Yester und Li. Bernhard Kellermann

Yester und Li - Bernhard Kellermann


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Um so seltsamer erschien es ihm, daß sie darauf gekommen war.

      Das Gedicht war sehr einfach. Ein Mann, der vor einem Weibe in unverhüllter Schönheit kniet, bittet es, ihm den Dornenkranz der Liebe, mit dem es ihn krönt, tief, tief ins Haupt zu drücken.

      „Hier bin ich nun zu Hause,“ sagte Fräulein Schuhmacher und blieb stehen.

      Sie standen vor einer Villa in modernem Stile, deren originelle Architektur Ginstermann schon früher aufgefallen war. Zwei Fenster der ersten Etage waren matt erhellt, als läge ein Kranker im Zimmer.

      Ginstermann griff an den Hut, da es sich nicht schickt, eine Dame vor der Türe noch zu verhalten.

       Aber sie schien es nicht zu bemerken.

      Ihr Blick ruhte auf seinem Antlitz, und wieder gewann er die Vorstellung, als suche sie nach irgend etwas.

      „Wir sahen uns übrigens schon einmal,“ begann sie von neuem, und ihr Blick traf voll den seinigen.

      An diesem Blicke erkannte er sie.

      Hier ist ein Mensch! dachte er, freudig erschreckend. Er fühlte, wie die Erregung in langer Welle durch seinen Körper lief.

      Diese Augen waren hell und durchsichtig, als brenne ein Licht hinter ihnen. Er wußte, hinter diesen Augen wohnt jemand.

      „Ja, im Hoftheater,“ erwiderte er, und er lächelte und blickte ihr in die Augen. Es erschien ihm, als seien sie langjährige Bekannte.

      „Ich verwechselte Sie damals mit jemandem,“ fuhr sie fort, und ihre Lippen zuckten sonderbar, als unterdrückte sie ein Lächeln.

      Er habe das sofort bemerkt.

      Fräulein Schuhmacher blickte zum Himmel empor, aus dem große nasse Flocken fielen.

      „Es taut,“ sagte sie, „ich glaube, es wird nun wirklich Frühling.“

      Das klang einfach, aber eine krankhafte Sehnsucht nach dem Frühling lag in dem Tone ihrer Stimme und den Blicken, mit denen sie die großen Flocken verfolgte.

      Dann bot sie ihm die Hand, indem sie ihm für die Begleitung dankte. Sie sah ihn dabei an, aber es schien, als blickte sie durch ihn hindurch.

      Ginstermann entgegnete: „Ich danke, Fräulein Schuhmacher.“ Das „Ich“ betonend.

      Sie blickte ihn mit leichter Verwunderung an.

      Er aber wiederholte: „Ich danke.“ In der gleichen Betonung.

      Da drückte sie ihm die Hand, jedoch ohne eine andere Sprache als die der Höflichkeit einer modern denkenden Dame.

      „Adieu,“ sagte sie, „auf Wiedersehn.“

      „Adieu,“ sagte er.

      Sie nickte und ging. Im Augenblick war sie verschwunden.

      Ein dunkles, schweres Tor glitt lautlos hinter ihr ins Schloß, lautlos, unaufhaltsam.

      Ginstermann stand allein auf der Straße. Plötzlich fühlte er, daß es düster und kalt war.

      Er stand noch eine Weile, dann wandte er sich und machte einige zögernde Schritte. Etwas hielt ihn zurück. Und nun blitzte es auf. Sie hatte gesagt: auf Wiedersehen. Sie hatte gesagt: auf Wiedersehen. Er hörte ganz deutlich ihre geschmeidige, leicht verschleierte Stimme. Aber das allein war es nicht.

      Er ging wieder auf die Stelle zurück, wo er sich von ihr verabschiedet hatte, gleichsam als höre er hier ihre Stimme mit größerer Deutlichkeit in seinem Gedächtnis wiederklingen.

      Sie hatte das „Wieder“ betont. Das war es.

      Es war keine Höflichkeitsformel, mechanisch gesprochen. In dieser Betonung lag der Wunsch, ihn wiederzusehen und zugleich eine gewisse Freude, ihn kennen gelernt zu haben.

      Nun erst ging er seiner Wege.

      Nach geraumer Zeit bemerkte er, daß er die verkehrte Richtung eingeschlagen hatte.

      Er machte Kehrt und überschritt, als er sich der Villa näherte, die Straße, um nicht gesehen zu werden.

      Im Eckzimmer der ersten Etage war Licht. Rötliches, sanftes Licht, das durch das geöffnete Fenster wie feiner Dunst in die Straße hauchte.

      Er erschrack, ohne zu wissen weshalb, als er es bemerkte.

      Da wanderte die Flamme einer Kerze an den dunklen Fenstern der anstoßenden Zimmer vorbei und verschwand in dem Zimmer, das matt erleuchtet war.

       Ginstermann stand, verborgen im Schatten einer Pappel, und wartete. Er wartete lange und in sonderbarer Erregung, als spiele sich in dem Zimmer da droben etwas ab, was entscheidend für sein Leben sei. Und doch war es nur der Besuch eines Kindes bei seiner Mutter, vor dem Schlafengehen.

      Die großen, weißen Flocken fielen langsam auf ihn herab, ihn gleichsam durch ihr geheimnisvolles, sanftes Abwärtsgleiten in einen Zustand der Betäubung versetzend.

      Das Licht erschien wieder und wanderte an den Gardinen vorüber. Aus seinem Auf und Ab erkannte er ihren Schritt. Er bildete sich ein, das Schließen einer Türe zu vernehmen.

      Und nun erschrak er, daß er unwillkürlich tiefer in den Schatten zurücktrat.

      Sie war ans Fenster gekommen. Und sie blickte genau auf den Baum, der ihn verbarg.

      Etwas wie eine tödliche Angst packte ihn, sie könne ihn durch den dicken Baum hindurch bemerken.

      Zum ersten Male sah er, wie schlank sie war!

      Endlich wandte sie den Kopf, und er atmete auf.

      Sie trat zurück und schloß das Fenster. Er hörte es, als stände er dicht darunter, über ihre Hand, die den Knopf drehte, flossen die Vorhänge zusammen, und fingen den Schatten ihrer Gestalt auf.

      Das Verlangen erfaßte ihn, irgend etwas zu unternehmen, zu rufen, irgend etwas zu rufen, nur um sie noch eine Sekunde zurückzuhalten.

      Da wurden die Vorhänge licht.

      Er ging nach Hause.

      Ginstermann verlebte die folgenden Wochen in gewohnter Zurückgezogenheit.

      Wie früher ließ er sich des Mittags seine Mahlzeit auf das Zimmer bringen, um nicht genötigt zu sein, in einem lärmenden Lokal zu speisen und mit gleichgiltigen Leuten ein Gespräch führen zu müssen. Nur des Abends, wenn die Dämmerung herabsank, und es dunkler war, als wenn alle Lampen in den Straßen brannten, verließ er zuweilen das Haus, um einen kurzen Spaziergang zu unternehmen. Diese Spaziergänge benutzte er dazu, sich in Gedanken auf die Arbeit des Abends vorzubereiten.

      Die Ereignisse jenes Abends hatten ihm zu denken gegeben.

      Zu nüchterner Vernunft zurückgekehrt, hatte er mit Erstaunen wahrgenommen, mit welcher Schnelligkeit er die Herrschaft über seine Seele verloren. Wenn er sich daran erinnerte, wie er hinter der Pappel stand und auf das schlanke Mädchen am Fenster blickte, so sah er gleichsam einen Fremden vor sich, dessen Gebaren er kopfschüttelnd und mitleidig lächelnd beobachtete.

      Er erklärte sich diese Erregung als eine Reaktion seines Gehirns, das sich seit Jahren in rastloser Tätigkeit befand, immer auf der Flucht vor alten und der Jagd nach neuen Gedanken, sich kaum die notdürftigste Ruhe und Zerstreuung gönnend.

      Jenes unscheinbare Erlebnis war für ihn das gewesen, was für den Nüchternen ein Schluck Wein ist, es hatte ihn berauscht. —

      Ginstermann hatte früher ein Leben ohne Maß und Ziel gelebt, teils von seinen lebendigen Sinnen getrieben, teils von dem Wunsche, den Hunger seiner Seele an möglichst vielen Eindrücken zu stillen. Erst seine reisende Erkenntnis gebot ihm eine Regulierung seiner Lebensweise, wenn er seine Seele nicht durch Erinnerungen überlasten wollte.

      Sie riet ihm zur Vorsicht angesichts der Empfindsamkeit seiner Seele, die eine Leidenschaft in jungen Jahren noch gesteigert hatte.

      Jahre


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