Hautmalerei. David Goliath

Hautmalerei - David Goliath


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die Führung der Ermittlung übernahm. Ihr Kollege, sonst das Brechwerkzeug, durfte heute mal seine investigative Kompetenz anwenden, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen.

      »Wohnt er hier?«, nickte Nathan auf die noblen Häuser auf der Halbinselbucht.

      Herr Gruber machte große Augen. »Da fragen Sie mich was. Ich gehe hier nur spazieren. Wer hier wohnt weiß ich nicht.«

      Nathan blies einen Luftschwall durch die Nase aus. »Können Sie den Jungspund beschreiben?«

      Der Rentner überlegte. »Ungefähr Ihre Größe, dunkle, kurze Haare und vielleicht so Mitte 20.«

      »Welche Kleidung trug er?«

      »Sportlich«, antwortete der Hundehalter.

      »Also war er joggen?«

      Herr Gruber schaute unwissend drein. »Kann sein.«

      Jasmin und Nathan wechselten unwirsche Blicke.

      Die Kommissarin suchte nach öffentlichen Kameras. Fehlanzeige. Dann überflog sie die Häuser, wo lediglich deren Haustüren von Minikameras überwacht wurden. Den Winkel zum Fußweg konnten diese unmöglich aufzeichnen. Wäre trotzdem einen Versuch wert.

      »Warum fragen Sie nach dem Jungspund?«, wollte Herr Gruber wissen und hob den Finger zum schwarzen Sichtschutz am Ufer, »Wollen Sie nichts über den Toten wissen?«

      »Hast du seine Daten?«, wandte sich Nathan verstimmt an Jasmin. Diese bejahte mimisch, die Verstimmung richtig deutend. Er entließ den Rentner, »Vielen Dank für Ihr beherztes Eingreifen, Herr Gruber. Eventuell kommen wir die Tage nochmal auf Sie zurück, um ein paar Fragen zu klären.«

      Der Mann lächelte, ob der Aufmerksamkeit, der Erlebnisse und der Perspektive, mit den Ermittlern zu kooperieren. »Gern.«

      Als sie allein im Umkreis standen, starrte Nathan zum Bestatter, keine zwanzig Schritt entfernt. »Hast du die Staatsanwaltschaft angerufen?«

      »Nein«, entgegnete Jasmin, ebenso irritiert. Doch eigentlich wollte sie etwas anderes erfahren. »Richard?«

      Nathan biss sich auf die Lippe und warf ihr einen Blick zu, den sie verstand. Gleichzeitig bereitete er sich vor, sie in den Arm zu nehmen, ihr Trost zu spenden, ihre Tränen aufzufangen. Doch Jasmins Mimik regte sich nicht. Stattdessen taxierte sie den Sichtschutz, als ob sie hindurchblinzeln könnte.

      »Wie?«

      Nathan schluckte. Ihre Abgeklärtheit überraschte ihn. »Sieht nach einem Bootsunfall aus«, wiederholte er, was er dem Streifenpolizisten schon gesagt hatte, obwohl er das gar nicht sagen wollte. Es rutschte ihm einfach so heraus, aus Mangel an Alternativen.

      Jasmin neigte ihr Haupt. »Richard ist seekrank. Er würde keinen Fuß auf ein Deck setzen.« Sie blieb wie angewurzelt stehen, machte keine Anstalten, seine Leiche sehen zu wollen.

      Nathan sinnierte. Also doch aus größerer Höhe. Eine Brücke? Sollte er einen möglichen Suizid ins Spiel bringen? Oder sollte er sie zuallererst von dem Fall abziehen lassen? Ein kurzes Telefonat mit dem Präsidium und sie könnten bei einem Stück Frankfurter Kranz über alles reden, während Kurz und Klein den Fall übernehmen würden.

      »Bist du dir sicher?«, unterbrach sie.

      »Ja«, retournierte Nathan lapidar.

      Jasmin holte ihr Telefon aus dem Holster. Keine neuen Nachrichten. Sie betätigte die Schnellwahltaste für eine gespeicherte Nummer, die sie öfter wählte.

      »Hallo, Frau Staatsanwältin«, reagierte sie auf die Gesprächseröffnung in der Leitung. »Hast du eine Obduktion für den aktuellen Fall am Westhafen angeordnet?« Wieder kam etwas von der Gegenseite. »Danke.«

      Sie legte auf. »Monika erkundigt sich«, sagte sie schließlich, um Nathan nicht im Ungewissen versauern zu lassen.

      »Du bist per du mit Staatsanwältin Meier?«

      »Frauen müssen zusammenhalten«, kanzelte Jasmin schroffer ab als beabsichtigt. Darüber wollte sie momentan nicht reden, erst recht nicht über das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in einigen Branchen. Plötzlich hastete sie los. Nathan konnte kaum Schritt halten. Sie hielten auf den Fundort zu.

      »Willst du dir das wirklich antun?«, rief Nathan halblaut, aber seine Partnerin drosselte ihren Gang keineswegs. Erst innerhalb des Sichtschutzes schloss er zu ihr auf.

      »Er ist es«, flüsterte sie gefasst. Es verging eine halbe Minute, in der sie den leblosen Körper plump anstarrte. »Hast du Lage und Zustand notiert und dokumentiert?«, wurde sie wieder professionell.

      Nathan murmelte eine Bestätigung.

      »Auch die Rückseite?« Sie bückte sich über die Leiche, holte Einweghandschuhe aus der Hosentasche und zog sie über. Anschließend griff sie Schulter und Hüfte und machte sich bereit, ihren Mann auf die Seite zu drehen.

      Baff stand Nathan daneben. »Du musst das nicht machen.«

      Jasmin zischte aufwieglerisch und legte den Rücken frei. »Was siehst du?«

      Nathan schaute sich das Hinterteil an. Treibgut und Gestrüpp bedeckten die Tattoos. »Soweit ich das sehe, keine auffälligen Verletzungen.« Er machte eine Notiz.

      Sie gingen aus der Totenzone die kleine Böschung hinauf auf die Straße.

      »Den Rest fördert die Autopsie zu Tage«, sagte Nathan kleinlaut, aber seine Partnerin ging nicht darauf ein.

      Jasmins Telefon klingelte. Ein nüchternes, klassisches Ringen, dazu Vibration. »Ja?« Sie hörte zu. »Danke.« Und legte auf.

      »Der Oberstaatsanwalt wurde von der Leitstelle informiert und hat die Obduktion in Auftrag gegeben. Deshalb waren alle vor uns hier«, präzisierte Jasmin sachlich.

      »Er hat mal wieder die Mordkommission übergangen«, stellte Nathan gereizt fest.

      Seine Kollegin wippte mit den Schultern. »Das ist nicht unser Problem. Wenigstens verschafft uns seine schützende Hand Zeit, um auszukundschaften, ehe die Streife unüberlegt Spuren verwischt.«

      »Bist du mit ihm auch per du

      »Nein«, entschärfte Jasmin, »Aber Monika.«

      Ein zweiter Anruf galt der Forensik. Sie kündigte eine Leichenschau an. Das Fax der Staatsanwaltschaft hatte dies aber bereits vorweggenommen. Unabhängig davon war man dankbar über ein paar weitere Details, zum Beispiel, dass es sich um eine Wasserleiche mit Sturzmerkmalen handelte.

      Sie instruierten die Bestatter, die lässig an ihrer Karre lehnten, die Leiche der Forensik zuzuführen. Praktischerweise befand sich das Universitätsklinikum mit dem Institut für Rechtsmedizin am Flussufer gegenüber. Nach der Freigabe schnappten sich die beiden Männer einen schwarzen Tragesack und enterten den Verschlag.

      Danach teilten sich die Kommissare auf, um die Häuser abzuklappern, unter den argwöhnischen Blicken des privaten Sicherheitsdienstes. Sie könnten zwar an die Streife delegieren, aber den Blick für Auffälligkeiten nannte nicht jeder sein eigen. Die wenigen Bewohner, die tatsächlich angetroffen wurden, wurden mit Namen, Adresse und Aussage niedergeschrieben. Keiner hatte etwas gesehen oder gehört. Erst der Ruf des Rentners wurde von einigen wahrgenommen. Den Jungspund in Sportkleidung, der zu Hilfe eilte, konnte niemand genauer beschreiben als Herr Gruber. Die Kameras an den Hauseingängen waren zentral aufgeschaltet bei der privaten Sicherheitsfirma, die auch ihre Fachkräfte vor Ort geschickt hatte. Nach telefonischer Rücksprache teilte einer der Mitarbeiter mit, dass die Kamerabilder weder einen Rentner mit Dackel noch einen jungen Jogger zeigten. Jasmin war froh, dass es manchmal auch unkompliziert funktionierte. Dadurch ersparten sie sich den weiten Weg ins hügelige Hinterland, wo die Firma ihre Zentrale hatte.

      Ehe & Ende

      Die Rückfahrt verlief ereignislos. Funk und Radio wechselten sich ab bei der Untermalung. Beide Kommissare mieden das Gespräch. Nathan,


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