Wolf übernimmt. Robert Mayer
Nachtschicht vor seinem Büro gewartet hatte, um ihm ein neu ausgearbeitetes Sicherheitskonzept für die Alpha Packing Group vorzustellen. Beringer hatte zwei Monate dort Dienst getan und hatte seine Reisepläne längst verworfen, da er beschlossen hatte, einfach drauf los zu fahren, sobald er genug Geld beisammen hätte. Er wollte ein Abenteuer und keine vorgegebene Tour abfahren, auch nicht eine, die er selbst vorgab. Also hatte er unzählige Stunden Zeit und erkannte, dass die Arbeitsabläufe absolut ineffizient waren und kam sehr schnell auf ein für ihn naheliegendes Konzept.
Stahl begriff erst während des Vortrags des jungen Burschen, dass das Konzept nicht für die Alpha Packing Group war, sondern für das gesamte Einsatzgebiet der Stahl Sicherheits AG. Ihm wurde klar, dass er in seinem Unternehmen viel zu lange damit gewartet hatte, zu modernisieren. Gerade in seiner Branche, wahrscheinlich in jeder Branche, war es essentiell, den technologischen Fortschritt in allen Prozessen des Unternehmens miteinzubeziehen. Aber jetzt leuchtete es auch ihm ein, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er vom Mitbewerb verdrängt werden würde, wenn er nicht umgehend reagierte. Er hatte viel zu lange dieselben Abläufe durchführen lassen. Für ihn war die Sicherheit, die er verkaufte, ausschlaggebend. Die Abläufe wurden zwar angepasst, um später erkannte Sicherheitslücken zu schließen, viel zu selten jedoch, sie effizienter und dadurch für ihn lukrativer zu gestalten. Dieser Grünschnabel hatte nach nur zwei Monaten erkannt, was keiner seiner Abteilungsleiter und nicht einmal Reto Gruber, sein Cheftechniker, erkannt hatte. Er selbst hatte wohl auch zu wenig technisches Verständnis, um mit den schnellen Veränderungen der technischen Möglichkeiten Schritt halten zu können. Das Konzept war so simpel, dass es jedem peinlich war, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Dies war wohl ein eindrückliches Beispiel für ausgeprägte Betriebsblindheit. Zudem war damals vor mittlerweile fünfundzwanzig Jahren das Anforderungsprofil seiner Mitarbeiter weniger technischer Natur.
Im Wesentlichen ging es darum, die Überwachungssysteme der verschiedenen Unternehmen von der Zentrale der Stahl Sicherheits AG aus zu überwachen. Heute kann man sich ein Kameraüberwachungssystem selbst installieren und sich jederzeit von überall mit seinem Smartphone einwählen. Solche Systeme kann man heutzutage überall um ein Taschengeld erwerben. Damals jedoch war Datenübertragung über das Internet unglaublich langsam und vor allem für jedermann einsehbar, vorausgesetzt, jedermann kannte sich ein bisschen damit aus. Anton Stahl kannte sich nicht damit aus.
Beringer hatte während seines IT-Studiums an einem Forschungsprojekt für ein Datenübertragungssystem mitgearbeitet, das so leistungsstark war, dass es auch für Kameraübertragung einsetzbar sein müsste, und was das Ausschlaggebende für die Stahl Sicherheits AG war, auch sicher, das heißt, für niemanden sonst einsehbar war.
Stahl ließ unter der Anleitung von Beringer ein Kameraüberwachungssystem, welches über Standleitung mit der Stahl Sicherheits AG verbunden wurde von seinem Kamerasystem-Lieferanten ausarbeiten. Es wurde ein gemeinsames Patent entwickelt und ein Exklusivrecht vereinbart. Heute gehört das Unternehmen zur Steel Security Corporation und beliefert weltweit Sicherheitsunternehmen.
Es dauerte über ein Jahr, bis das System marktreif war, um es mit dem Sicherheitsanspruch, den Anton Stahl seinen Kunden versprach, verkauft werden konnte und in das Dienstleistungspaket der Stahl Sicherheits AG integriert werden konnte. Die Effizienzsteigerung war immens. Es musste kein Wachpersonal mehr unzählige Stunden in den einzelnen Unternehmen sitzen und Bildschirme beobachten, dies wurde nun von einer Zentrale erledigt. Die stündlichen oder in anderen Perioden vereinbarten Kontrollgänge der Wachleute wurde von einem Springerteam, später von mehreren Teams erledigt, welche von Unternehmen zu Unternehmen fuhren. Die Routen und Zeitpläne wurden an jedem Tag unterschiedlich festgelegt.
Beringer war so in dieses Projekt involviert und von seiner neuen Aufgabe eingenommen, dass er seine Reise einfach auf später verschoben hatte. Ein Jahr später hatte ihm Stahl die Leitung des Unternehmens und eine Teilhaberschaft angeboten und sich selbst in den Ruhestand zurückgezogen. Wie sich Jahre später herausstellte, hat diese Entscheidung beide, Stahl und Beringer reich gemacht. Den Plan mit der Motorradreise quer durch Südamerika hatte Beringer allerdings auch fünfundzwanzig Jahre später noch nicht verwirklicht. Der Grund für den sich später einstellenden Reichtum war natürlich nicht nur die Effizienzsteigerung durch die Zentralisierung des Kameraüberwachungssystems. Auch die rasante Ausweitung des Leistungsangebots der Stahl Sicherheits AG, die nach der späteren Mehrheitsübernahme von Beringer in Steel Security Corporation umbenannt wurde, half dabei. Der eigentliche Auslöser für den späteren Erfolg aber war sie. Durch sie kam er zu einem unerwarteten zusätzlichen Betätigungsfeld, das Beringer über all die Jahre perfektioniert hatte und ihm zu Reichtum und viel Einfluss verhalf. Aber dazu später.
Die Steel Security Corporation war in den ersten zehn Jahren, seitdem er die Leitung übernommen hatte, rasant angewachsen. Es war leicht zu erkennen, dass immer, wenn in einer Region die Zahl der Einbrüche anstieg, etwas später auch seine Umsätze anstiegen. Beringer fand einen Weg diesen Zusammenhang zu intensivieren. Angst vor zunehmender Kriminalität tat seinem Geschäft gut. In Zusammenarbeit mit der Polizei erarbeitete er Sicherheitskonzepte für Gebäude des öffentlichen Dienstes, die für so sicherungswürdig gehalten wurden, dass sie mit Alarmanlagen ausgestattet werden sollten. Es wurden gemeinsame Schulungen organisiert, um die Kooperation zwischen Alarmsystem und Polizeieinsatz zu optimieren. Später wurde diese Zusammenarbeit auf weitere Einsatzgebiete der Steel Security Corporation ausgebaut. Bei diesen Schulungen waren immer die Sales Manager der jeweiligen Region vorort. Deren Aufgabe war es, bei diesen Schulungen Polizisten zu identifizieren, die an der Bearbeitung beziehungsweise der Aufklärung von Einbruchsdelikten tätig waren und an einer Provision interessiert waren, für die Tippgebung, an den jeweiligen Sales Manager der Steel Security Corporation, wo der letzte Einbruch stattfand. Durch die offizielle Kooperation der Polizei mit der Steel Security Corporation bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Sicherheitskonzepten empfand der jeweilige Polizist diese Weitergabe von Information als absolut in Ordnung. Er würde sein Einkommen mit einer ehrlichen Dienstleistung aufbessern. Der Aufwand für ihn war minimal und das Einbruchsopfer fühlte sich mit einer neuen Alarmanlage in seinem Heim schneller wieder sicher. Und nachdem die Polizei und somit der Staat mit der Steel Security Corporation zusammenarbeitete, warum sollte er dieses Unternehmen dann nicht auch an ein Einbruchsopfer weiterempfehlen? Es war ganz klar eine Win-Win-Situation.
Ralf Sommer stellte seinen Jaguar E-Type Baujahr 1976 in der Einfahrt ab und ging über den Rasen zur Terrasse. Natürlich hätte er ihn auch gleich in die Garage stellen können, aber er liebte es, ihn immer wieder zwischendurch aus dem Fenster von seinem Schreibtisch oder von der Küche aus zu betrachten. Es störte ihn auch nicht im Geringsten, wenn Spaziergänger ihren Schritt verlangsamten und den auf Hochglanz polierten Lack in british racing green genauer in Augenschein nahmen. Nur Kenner nannten die Mattierungen an manchen Stellen des Originallacks ehrfürchtig anerkennend Patina, Dilettanten hingegen waren der Meinung, er brauche eine neue Lackierung. Heute würde allerdings niemand Fremder vorbeispazieren, sie hatten die Quartiersstraße aus aktuellem Anlass zur Sicherheit gesperrt. Nur Anwohner durften nach deren Kontrolle passieren.
Den Weg über den Rasen zur Terrasse nahm er an schönen Sommertagen eigentlich immer, wenn er wusste, dass Isabella zu Hause war. Der 12-Zylinder machte den Überraschungseffekt natürlich zunichte aber mit einem lautlosen Tesla anzuschleichen, kam für ihn nicht in Frage. Auch wenn er das in der Öffentlichkeit nie zu äußern wagte, diese Elektromobilität war ihm so was von zuwider. Eunuchenkarre, Drehmoment und Beschleunigungswerte hin oder her, aber ein richtiger Mann wollte das Gurgeln von hochzylindrigen Motoren hören und das dazugehörige Vibrieren spüren und am liebsten auch noch selbst schalten, er auch gerne mal mit Zwischengas. Wer weiß, wie lange ihm das Vergnügen noch vergönnt bliebe, wenn der ganze Klimawahn so weiter ging. Immerhin stand er in der Öffentlichkeit.
Isabella rekelte sich auf dem Liegestuhl im Schatten unter der Pergola und las eines ihrer Yogabücher. Innerlich verdrehte er immer die Augen, wenn sie ihm neue Entspannungstechniken beschrieb und lobte dennoch brav ihren erweiterten Horizont. Wie er diesen Mist hasste. „Toll Schatz, werde ich demnächst unbedingt auch mal versuchen.“ Er blieb stehen, gab ihr einen Kuss und während sie weiterlas, betrachtete er ihren noch immer makellosen Körper. Manchmal beobachtete