Yester und Li. Bernhard Kellermann

Yester und Li - Bernhard Kellermann


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      Während ihre Freundin leicht vornübergebeugt schritt, das Wippen der Libelle im Gang, ging sie aufrecht, mit steifem Stolze. Den Kopf etwas auf die Brust gesenkt.

      Man konnte sie sich gut als würdevolle Dame vorstellen.

      Ginstermann sann darüber nach, was er den Damen sagen könne.

      Der Wunsch erwachte in ihm, ihnen durch irgend eine Bemerkung aufzufallen.

      Er war oftmals nahe daran zu beginnen, aber stets fand er die Bemerkung deplaziert oder banal. Die einleitende Bemerkung, einleitende Frage forderten sein Lächeln heraus infolge ihrer Ähnlichkeit mit den Ballgesprächen in den Witzblättern. Mit nervöser Hast suchte er in seinem Kopfe nach einem Gedanken, den er hätte anbringen können. Er hätte sich gern geistreich, witzig gezeigt. Er hätte den Mädchen gern etwas mit nach Hause gegeben, ein kleines souvenir de Ginstermann, etwas, das sie noch beschäftigte, während sie sich entkleideten. Etwas Frappierendes, das sie kopfschüttelnd zu fassen suchten, ein schönes Wort, das noch auf der Schwelle ihres Schlafes vor ihnen schimmerte.

      Aber seine Gedanken schleppten altes Zeug herbei, das einem jeder von den Lippen ablas, wenn man es aussprechen wollte. Oder Einfälle, die er früher irgendwo geäußert, und suchten ihn zur Kolportage seiner eigenen Gedanken zu verführen.

      Was sollte er diesen Mädchen sagen?

      Sollte er ihnen einen Vortrag halten über die Schuld im modernen Drama, über die Phonetik des Dialogs?

      Über die seelische Armut eines Mädchens aus guter Familie? Über Bücher, Theater, Musik?

      Sollte er ihnen die Grimasse der modernen Gesellschaft mit höhnenden Strichen skizzieren?

      Sollte er ihnen sagen: Meine Damen, so kahl wie dieser Baum hier ist unsere Zeit an Schönheit und dem Wunsche nach ihr. Aber es werden Generationen kommen, deren Schönheitsdurst so gewaltig sein wird, daß man das herrlichste Weib des Landes, nackt, auf geschmücktem Wagen durch die Stadt führen wird.

      Was sollte er sagen? Sollte er sagen —?

      So sehr er sich bemühte, er fand nichts.

      Er hatte es verlernt, mit Menschen zu verkehren, mit jungen Damen angenehm zu plaudern. Die Jahre seiner Einsamkeit hatten ihm die Lippen verschlossen.

      Wußte er, was diese Mädchen interessieren konnte?

      „Ach, wie entzückend!“ tief Fräulein Scholl plötzlich aus und blieb stehen. „Ist es nicht herrlich?“

      Der Marmorpalast der Akademie lag vor ihnen.

      Vom bleichen Lichte des Mondes durchstrahlt, umgeben von dunklen Häusermassen, stieg er empor aus wipfelkahlen Bäumen wie ein heiliges Denkmal, durch eine Luftspiegelung aus einer herrlichen Welt herübergetragen. In seiner mehr denn totenhaften Stille, die nicht mehr das Ohr, nur die Phantasie faßte, in seiner sanften Schönheit stand er außerhalb alles Irdischen, außerhalb der Zeit, bereit, jeden Augenblick zu versinken und trivial-praktische Häuserklumpen zu enthüllen.

       Ginstermann wußte: Das ist der Palast eines gewaltigen Königs. Der König ist gestorben und liegt aufgebahrt auf dunklem Sarkophage inmitten des Palastes. Zu seinen Füßen kauert sein Weib. Pechpfannen umflammen das Lager. Und morgen wird der Palast in Flammen stehen, und den Platz werden Menschen erfüllen, tränenlos in ihrer Trauer, als ein starkes Volk. Und Priester werden das Blut von tausend Kriegern in die rauchenden Trümmer gießen, dem Geliebten zu opfern.

      „Ist es nicht überwältigend?“ flüsterte Fräulein Scholl.

      „Es ist schön,“ sagte Ginstermann.

      Fräulein Schuhmacher streifte ihn mit einem Blicke, wie um die Gedanken zu erraten, die er ihnen vorenthielt.

      Fräulein Scholl wohnte in der Schackstraße. Sie begleiteten sie bis zur Türe, dann gingen sie weiter. Die Leopoldstraße hinunter.

      Sie gingen nun allein.

      Mit der Entfernung der Freundin war die Last auf Ginstermanns Seele um das Doppelte gewachsen.

      Seine Verwirrung steigerte sich, und er fühlte, wie er die Herrschaft über seine Gedanken verlor. Vergebens strengte er sich an, seine Gefühle zu entwirren. Er empfand wiederum den schwindelartigen Zustand, der ihn ergriff, als er aufstand, um den Damen seine Begleitung anzubieten. Gewohnt, immer Herr der Situation und seiner selbst zu sein, empfand er ihn als eine demütigende Peinigung. Es war ihm, als habe man ihn in eine Narkose versetzt, gegen die sich seine halbbetäubten Sinne erfolglos sträubten.

      Gleichsam ohne selbständigen Willen schritt er neben diesem Weibe einher. Einem Trabanten ähnlich, der in die Bahn eines mächtigen Sternes geriet. Die Seele dieses Weibes hatte sich der seinigen bemächtigt und lockte ihn mit der Gewalt ihres Rätsels.

      Diese Situation, das Schweigen, aus dem man heraushören konnte, was man wollte, wurde ihm unerträglich.

      Er richtete sich auf, steckte die Hände in die Manteltaschen, bemüht, sich vor sich selbst das Aussehen eines gleichgültigen Menschen zu geben.

      Er hörte ihre Schritte über den Boden gleiten, ihre Kleider rauschen, er bemerkte jede Bewegung ihres Kopfes, ihrer Hand, ohne jedoch sein volles Bewußtsein zurückfinden.

      Die Straße war schnurgerade, wie ein Lineal. Blendend weiß in der Nähe, von düsterem Rauch erfüllt in der Ferne. Beschneite Pappeln flankierten sie, die ihnen in langsamem Zuge entgegenpilgerten.

      Dann und wann krauchte ein Schatten heran. Die Helmspitze eines Schutzmannes blitzte auf. Eine Katze überschritt geschmeidig die Straße, behutsam Pfote um Pfote in den Schnee setzend.

      Jeder, der an ihnen vorüberkam, blickte sie an. War es ein Herr, so musterte er zuerst seine Begleiterin, dann ihn; war es eine Dame, so galt ihm der erste Blick. Alle dachten sich etwas. Sie dachten, es sind Liebesleute, die sich gezankt haben und nun still, voneinander entfernt ihre Straße gehen. Oder sie dachten, es sind Leute, denen die aufkeimende Liebe die Lippen verschließt und schwermütige Gedanken eingibt.

      Während seine Sinne dies mechanisch beobachteten, rang seine Seele mit der fremden Gewalt, die auf ihn eindrang.

      Er wollte froh sein, wenn er wieder allein war. Auf der andern Seite jedoch fürchtete er diesen Moment und suchte er nach Möglichkeiten, ihn hinauszuschieben. Mit ärgerlichem Schrecken dachte er daran, daß er zum ersten und voraussichtlich zum letzten Male neben diesem Weibe ging, das seiner Seele nicht gleichgültig war. Und daß er es nicht verstanden hatte, diese günstige Lage auszunützen, das Wesen dieses Mädchens zu ergründen, und dadurch seine Gedanken vor der peinigenden Gier zu behüten, mit der sie ein ungelöstes Rätsel zu umkreisen pflegten.

      Da vernahm er plötzlich ihre Stimme.

      Er verstand ihre Worte nicht und mußte sich erst ihren Klang ins Gedächtnis zurückrufen, bevor er sie erfaßte.

      „Kennen Sie denn meine Gedichte?“ antwortete er lächelnd, erfreut, daß das Stillschweigen gebrochen war.

      Sie hatte gesagt: Ich kenne ein Gedicht von Ihnen, Herr Ginstermann, das sehr schön ist.

      „Ja,“ erwiderte sie, „ich habe sie gelesen. Ein Herr machte mich darauf aufmerksam. Viele sind mir zu herb, zu bitter, aber dieses eine ist sehr schön, und ich empfand das Bedürfnis, Ihnen das zu sagen, bevor wir uns trennen. Es heißt: Martyrium.“

      „Das war mein erstes, Fräulein Schuhmacher.“

      „Ihr erstes?“

      „Ja. Ich trottete meine Straße. Da kam es. Ganz von selbst, ich hatte früher nie Verse geschrieben.“

       Sie schwieg und blickte sinnend zu Boden.

      Da erschrak Ginstermann. Diese wenigen Worte erlaubten ihr, eine Menge Schlüsse auf sein damaliges Innenleben zu ziehen.

      „Der Gedanke ist schön, und das Bild ist schön,“ fuhr sie leise fort, „es hat einen tiefen Sinn. Ich kenne kein Gedicht, das einen so tiefen Eindruck in mir hinterlassen hätte.“

      Er


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