WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN. Eberhard Weidner

WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN - Eberhard Weidner


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ebenfalls auf. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Frau Kramer.«

      Sie nickte Baum zu, der zur Seite getreten war, um sie vorbeizulassen, dann verließ sie das Wohnzimmer und lief die Treppe hinauf in den ersten Stock.

      »Was ist los mit dir, Lutz?«, fragte Schäringer seinen Kollegen. »Musst du etwa aufs Klo?«

      »Nö. Wie kommst du denn darauf?«

      »Weil du ständig von einem Fuß auf den anderen tanzt, als müsstest du ganz dringend.«

      »Ach was. Ich bin eben ein unruhiger Mensch, der nicht lange stillstehen kann. Solltest du nach sechs gemeinsamen Jahren aber langsam wissen, Franz.«

      »Dann muss ich dir wohl in Zukunft Ritalin in deinen Automatenkaffee schütten. Bei dem ekelhaften Geschmack des Gesöffs würdest du das wahrscheinlich gar nicht merken.«

      »Sehr witzig. Aber mal ganz im Ernst. Ich bin es eben nicht gewohnt, bei solchen Gesprächen danebenzustehen und nichts zu tun zu haben. Wie wär’s, wenn ich mir schon mal das Zimmer des Jungen ansehe, während du mit der Mutter redest?«

      »Gute Idee. Ich frag sie, wenn sie wieder da ist. Ich glaub, da kommt sie schon.«

      Elke Kramer kam tatsächlich wieder die Stufen herunter. Sie musste sich das Gesicht mit Wasser abgespült und den verschmierten Eyeliner abgewaschen haben. Sie machte einen gefassteren Eindruck, umklammerte mit ihrer rechten Faust aber ein Kosmetiktuch, als traute sie dem Frieden selbst nicht so recht und wollte für die nächste Tränenflut gewappnet sein. Sie nickte den beiden Männern zu. Als sie ihren alten Platz einnahm, setzte sich auch Schäringer wieder.

      »So, jetzt können wir weitermachen«, sagte sie. »Wo waren wir stehengeblieben, Herr Kommissar?«

      »Bevor wir uns weiter unterhalten, hätte ich eine Bitte an Sie, Frau Kramer. Könnte mein Kollege sich ein bisschen in Niklas’ Zimmer umsehen, während wir miteinander reden?«

      Sie riss überrascht die Augen auf, als hätte sie nicht damit gerechnet, und sah von Schäringer zu Baum. Dann nickte sie jedoch, zuerst ein wenig zaghaft, dann mit zunehmender Überzeugung heftiger. »Natürlich. Das müssen Sie bei einem … in so einem Fall vermutlich tun. Soll ich Ihnen zeigen …?«

      »Das ist nicht notwendig«, sagte Baum. »Sagen Sie mir nur, welches Zimmer das von Niklas ist.«

      Sie nickte. »Es ist das Zimmer unterm Dach im zweiten Stock. Sie können es gar nicht verfehlen. Außerdem hängt an der Tür ein Schild, auf dem Achtung Sperrzone steht.«

      »Vielen Dank, Frau Kramer. Ich werd’s schon finden.« Baum wandte sich ab, verließ das Wohnzimmer und stieg die Wendeltreppe nach oben. Zweifellos war er froh, dass er etwas zu tun bekam.

      Elke Kramer wandte sich wieder an Schäringer. »Möchten … möchten Sie vielleicht einen Kaffee, Herr … Tut mir leid, aber ich hab mir Ihren Namen gar nicht gemerkt.«

      »Kein Problem, Frau Kramer. Mein Name ist Franz Schäringer. Und vielen Dank, aber ich möchte keinen Kaffee.«

      »Okay.« Sie warf einen Blick auf ihren eigenen Becher, schob ihn dann aber zur Seite, als wäre ihr der Appetit darauf vergangen. Der Becher hatte einen braunen Ring auf der Tischplatte hinterlassen. Sie wischte den verschütteten Kaffee mit dem Kosmetiktuch in ihrer Hand auf. »Sie sagten, Nikki wurde … ermordet.« Obwohl der Kaffeering längst weg war, wischte sie weiter über die Tischplatte, als könnte sie gar nicht mehr damit aufhören. Ihr Blick war noch immer gesenkt.

      »Ja.«

      »Wie wurde er …?«

      »Er wurde erwürgt.«

      »O mein Gott!« Sie schnappte nach Luft, während sie noch heftiger wischte. »Ging es … ging es denn schnell? Ich meine …«

      »Ja. Ich gehe davon aus, dass Niklas nicht leiden musste.« Nähere Einzelheiten über den Zustand der Leiche und die deutlichen Würgemale am Hals des Jungen, die darauf hindeuteten, dass der Täter sehr kräftig gewesen sein musste, ersparte er ihr momentan lieber noch.

      »Aber warum?« Erst jetzt hörte sie auf zu wischen und hob den Blick, um ihm wieder in die Augen zu sehen. »Warum wurde mein Sohn getötet, Herr Schäringer?«

      Er zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir noch nicht, Frau Kramer. Aber es ist unsere Aufgabe, herauszufinden, warum Niklas getötet wurde und wer es getan hat. Vielleicht können Sie uns bei unseren Ermittlungen helfen.«

      Der Schmerz und die Trauer, die soeben noch in ihren Augen gestanden und ihre innere Welt dominiert haben mussten, wichen aus ihrem Gesicht. Beide Emotionen waren zwar noch immer vorhanden, wurden jedoch von einer neu erwachten Entschlossenheit verdrängt, die Polizei in ihrem Bemühen zu unterstützen, den Mörder ihres Sohnes zu finden und seiner gerechten Strafe zuzuführen. »Natürlich. Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Schäringer?«

      »Wissen Sie, ob Ihr Sohn Feinde hatte?«

      Sie riss verblüfft die Augen auf. »Nikki? Ausgeschlossen, Nikki hatte keine Feinde!«

      Er zuckte mit den Schultern. »Keine Streitereien in der Schule? Zwei Jungs, die sich vielleicht in dasselbe Mädchen verliebt haben? Solche Art von Feinden meine ich.«

      »Aber wegen einer solchen Lappalie bringt man doch niemanden um, oder?«

      »Manchmal leider schon«, sagte Schäringer und sprach aus bitterer Erfahrung.

      Elke Kramer senkte den Blick, während sie nachdachte. Sie begann, das fleckige Kosmetiktuch in kleine Fetzen zu zerreißen. »Von einem Mädchen weiß ich nichts. Zumindest gab es meines Wissens kein bestimmtes, für das Nikki schwärmte. Er war im Umgang mit dem anderen Geschlecht ohnehin sehr schüchtern. Aber …«

      »Ja?«

      »Er wurde in der Schule gemobbt.«

      »Gemobbt? Und wie äußerte sich das?«

      »Ein paar Jungs in seinem Alter hatten ihn auf dem Kieker. Ärgerten und drangsalierten ihn ständig, versteckten seinen Rucksack oder seine Sporttasche im Mülleimer und warfen seine Bücher ins Klo. Solche Sachen eben. Meistens mehr oder weniger harmlos. Dummejungenstreiche, oder was Jungs in dem Alter eben witzig finden.« Sie verstummte und kaute mit den Zähnen auf ihrer Unterlippe.

      »Aber das war noch nicht alles, nicht wahr?«

      »Vor … vor ungefähr zwei Wochen eskalierte die Geschichte ein bisschen. Die Kerle – es müssen drei oder vier gewesen sein – sperrten sich mit Nikki im Klo ein. Sie steckten seinen Kopf in die Toilettenschüssel und drückten die Spültaste. Das nahmen sie dann alles mit einem Handy auf und stellten den Film hinterher ins Internet.«

      »Verstehe«, sagte Schäringer. »Und was unternahmen Sie deswegen?«

      »Thomas … Mein Mann wurde fuchsteufelswild, als er das Video im Internet sah. Er sorgte irgendwie dafür, dass es sofort wieder gelöscht wurde. Außerdem wandte er sich an den Schulleiter. Wir verzichteten darauf, Strafanzeige zu erstatten, um den Jungs nicht ihre Zukunft zu verbauen, aber sie wurden nach einer gemeinsamen Aussprache für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert. Außerdem mussten sie das Original des Videos löschen.«

      »Die jungen Männer waren bestimmt nicht sehr glücklich darüber, dass Niklas sie beim Schulleiter meldete und sie vom Unterricht ausgeschlossen wurden. Wie haben sie darauf reagiert?«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«

      »Hat Niklas nichts erzählt?«

      »Nein. Er war … Nach der ganzen Geschichte war er noch verschlossener als vorher. Außerdem waren die Kerle ohnehin suspendiert, sodass er ihnen seitdem in der Schule gar nicht begegnet war. Aber ich kann nicht glauben, dass sie Nikki deshalb gleich umbringen. Das sind jugendliche Rowdys mit merkwürdigen Vorstellungen von Spaß, aber keine Mörder.«

      »Vielleicht haben Sie ja recht, Frau Kramer. Ich werde die Sache aber trotzdem im Auge behalten und mich mit den jungen Männern unterhalten. Können Sie mir ihre


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