Der rote Champion. Marie Madeleine
kenne das Höllische deiner Bowlenmischung gerade zur Genüge.« — —
Der andere hielt ihm lachend ein neu gefülltes Glas hin.
Borndorf kämpfte ein paar Augenblicke mit sich, aber er widerstand der Versuchung.
»Man muss sich auch etwas versagen können!« entschied er.
Herzlichen Abschied von den Kameraden, — ein Gruß zu Dahlwegs Tisch hinüber, — dann ging er.
Alice sah ihm nach, ganz versunken in süße Träume, aus denen sie recht unsanft durch den roten Champion geweckt wurde.
»Ich weiß nicht, was Sie an dem kleinen Idioten finden!« sagte er brüsk zu ihr.
Alice war tödlich beleidigt. Weniger dadurch, dass ihre Gefühle so rau ans Licht gezerrt wurden, als durch die geradezu entsetzliche Bezeichnung, mit welcher der Freiherr von Hof ihr Ideal bedachte.
»So — Idiot?« sagte sie empört, »es ist mir rätselhaft, wie Sie auf diese Bezeichnung kommen, Herr von Hof! Der spricht besser Französisch als Sie — — und englisch kann er auch ein bisschen, und Klavierspielen kann er auch, wenn auch nicht gerade sehr gut — —«
»Und tanzen kann er auch, und sogar singen tut er, wenn er gereizt wird!« ergänzte der rote Champion.
Fräulein von Nordstetten fand vor Empörung keine Worte mehr.
Aber die Turfkomtess mischte sich jetzt ins Gespräch.
»Ihre Art, über einen Kameraden zu sprechen, ist jedenfalls bemerkenswert, Baron!« sagte sie kühl.
Der rote Champion erwiderte nichts, aber er war blass geworden.
Ein ungemütliches und verlegenes Schweigen lagerte über der Gesellschaft, und die Stimmung hob sich erst dann, als Herr von Hof sich verabschiedet hatte.
»Grässlicher Mensch!« sagte Alice aus tiefster Seele.
Graf Balz stimmte ihr zu, sagte jedoch gleich darauf: »Aber ein kolossal schneidiger Soldat ist er jedenfalls.« —
»Und reitet wie ein Gott,« ergänzte Leutnant von Meerenburg bewundernd.
»Na, na, es gibt sicher bessere Reiter!« trotzte Alice.
»In Deutschland nicht!« mischte sich Graf Dahlweg ins Gespräch, »nein wirklich, Alice, das verstehst du nicht; er ist bestimmt unser bester Herrenreiter.
Und was sein wenig liebenswürdiges Wesen anbetrifft, so muss man eben die Geschichte seiner Jugend berücksichtigen.«
»Was für eine Geschichte?« fragte Alice neugierig.
»Nun — — — er hat seine Eltern früh verloren,« erwiderte Dahlweg mit leichter Verlegenheit und bemühte sich, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
Später, als seine Tochter und seine Nichte eifrig einer fabelhaften Jagdgeschichte des Grafen Balz lauschten, sagte er leise zu Meerenburg: »Kennst du eigentlich die Sache mit Hofs Eltern, Vetter?«
»Nein.«
»Es war ja auch lange vor deiner Zeit. Weißt du, Hofs Mutter war eine geborene Wetterau, eine Tochter von dem tollen Wetterau, der seine acht Güter verjeute. Na, da er ihr nichts anderes zu vererben hatte, so hat er seiner Tochter den Leichtsinn vererbt; als junges Mädchen ging es noch; sie hielt sich ganz gut, aber nachher, als Hof sie geheiratet hatte, ließ sie sich die Cour machen, dass es schon nicht mehr schön war. Ob sie nur flirtete oder ob sie sich wirklich gegen ihre Pflichten als Gattin verging, — wer will das entscheiden!
Jedenfalls nach einigen Jahren kam die Geschichte zum Klappen. Hof schoss sich mit einem Vetter seiner Frau, einem ganz jungen Kerl von den Kronprinzhusaren. Es war wohl weniger Absicht von dem kleinen Husaren als ein unglücklicher Zufall: — der Ehemann bekam eine Kugel in die Lunge und war in zwei Minuten tot. Schade! Hof war ein reizend netter Mensch.
Na, — was die Frau anbetrifft, so weiß man nicht, was aus ihr geworden ist. Sie ging nach Amerika, nachdem die Verwandten ihres Mannes ihr das einzige Kind korrekterweise weggenommen.
Dies Kind, der rote Champion, war damals höchstens fünf Jahre alt und verstand noch nichts von dieser schauderhaften Geschichte. Aber er hat sie wohl früh genug verstehen gelernt, — viel zu früh —
Und ich glaube, das hat den schlimmen Einfluss auf sein Leben gehabt. Wenn ein Mensch seine eigene Mutter verachten muss —«
Graf Dahlweg unterbrach sich.
Er hatte zu bemerken geglaubt, dass eine purpurne Röte in dem Gesicht seiner Tochter aufflammte.
Sollte sie etwas von seiner Erzählung gehört haben?
Aber nein! Sie war sicher viel zu wohlerzogen, um einem Gespräche zu lauschen, das nicht für ihre Ohren bestimmt war.
Und ihre Stimme klang so kühl wie immer, als sie ihrem Vater Gute Nacht sagte.
»Also um fünf gehen wir zur Morgenarbeit auf die Bahn. Ich werde bestellen, dass man dich um vier Uhr weckt, Papa.« —
III. Kapitel
Alice hatte noch ein paar Minuten lang von Borndorf phantasiert und war dann eingeschlafen.
Thea aber lag schlaflos in den Kissen und schaute durch das offene Fenster hinaus in die Mondnacht, die alles in Silberschein hüllte. Sie dachte an den roten Champion, an seine kalten Augen und an seine harte Stimme, an die tolle und sieghafte Art, mit welcher er heute das Rennen gewonnen hatte. Sie dachte an die Geschichte, welche ihr Vater heute dem Vetter Meerenburg erzählt hatte.
O, gewiss war es die schwere Sünde seiner Mutter gewesen, die den Freiherrn von Hof zu dem gemacht, was er war: zu einem Manne, dem nichts heilig war im Himmel und auf Erden! — Und plötzlich musste Thea an die Sage vom armen Heinrich denken, an jenen tapferen Ritter von der Aue, dem der Aussatz am Leben fraß. Nur durch den freiwilligen Opfertod einer reinen Jungfrau konnte er gerettet werden, nur durch ein Wunder. Und das Wunder kam, und die Liebe, die stärker ist als der Tod, heilte ihn von seinen Wunden und Schwären.
So wie der Aussatz am Körper des kranken Heinrich fraß, so fraß er an der Seele des roten Freiherrn.
Und diese arme Seele war so wund, war so voll böser Krankheit und Gebresten! Sollte nicht auch hier die Liebe das Wunder der Heilung vollbringen können? Theas Körper erschauerte in einem heißen Gefühl von Mitleid, von Opfersehnsucht, — von Liebe. —
Sie schlief nicht viel in dieser Nacht. Als die ersten Strahlen der Morgensonne durch das Fenster leuchteten, war sie schon vollkommen zum Ausgehen angekleidet.
»Lange warte ich wirklich nicht mehr,« erklärte sie strafend ihrer Cousine, welche sich nicht entschließen konnte, aufzustehen. Sie gähnte unaufhörlich und machte Thea Vorwürfe, dass sie sie aufgeweckt. »Ich träumte gerade so etwas Schönes von Borndorf,« schmollte sie.
»Aber du wirst ihn ja gleich in Wirklichkeit sehen, Alice; mach’ dich doch endlich fertig; wir sollen um 5 Uhr auf der Bahn sein und es ist schon halb.«
»Du sollst sehen, wir kommen noch zur Zeit, — wenn ich erst anfange, geht es wie der Blitz!«
Und Alice behielt Recht. Mit dem Schlage 5 Uhr betrat Graf Dahlweg mit seinen Damen die Rennbahn.
Die Morgensonne, die nur leuchtete und noch nicht brannte, übergoss das Gelände mit Strömen matt goldenen Lichtes. Über der am Tage so dürren Grasnarbe lag der feuchte, blitzende Schleier des Morgentaues. Der kleine See, links vom Torbeger Bogen, glänzte wie ein geschliffener Saphir; die fernen Höhenzüge mit ihren dunklen Riesentannen zeichneten sich in schwarzen zackigen Linien von dem hellen Blau des Himmels ab und gaben einen seltsam ernsten Rahmen für das in Sonnengold und Himmelsbläue getauchte Morgenbild.
»Wieviel hübscher es hier doch jetzt ist, als zum