Der rote Champion. Marie Madeleine

Der rote Champion - Marie Madeleine


Скачать книгу
man doch; das bleibt schon das Beste.«

      Mit dieser hygienischen Schlussbemerkung war er gegangen.

      »Er nimmt’s wirklich ernst mit seinem Rennreiterberuf,« meinte Dahlweg, ihm nachblickend.

      »Ja, er übertreibt es sogar,« entgegnete Balz, »ich bin doch wirklich kein Diensthuber, aber was zu viel ist, ist zu viel; dabei muss der Dienst leiden. Sehen Sie, Borndorf sprach ja selbst erst davon: Heute Nachmittag reitet er drei Rennen, Dienstag reitet er in Hamm, Donnerstag in Magdeburg, nächste Woche in Harzburg und in Karlshorst. Er ist doch wahrhaftig mehr auf den Rennplätzen als im Regiment. Na, so lange Prinz Hohenast Kommandeur ist, kann er es sich leisten; wenn nächstens ein anderer das Regiment bekommt, dann wird es wohl Schwierigkeiten geben.«

      »Auch das noch,« klagte Alice, »Borndorf hat es so schon schwer; immer zu nachtschlafender Zeit aufstehen, und die vielen Pferde reiten und alle die Reisen kreuz und quer durch Deutschland, — nein, wirklich, das muss ihm ja schaden.«

      »Er überanstrengt sich wohl wirklich,« mischte sich Thea ins Gespräch.

      »Und die ewige Lebensgefahr,« fuhr Alice fort, deren Redestrom, wenn sie einmal begonnen, nicht so leicht zu unterbrechen war, »er riskiert doch jedes Mal, sich alle Glieder zu brechen. Was hat er denn schließlich von der ganzen Geschichte? Höchstens, dass er noch so eine furchtbare Glasbowle bekommt wie neulich beim Totalisator-Jagdrennen oder vielleicht wieder eine bronzene Kamingarnitur; sechs hat er schon, und einen Kamin hat er nicht!«

      »Aber ich bitte dich,« rief Thea entrüstet, »was redest du da! Man reitet doch nicht um die Preise, sondern um die Ehre! Ich kann mir überhaupt nichts Schöneres denken, als so über den grünen Rasen zu galoppieren, im heißen Wettstreit mit den Kameraden, jeder Nerv gespannt bis zum Zerreißen in fieberhaftem Verlangen nach Sieg. Wenn ich ein Mann wäre, ich wüsste mir keinen schöneren Beruf.«

      »Aber die vielen Unbequemlichkeiten,« warf Alice ein. Und Graf Balz stimmte ihr wie gewöhnlich zu, indem er, zu Thea gewendet, sagte: »Ja! Komtess, die Unbequemlichkeiten — dass man in der Gefahr einen Reiz erblickt, ist ja möglich, aber die Unbequemlichkeiten, diese täglichen kleinen Entbehrungen —.«

      »Aber in denen steckt ja gerade der sittliche Wert,« unterbrach Thea, »natürlich ist es leichter, sich einmal für ein paar Augenblicke in kühnem Entschluss zusammenzuraffen, als mit eiserner Konsequenz sich lange Zeit hindurch straff im Zügel zu halten, — alle die vielen Kleinigkeiten, nicht alles zu essen, was einem schmeckt; sich im Trinken beständig Maß aufzulegen, zu Bett zu gehen, wenn man noch lieber aufbleiben möchte und aufstehen, wenn man noch gern weiterschlafen will, — dazu gehört Charakter!«

      »Nun hör’ mal einer mein Töchterchen an,« lächelte Graf Dahlweg.

      »Moralphilosophie der Rennbahn,« murmelte Balz.

      »Ach, Philosophie ist immer langweilig,« rief Alice. »Und die Rennen sind meistens auch nicht sehr amüsant! Ich wollte es wäre Abend!« —

      Und endlich war der Abend da. Es war nicht gerade eine sehr illustre Gesellschaft, die sich in dem kleinen Saale des Kurhauses zusammengefunden hatte.

      Eine Menge der Spießbürgerfamilien, welche für die Sommerferien in diesem kleinen thüringischen Badeort weilten, saßen, festlich aufgeputzt an den Wänden des Saales und schauten mit unverhohlener Neugierde und heimlicher Bewunderung auf die paar Dutzend ›Rennleute‹, die sich im gleichen Raume befanden. Die Leute vom Turf glichen einer Phalanx, und die Mauer, die sie umgab, war — wenn auch unsichtbar — doch unübersteiglich. Die Spitze der Formation bildete der immer noch schöne Oberst von Herzogheim. Er gab seine Feldherrnstellung, die ihm viele bewundernde Blicke von Seiten des schönen Geschlechts eintrug, sehr plötzlich auf, um sich mit einer der jüngsten jungen Damen im Walzer zu wiegen, und mit der leichten Blasiertheit, die Kennzeichen der modernen Jugend ist, folgten die Kronprinz-Husaren dem Beispiel ihres Kommandeurs.

      O, sie waren nicht so enthusiastisch, wie der ›immer noch schöne‹, der ›ewigjunge‹, welcher den Damen aller Altersklassen Komplimente zu sagen pflegte, die er selbst als ›faustdick‹ bezeichnete. Trotzdem — oder vielmehr gerade deswegen — schwärmte eine Unzahl weiblicher Wesen für den Oberst, der — quel comble! — Junggeselle und reich war. Auf diese letztere Tatsache pflegten die Leutnants, in uneingestandener Eifersucht, sämtliche Erfolge ihres schönen Kommandeurs zu setzen.

      Natürlich hatte diese Ansicht nur teilweise Berechtigung. Die unleugbar vorhandenen persönlichen Vorzüge Herzogheims verfehlten nie ihre Wirkung, und wer ihn jetzt mit eleganter Geschmeidigkeit und sichtbarem Enthusiasmus mit Alice von Nordstetten durch den Saal fliegen sah, fand seinen Ruf als Damengünstling durchaus berechtigt.

      Jedenfalls zeigten seine Leutnants weniger heiliges Feuer als er; au fond fanden sie, das Tanzen sei bei der Hitze nur eine mäßig angenehme Beschäftigung. Gewiss, es waren ja ein paar nette, junge Damen da, aber mit denen plaudert es sich bei Picknicks und Gartenfesten doch besser, als beim Tanzen. Na, aber wenn der Kommandeur tanzte —! »Nur Mut!« ermunterte Karlchen, der jüngste Leutnant des Regiments; mit einem schweren Seufzer richtete er seine frühzeitig üppige Gestalt (zweiundachtzig Kilo ohne Sattel) in die Höhe und begab sich in das Gewühl der Tanzenden. Die Regimentskameraden folgten. Das halbe Dutzend Herrenreiter aber, welches sich in einer Saalecke befand, zeigte sich nicht so leicht geneigt, seine kostbaren Kräfte beim Tanzen zu vergeuden. An ein und dieselbe Säule gelehnt, standen Hans und Heinrich Berch, das ›Zwillingsgestirn‹ der Rennbahn.

      »Die wären ein glänzender Lustspielstoff,« hatte mal ein hoher Herr von ihnen behauptet, »denken Sie doch, die Verwechslungen!«

      Und in der Tat, ein Tag, an dem die beiden nicht verwechselt worden wären, war in ihrem vierundzwanzigjährigen Leben noch nicht dagewesen.

      In ihrer Kindheit hatte jeder von ihnen, wenn er für eine Dummheit bestraft werden sollte, natürlich behauptet, ›der andere‹ sei der Missetäter gewesen, und dieser schönen Gewohnheit waren sie treu geblieben.

      Den Rennbahnbesuchern machte das ›Zwillingsgestirn‹ viel zu schaffen. Denn, wenn einer der kleinen, blonden Dragoner durchs Ziel ging, und die Leute, welche ihr Geld und ihr Vertrauen auf ihn gesetzt, in Triumphgeschrei ausbrachen, — dann war es sicher ›der andere‹ gewesen.

      »Von denen möchte ich wirklich keinen heiraten,« hatte mal eine naive junge Dame gesagt, »ich würde ja nie wissen, welcher es ist — —!«

      Übrigens waren sie beide nette Jungen, beliebte Kameraden und gute Reiter. Auf diese letztere Eigenschaft waren sie sehr eingebildet, und wenn sie — wie heute — in keinem Rennen Erfolg gehabt, so suchten sie das durch verdoppelt arrogante Haltung wettzumachen. Mit äußerst sieghafter Miene lehnten sie an ihrer Säule und schienen nicht auf die Komplimente zu achten, welche soeben von zwei anderen Herrenreitern an den roten Champion gerichtet wurden. Den schien das übrigens weiter nicht zu rühren. Gelangweilt und mit abweisender Miene hörte er den beiden Feldartilleristen zu, welche sich erst seit kurzer Zeit der Rennkarriere widmeten und noch kein Rennen großen Stils gelandet hatten.

      Sie fanden nicht genug Worte, um Hof immer wieder zu versichern, dass die Art, in der er heute den Damenpreis gewonnen, ›einzig und geradezu kolossal sei.‹

      »Ja, famos war es wirklich,« pflichtete Borndorf bei. Der kleine Ulan sah recht angegriffen aus. Er hatte heute zwei Siege davongetragen, beide nach heißem Endkampf um eine knappe Halslänge. Und die beiden erbitterten finish hatten seine Nerven mehr angestrengt, als er sich selbst gestehen mochte.

      Jedenfalls erfüllte ihn der Gedanke an Tanzen mit einem gelinden Schauer. Aber zu umgehen war es wohl nicht, dass er Alice aufforderte, nachdem er ihr heute bei der Morgenarbeit gesagt, dass er ihretwegen zur Reunion käme.

      Hinter dem breiten Rücken des einen Feldartilleristen spähte er vorsichtig nach Fräulein von Nordstetten aus.

      Na, die schien sich ja vorläufig ganz gut zu amüsieren. So lange ihr der Oberst von Herzogheim so angelegentlich die Tour machte, war sie ja gut aufgehoben.

      Mit einem Seufzer der Erleichterung


Скачать книгу