sie sich bei ihrer Vertheidigung verletzte?«

      Sie hörte auf zu lachen und rief heftig:

      »Nie hat Louisette gelogen und Cabuche ebenso wenig ... Cabuche ist mein Freund.«

      »Vielleicht jetzt auch Dein Geliebter?«

      »Er? Da müßte ich ja eine famose Dirne sein! ... Nein, er ist mein Freund, einen Liebhaber habe ich nicht und will auch keinen.« Sie hatte ihren mächtigen Kopf aufgerichtet, dessen schwere, blonde Flechten tief in die Stirn hingen. Ihre ganze kräftige und geschmeidige Persönlichkeit strömte eine ungezähmte Entschlossenheit aus. Es hatte sich schon ein Märchen um ihre Person in der Umgegend gebildet. Man erzählte von ihr die wildesten Sachen: da hätte sie einen Wagen beim Herannahen eines Zuges mit einem Ruck von den Schienen gerissen, hier einen den Abhang von Barentin allein herunterlaufenden Waggon, dort einen wild gegen den Zug anstürmenden Stier aufgehalten. Diese Kraftproben machten kein geringes Aufsehen und natürlich waren alle Männer hinter ihr her. Da man sie stets auf den Feldern sah, sobald sie mit ihrer Arbeit fertig, oder in verborgenen Winkeln einsam, stumm und unbeweglich mit in die Luft starrenden Augen, so glaubte man zuerst, man würde mit ihr ein leichtes Spiel haben. Aber die ersten, welche das Abenteuer gewagt hatten, wagten es nicht zum zweiten Male. Sie liebte es, stundenlang in einem Bache in der Nähe nackt zu baden. Eines Tages hatten ihr gleichaltrige junge Männer sie dabei belauscht; Flore aber hatte sie gesehen und ohne sich erst die Mühe zu nehmen, ihr Hemd überzustreifen, hatte sie sich einen gelangt und ihn so zugerichtet, daß man sie fortan unbehelligt ließ. Dann erzählte man sich auch noch eine Geschichte von ihr mit einem Weichensteller von der Gabelung bei Dieppe, jenseits des Tunnels: ein gewisser Ozil, ein sehr ehrenhafter Mann von dreißig Jahren, dem sie Muth gemacht zu haben schien, versuchte es eines Abends auch, sie zu vergewaltigen. Er dachte sich die Sache sehr leicht, bekam aber einen Hieb mit dem Stock, daß er fast leblos liegen blieb. Ja, sie war eine kriegerische, jeder Gemeinheit abholde Jungfrau, und bald hatten es die Leute in der Gegend weg, daß sie ihren Kopf auf der rechten Stelle habe.

      Als Jacques hörte, daß sie keinen Gefallen an einem Liebhaber hätte, fuhr er fort sie zu sticheln.

      »Also wird aus Deiner Hochzeit mit Ozil nichts? Ich habe mir erzählen lassen, daß Du alle Tage mit ihm im Tunnel zusammentriffst.«

      Sie zuckte mit den Schultern.

      »Pah, meine Hochzeit ... Im Tunnel, das wäre so ein Spaß! Zweieinhalb Kilometer im Dunkeln galoppiren in der steten Angst, von einem Zuge erfaßt zu werden, wenn man nicht die Augen offen hat. Man muß den Lärm hören, den so ein Zug da unten vollführt! .. Der Ozil war ein langweiliger Kerl. Er war noch nicht der rechte.«

      »Du willst also einen Andern?«

      »Ich weiß nicht, ich weiß wirklich nicht.«

      Während sie sich mit dem Aufknüpfen eines Gewirrs von Knoten abquälte, ohne damit fertig zu werden, schüttelte sie ein abermaliges


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