Yester und Li. Bernhard Kellermann

Yester und Li - Bernhard Kellermann


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Sein Betragen erschien ihm albern und kindisch. Sein Stolz erwachte. Sein wahnwitziger Stolz, der es für entwürdigend hielt, sich mit einer anderen Person zu beschäftigen als der eigenen.

      Dieser Stolz rief ihm zu: Bist du es, Ginstermann? Bist du des Alleinseins schon müde?

      Dann vergrub er sich wieder in seine Arbeit, grübelte er über seinen Problemen und wandelte er auf der freien, selbstherrlichen Höhe seiner Vernunft.

      Aber da war eine Sehnsucht in ihm, die zuerst leise nagte, pickte, dann pochte, brauste, um endlich wie ein Sturm durch ihn zu fahren, der ihn vor sich hertrieb.

       Er erschien wieder in der Nähe der Villa, morgens, mittags, nachts.

      Er schrieb in Gedanken tausend Billette, um sich ihr zu nähern.

      In trockenem, sachlichen Tone dankte er ihr darin für ihren Gruß und grüßte er sie wieder.

      Hätte er nicht das Recht dazu? Hatte sie ihm nicht ebenfalls geschrieben?

      Aber er zerriß sie auch alle wieder in Gedanken und warf die Schnitzel sorgfältig in den Ofen. Er, jener Ginstermann, der die dünkelhafte Flachheit des Weibes, sein halbtierisches Wesen in Aphorismen und Zynismen gegeißelt hatte, die die Runde in der Bohême machten, sollte ein Billet an eine junge Dame schreiben? Und wenn auch diese junge Dame zehnmal besser war als ihre Schwestern, lauerte nicht das Weib in ihr?

      Was trieb ihn zu ihr? Weshalb hatte sie ihm geschrieben? Wer war sie?

      Es waren stets die gleichen Gedanken, die in seinen Reflexionen wiederkehrten wie die Figuren eines mechanischen Theaters.

      Seine Überzeugung ging dahin, daß es das beste sei, sich von diesen Ideen zu befreien, wenn er sich Klarheit über das Mädchen verschaffte. Würde er sie einigemal gesprochen haben, so konnte er sich ein sicheres Urteil bilden und demgemäß handeln.

      Aber er vermochte sie nirgends zu finden. Vermutlich saß sie in einer Laube des Gartens, der über die Villa blickte, mit Büchern und Zeitschriften ihre Tage verbringend.

      Zu Kapelli kam sie schon lange nicht mehr, die Büste war längst fertig. Ein paarmal hatte sie die Bildhauersleute besucht, aber stets zu einer Zeit, wo er abwesend war.

      Endlich löste sich das Rätsel.

      Er hatte eine halbe Nacht im Café zugebracht, um mittels Lektüre diese wie Schildwachen in seinem Kopfe hin- und hergehenden Gedanken zu verscheuchen, und wollte vor dem Nachhausegehen sich — wie er es nannte — nach ihrem Befinden erkundigen.

      Da bemerkte er noch Licht in ihrem Zimmer. Aber es war kein Licht, bei dem man liest oder schreibt, es war gedämpftes, sorgfältig gedämpftes Licht, wie es in Krankenzimmern brennt.

      Er erschrak bei dieser Wahrnehmung, als sei etwas Übernatürliches geschehen.

      Nun wußte er es: sie war krank.

      Der Schmerz übermannte ihn augenblicklich. Er nahm den Hut ab, stand starr wie eine Säule und flüsterte: Sie ist krank.

       Er trottete nach Hause, immer wieder stehen bleibend und wiederholend: Sie ist krank.

      In seinem kahlen, trostlos toten Zimmer angekommen, nahm er einen Blaustift und schrieb mit großen, stumm-wehklagenden Lettern an die Wand: Sie ist krank.

      Er blies das Licht aus. Ach, wozu brauchte er Licht.

      Er schritt in seinem Zimmer auf und ab, immerzu.

      Seine Schritte sagten: Sie ist krank. Seine Uhr sagte: Sie ist krank. Krank, krank, knarrte eine lockere Diele.

      Draußen sang der Südwind. Der Tag graute. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

      Zwei Herren kommen die Granittreppe herab, gehen durch den Vorgarten hindurch.

      Der eine ist alt, lächelt das Lächeln des Stoikers in seinen weißen Bart, der andere ist jung, hübsch und schmalbrüstig. Er hat die rosigen Wangen eines Kindes.

      Ginstermann steht hinter einer Litfaßsäule und beobachtet sie. Er will aus ihren Mienen lesen, was in den Gehirnen dieser beiden vorgeht. Aber das Gesicht des Alten ist verschlossen und verbirgt alles hinter diesem stoischen Lächeln, das Gesicht des Jungen ist zu hübsch, um Gedanken verraten zu können.

      Sie gehen an ihm vorüber. Der Alte sagt, mit dem Kopfe nickend, als sei er mit einer Stahlfeder am Rückgrat befestigt: Jawohl, jawohl, jawohl. Sein Handschuh entfällt ihm. Der Junge bückt sich rasch und gelenkig und hebt ihn auf.

      Danke, sagt der Alte, — jawohl.

      Sonst vernimmt er nichts.

      Er folgt den beiden. Im Abstand von zwanzig Schritten. Aber ihre Gestikulationen sind korrekt und beherrscht, auch sie verraten nichts.

      Hinter dem Siegestor ist der Junge plötzlich verschwunden, spurlos, als sei er in die Luft zerstoben. Der Alte aber geht langsam mit steifen Schrittchen die Straße hinauf. Er tritt in ein Haus, verläßt es nach einer Viertelstunde wieder. Er biegt in eine Seitenstraße, tritt abermals in ein Haus, verläßt es nach einer Viertelstunde wieder. Das wiederholt sich einigemal.

      Endlich verschwindet er hinter einem Portale. Er kehrt nicht zurück. Ein großes Emailschild ist an dem Portale angebracht, darauf steht: Wirkl. Geheimrat Prof. Dr. von Gagstetter.

      Ginstermann begibt sich in das nächstbeste Zigarrengeschäft.

       „Pardon,“ sagt er, „ich will nichts kaufen, ich möchte Sie um eine Gefälligkeit ersuchen. Das Adreßbuch, bitte sehr. Es ist da etwas vorgekommen, man braucht einen Arzt, einen Spezialisten.“

      Eine Dame überreichte ihm das Buch. „Bitte schön,“ sagt sie höflich, ihn mit dem Interesse der Teilnahme betrachtend.

      G, g — g — a b c d — g

      Gagstetter — Spezialist für Krankheiten der Atmungsorgane.

      „Danke, vielen Dank!“

      „Bitte schön.“

      Inhaltsverzeichnis

       Bernhard Kellermann YESTER und LI Die Geschichte einer Sehnsucht

       I.

       II.

       III.

       IV.

       V.

       VI.

       VII.

       VIII.

       IX.

       X.

       XI.

       XII.

       XIII.

       XIV.

      


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