Yester und Li. Bernhard Kellermann

Yester und Li - Bernhard Kellermann


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erkannte, daß das, was man im allgemeinen Leben nannte, ärmlich und nüchtern war gegen ein Leben in der Phantasie, gegen die Beschäftigung mit den ewigen Ideen, die geheimnisvoll die Jahrtausende regieren, das Tun der Menschen bestimmen.

      Nach und nach war er zur gänzlichen Unfähigkeit gelangt, mit den Menschen zu verkehren.

      Er verachtete, er bemitleidete sie.

      Sie waren ihm zu wenig Luxuswesen, zu wenig Dichter, ohne freie Gefühle, ohne den Wunsch nach Flügeln. Ihre Ziele waren klein und kläglich und reichten nicht über den Tag hinaus. Die gesicherte Existenz im Himmel hatte sie vergessen lassen, daß der Mensch auch auf der Erde etwas zu vollbringen hatte.

      Seine Geschlechtsgenossen waren ihm nicht sympathisch. Ihre rohen Sinne, ihre Lüsternheit, ihre vergiftete Phantasie stießen ihn ab. Die Widerstandslosigkeit, mit der sie sich den von der Masse diktierten Gesetzen und ihren Trieben unterwarfen, machte sie ihm erbärmlich.

      Das Weib schien ihm erst auf einer Durchgangsstufe zum Menschen angelangt zu sein. Das Unklare, Vorurteilsvolle, das Spekulierende, das wenig Schöpferische, seine Freude an glitzernden Dingen ließen es ihm als ein Wesen erscheinen, das um tausend Jahre hinter dem Manne zurück war und sich nicht Mühe gab, diesen Vorsprung einzuholen. Es lebte von den Erkenntnissen des Mannes, ohne dies einzugestehen und ihm Dank zu wissen, es lebte von seiner Seele, ohne ihm etwas dagegen zu geben.

      Auf die Suche zu gehen nach einem Gefährten, einer Gefährtin, hatte er schon lange aufgegeben, da ihn die Erfahrung lehrte, daß in jedem neuen Menschen wieder der alte steckte, dem er mißmutig und gelangweilt den Rücken gedreht hatte.

      Nicht als ob er in Zeiten geistiger Ebbe nicht unter seiner Vereinsamung gelitten hätte. Es geschah manchmal, daß er des Nachts mit fiebernden Augen in die wogenden Visionen seiner Phantasie starrte, und gleichzeitig sein Herz in ihm vor Hunger und Sehnsucht pochte.

      Er war entstanden aus Mann und Weib und deshalb zerklüftet. Er hatte das empfindsame, lebensfrohe Gemüt seiner Mutter geerbt und den hochmütigen Verstand seines Vaters. Diese beiden, Gemüt und Verstand, lebten in ungleicher Ehe. Er pflegte über seine weichen Empfindungen spöttisch zu lächeln. Er stand skeptisch jeder Erscheinung gegenüber und entkleidete sie des Tandes, mit dem gutmütige Dummköpfe sie geschmückt. Im Grunde seiner Natur aber lebte das Bestreben, alle Dinge wiederum zu verklären und mit einem Schmucke zu versehen, wie ihn seine Seele liebte.

      In den folgenden einsamen Abenden, die ihm eine ruhige Sammlung seiner Gedanken erlaubten, gelang es ihm, die Fremdkörper wiederum auszuscheiden, die seiner Seele gefährlich zu werden gedroht hatten.

      Er machte Nachträge in sein Tagebuch, revidierte seine Aufzeichnungen, blätterte in alten Manuskripten, ließ wieder und wieder die ewigen Fragen Revue passieren, nach neuen Gesichtspunkten, neuen Perspektiven suchend.

      Indem er die Entwicklung seines inneren Menschen überblickte, erkannte er mit Deutlichkeit, daß sein Weg in die Höhe führte. Abgründe lagen zwischen ihm und der Welt. Und alle Brücken waren gefallen. Er hatte ihre Irrtümer und Götzen überwunden.

      Mit Genugtuung bemerkte er, daß er gewachsen war, seit er sich das letzte Mal sah, daß seine Seele fortfuhr, ihr Licht in die Finsternis zu schleudern.

       Und mit dieser Erkenntnis kam frischer Mut über ihn und neuer Stolz. Ein ungestümer Schaffensdrang erfüllte sein Wesen. Fiebernd vor Schaffensfreude und Finderglück verbrachte er seine Tage und Nächte.

      Draußen schneite und stürmte es. Es war ihm gleichgültig, ob das Jahr vorwärts oder rückwärts ging.

      Der Vorfall von neulich entwich in weite Fernen und verlor an Leben und Bedeutung. Das schlanke Mädchen tauchte nur dazwischen in seinen Gedanken auf und versuchte ihn mit großen, schimmernden Augen zu bannen. Aber sie brachten ihm keine Gefahr mehr. Blick und Farbe erloschen, sobald er es wollte.

      Und nur, wenn sein Gehirn müde war von langer Arbeit, stieg der Wunsch in ihm auf, das Mädchen wiederzusehen, sich zu erfreuen am Klange dieser Stimme, der Klarheit dieser Augen. Aber des Morgens erwachte er stets heiter, sorglos und ohne Wünsche.

      Der Wert jenes Weibes verringerte sich keineswegs in seiner Vorstellung. Er war überzeugt, daß sie einen reiferen, höheren Typus repräsentierte, als ihre Schwestern, die er kannte.

      „In seinem Herzen jedoch wohnte die Sehnsucht nach einem Weibe hinter den Sternen. Singe hieß sie, das ist: ich bin nicht.“

      Seine Gefühle gehörten den Gestalten, die er schuf, seine Gedanken gehörten ihnen.

      Seine Seele gehörte seiner Arbeit, seinem Ziele.

      Es war nun wirklich Frühling geworden.

      Finsternis und Rauch des Winters waren verschwunden, und die Kälte vorüber, die einem wie eine Katze ins Genick sprang, wenn man das Haus verließ.

      Über den Häusern wölbte sich ein wolkenloser Himmel gleich einer ungeheuren Flagge von blaßblauer Seide. Weiche, laue Luft hauchte durch die Straßen. Die Stadt erschien wie aus einem klaren, duftenden Bade gestiegen.

      Die Trottoire waren reingefegt von Sand und Schlacke, erfüllt von Spaziergängern. Jeder, dem es möglich war, ging zu Fuß, um die herrliche Luft und die wärmende Sonne zu genießen. Man trug Kleider von hellerer Farbe, und aus den Herzen der Menschen war der Mißmut entwichen, den der zu Ende gehende Winter erzeugt. Aus ihren Augen spiegelte der junge blaue Himmel. Wagen, besetzt mit Frauen und Kindern in schmucken Frühlingsgewändern, flogen an den Spaziergängern vorüber, und aus den Gesichtern der Insassen strahlte die Freude, bald den Wald und die Wiesen zu sehen.

      Ginstermann hatte den Entwurf seines Dramas beendigt und benutzte das verlockende Wetter, um sich zu erholen, neue Kraft und neuen Blick für die Ausarbeitung zu gewinnen. Er wanderte stundenlang in den Straßen umher, mit wachen Augen und Ohren für alles, was um ihn vorging.

      Er trug einen hellen Sommeranzug, der ihn ganz veränderte. Mit seinen schwarzen Augen und Haaren, dem elfenbeingelben Teint seines schmalen Gesichtes erschien er wie ein Südländer. Die ewige Zigarette im Munde, schlenderte er einher, wie einer, der den ganzen Tag nichts zu tun hat, als spazieren zu gehen und Zigaretten zu rauchen.

      Auf einer dieser Promenaden — es war gegen Abend — sah er sie. Fräulein Bianka Schuhmacher.

      Und ein eigentümliches Erschrecken durchlief ihn, als er sie gewahrte.

      Eine schlanke Dame ging mit einem Herrn über den Odeonsplatz. Gestalt und Gang dieser Dame riefen augenblicklich das Bild von Fräulein Schuhmacher in ihm wach.

      Voller Spannung sah er sie näherkommen.

      Sie trug ein graues Jackett, das ihr bis an die Knie reichte, einen kleinen schwarzen Hut mit silbergrauem Schleier herum.

      Sie bemerkte ihn nicht, sie plauderte eifrig und vergnügt mit ihrem Begleiter. Dieser war schlank, schmalbrüstig, größer noch als sie, mit hübschem, für einen Mann zu hübschem Gesicht, dessen Teint an den eines Kindes erinnerte. Er trug einen dünnen blonden Schnurrbart, und über seine Wange lief ein haarfeiner Schmiß.

      Kleidung und Bewegungen verrieten den Mann der feinen Gesellschaft, dem der Sinn für das Korrekte, Tadellose angeboren ist.

      Sie gingen nun gegenüber von ihm, eine Straßenbreite entfernt.

      Der blonde hübsche Herr schüttelte leicht den Kopf voller Vergnügen über eine Bemerkung seiner Dame.

      Er hörte das Mädchen sprechen und den Herrn antworten. Er verstand nichts, nur, daß er „Du“ zu ihr sagte.

      Da hielt sie plötzlich im Plaudern inne, und ihr Blick traf unvermittelt den seinigen. Groß, ruhig, mit einem verborgenen Lächeln in den Augen sah sie ihn an.

      Er zog den Hut.

      Sie dankte, aber mehr mit den Augen als dem Neigen des Kopfes, das kaum wahrnehmbar war.

      Der blonde hübsche Herr grüßte hastig und tief,


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