Hautmalerei. David Goliath
Wir trinken zusammen Kaffee. Dabei beantwortet sie Anfragen und Kommentare, veröffentlicht ein paar Schnappschüsse meiner Arbeiten und prüft die Finanzen.
Dann tritt der maritime Debütant ein. Ein Hänfling mit Brille und Vogelnest auf dem Kopf. Ein Student, vermute ich, irgendwas Naturwissenschaftliches. Der Strickpullover von der Oma ist so obsolet, dass er bald wieder modern wird.
»Hallo«, sagt der junge Mann zurückhaltend, sichtlich eingeschüchtert von der zierlichen Frau, die viel Haut präsentiert, und mir, dem gruselig Tätowierten, der ihn mit durchweg schwarzen Augen löchert. »Ich habe einen Termin.«
Wortlos gehe ich nach hinten, um alles vorzubereiten. Ich höre wie Aret den Burschen begrüßt und mit dem Rechtlichen vertraut macht. Danach folgen Unterschriften und unsicheres Räuspern des Gastes. Der Kronkorken eines koffeinhaltigen Erfrischungsgetränkes zieht ein Zischen nach sich. Aret versorgt den Klapperstorch mit einem ersten Schuss. Ein Zeichen für mich. Vorsorglich fülle ich eine Spritze mit flüssigem Kokain. Bevor der mutmaßliche Student nach hinten kommt, spanne ich einen Mundschutz um und schlüpfe in schwarze Latexhandschuhe, die ich auf meine Haut klatschen lasse. Aret versteht den Wink und fragt nach einer etwaigen Latexallergie. Der Kunde verneint und wird von ihr zu mir geführt. Die Rückfallbox mit den latexfreien Nitrilhandschuhen bleibt unangetastet.
Sie hat sich bei ihm eingefädelt, was ihn noch nervöser macht. Auch sie mag das kompromittierende Spiel mit den Gefühlen der Menschen.
»Eine Wette«, erklärt sie mir an seiner statt. »Es ist sein Erstes.«
Der Mundschutz verbirgt meine schmalen Lippen. Die Aussicht auf einen vor Schmerz kreischenden Jüngling verdirbt mir die Stimmung. So wie er sich verhält, wird er den ganzen Häuserblock zusammenschreien. Ich greife unter meinen Sitz und umschließe das Morphium. Eine zweite Spritze muss her.
Während Aret den Kunden auf der Holzbank so fixiert, dass er den auserkorenen Arm nicht mehr bewegen kann, bereite ich die zweite Spritze vor. Als er mit entblößtem Oberkörper halb aufrecht auf der unnachgiebigen Holzbank sitzt und mich mit furchtsamen Augen anschaut, ramme ich ihm das Kokain der ersten Spritze in den Brustmuskel.
»Was ist das?«, will er aufgeregt wissen.
Ich blicke zu Aret. Eine Aufforderung.
Sie tätschelt ihn. »Eine Betäubung. Und wenn die Schmerzen zu groß werden, bekommst du noch eine.«
Sein Zittern legt sich. Er entspannt sich und lächelt sogar, wenn auch fremdbestimmt durch die Droge.
Ich nicke Aret zu. Sie geht nach vorn, den Vorhang hinter sich schließend. Folgend schmiere ich eine Salbe auf den Arm, den ich beschneiden werde. Ein gebräuchliches Lokalanästhetikum. Die fensterlose Nische wird lediglich durch die Deckenstrahler erhellt. Das Tageslicht schirmt der Vorhang ab, auch wenn an den Rändern leichter Schimmer zu sehen ist.
»Welches Motiv?«, stammelt er benommen. Das Kokain entfaltet seine ganze Wirkung. Der Spargeltarzan rutscht in eine Art Wachkoma.
Ich beginne. Die ersten Schnitte setze ich flach an, damit ich sehe wie seine Haut beschaffen ist. Schon kommt mir das erste Blut entgegen, das ich mit dem Tupfer aufsauge. Das gewählte Mosaikseepferdchen hat viele gerade Kanten, weshalb ich zügig vorankomme. Unter mir häuft sich ein Berg aus vollgesogenen Tupfern an. Als ich merke, wie der Mann wegknickt, verpasse ich ihm eine saftige Ohrfeige. Er schüttelt sich und ist wieder beisammen, wenn auch eingeschränkt und zugedröhnt. Ich beeile mich. Eine zweite Dosis Kokain könnte heftigere Auswirkungen haben, bei diesem jungfräulichen Hänfling. Nachdem ich alle erforderlichen Schnitte getätigt habe, packe ich eine Kompresse darauf und studiere den Kunden, der schläfrig und glückselig zum Vorhang starrt. Die seitlichen Sonnenschimmer scheinen ihm zu gefallen. Wahrscheinlich denkt er, dass er im Himmel sei. Ohne das Morphium wage ich mich an die Desinfektion, die wahnsinnig brennt, aber gleichzeitig auch die Gerinnung fördert, sofern er an keiner Gerinnungsstörung leidet – ein Punkt, den das Vorgespräch und das Infoblatt thematisieren, und hoffentlich ausschließen. Ich nehme die blutige Kompresse ab und schütte das Propanol über den Oberarm. Der Mann zuckt, bleibt aber ruhig. Sein Arm ist sowieso fest fixiert. Im nächsten Schritt reibe ich die grauschwarze Mischung aus Asche und Schießpulver ein. Je nach Stelle mehr oder weniger, um Schattierung und Form zu schaffen. Einige Häufchen werden von den Wunden aufgenommen, andere fallen nach unten – der normale Ausschuss. Um einer Sepsis vorzubeugen beaufschlage ich die Furchen erneut mit Propanol. Dabei werden zwar weitere Pulverreste ausgewaschen, aber in verschwindend geringer Anzahl, denn die Haut hat sich den Großteil schon einverleibt. Später bekommt er noch ein Breitbandantibiotikum rektal von Aret eingeführt. Den meisten Kunden gefällt die kleine Prostataeinlage. Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit Kokain oder Morphium wurden mir noch nicht mitgeteilt. Bisher hat es jeder überlebt. Die Anzahl der Wiederholungstäter spricht für sich.
Mundschutz und Handschuhe landen im Abfalleimer auf den gebrauchten Handschuhen der letzten Nacht, genauso wie die vollgesogenen Tupfer und Kompressen. Das Skalpell lege ich in eine separate Metallschachtel, um es später zu reinigen. Ich betrachte den geschwollenen, fleckigen Arm, lockere die Bebänderung, weil sich das Blut staut. Das Seepferdchen ist mir gelungen. Abstrakt und martialisch, aber einzigartig und faszinierend. Der Blutfluss ebbt ab. An den Wundrändern bildet sich Schorf. Die Hautkrater verschließen sich schon bald wieder. Die Bohnenstange hat den Eingriff überstanden, wenn auch flach atmend, mit glasigem Blick und Schweiß auf der Stirn.
Aret kommt. Sie hatte mein Aufräumen mitbekommen. Ihre zarten Hände schlüpfen in schwarze Latexhandschuhe, Größe XS, und holen angekündigtes Zäpfchen aus dem Schrank. Ihr Lächeln sagt alles. Sie freut sich auf ihr Mitwirken. Wir drehen den Mann in Seitenlage. Ich halte ihn fest. Aret legt den Po frei. Das Zäpfchen erhält Gleitgel. Sie zieht die schlaffen Pobacken auseinander, visiert das Loch an und schiebt das Antibiotikum hinein. Ein kurzes Stöhnen bestätigt, dass der Schüchterne wieder etwas spürt. Die Betäubung lässt nach.
Wir lassen ihn noch eine Weile liegen, seinen Rausch auskurieren. Aret hat immer ein Auge auf ihn. Ich gönne mir ein stilles Wasser. Für den Rest ist sie zuständig. Foto, Folienverband, Belehrung, Gesundheitshinweise, Verhaltenstipps. Beglückwünschen, abkassieren, anlächeln, heimschicken.
Xander & Ysop
Jasmin Xander fuhr zur Arbeit. Wie jeden Morgen. Und wie jeden Morgen wälzte sie sich durch den stockenden Pendlerverkehr. Hunderte vor ihr, hinter ihr, neben ihr. Das Radio dudelte immer dieselben Lieder herunter, die Witze dazwischen wurden stetig schlechter und die Wettervorhersage stimmte sowieso nicht. Ihr Thermobecher mit dem selbstgemachten Kaffee von zuhause stand in der Halterung zwischen Armaturenbrett und Armlehne. Sie gönnte sich alle paar Meter einen Schluck. Bis zum Polizeipräsidium würde er leer sein.
Das Pistolenholster lag im Beifahrerfußraum; die Pistole im Handschuhfach. Nicht dass jemand auf dumme Gedanken kam. Neben dem Holster befand sich ein Blaulicht mit Magnetfuß – von der füßigen Klimaanlage angepustet. Das Kabel steckte im Zigarettenanzünder. Daneben war ein digitales Funkgerät eingebaut, gekoppelt mit der Freisprecheinrichtung. Sie hatte den Frequenzempfänger ausgeschaltet. Für dringende Fälle hatte sie ihr Dienstmobiltelefon dabei, ebenfalls gekoppelt mit der Freisprecheinrichtung.
Sie spielte mit ihrem Ehering, drehte ihn mit dem Daumen um den Finger. Die eingearbeiteten Steine glitzerten im Sonnenlicht, doch der Glanz der Fassung war längst ermattet. Sie fragte sich, ob sie das Richtige getan hatte. Überstürzt geheiratet, weil sie schwanger war. Zehn Jahre waren seitdem vergangen. Mitten im Studium gab es diesen Moment der Unachtsamkeit. Ein Streit auf einer Party. Eifersüchteleien. Zur Versöhnung landeten sie im Bett. Harter, unerbittlicher, unsittlicher Sex, wie sie ihn noch nie vollzogen hatten. Beide ließen ihrer Wut freien Lauf – bis die Ladung mit Wucht ins Schwarze traf. Der Alkohol vernebelte. Erst am nächsten Morgen starrten sich beide an, als wüssten sie, dass sie ein Kind gezeugt hatten. Vier Wochen später kam die Gewissheit, neun Monate später ihr Sohn. Den kriminalistischen Verwaltungsfachwirt konnte sie noch abschließen, aber die Abschnitte bei der Bereitschaft, der Streife und der Kriminalistik wurden ihr untersagt. Sie schwebte im Vakuum, bis