Right in your heart. Isabella Kniest
Anstatt sich selbst glücklich zu machen, steckte er all seine Kraft in meine Erziehung.
Er war streng, aber gerecht.
Mir mangelte es an nichts. Ich erhielt vernünftiges Essen, gewaschene Kleidung und Süßigkeiten. Wünschte ich mir etwas Besonderes, wie zum Beispiel neues Spielzeug, musste ich Leistung erbringen.
Ohne Leistung gibt es nichts auf dieser Welt, hatte er stets zu sagen gepflegt.
Und er behielt behalten. Wie in allen Dingen.
Wenn sich mein Notendurchschnitt verschlechterte, erhielt ich keine Geschenke. Wenn mir Fehler passierten, gab es Hausarrest.
Geschlagen jedoch hatte er mich nie. Nicht ein einziges Mal, allerdings hatte ich ihm auch niemals Anlass dazu gegeben.
Beinahe ausschließlich brachte ich sehr gute Noten mit nach Hause – meine Abschlüsse bestand ich regelmäßig mit ausgezeichneten Erfolgen. Darauf war er jedes Mal unglaublich stolz.
Dann hatte ich nicht bloß Materialistisches erhalten, ebenso hatte er mich mit Umarmungen und berührenden Worten beschenkt.
Niemals hatte er gezögert, um mir zu verdeutlichen, wie viel ich ihm bedeutete.
Aber selbst bei Misserfolgen hatte er mich stets anzuspornen versucht. Er war kein Vater, der seine Kinder runtermachte, wenn diese nicht funktionierten.
Wie gesagt, er war zwar streng, dafür gerecht – und niemals herzlos.
Seit jeher wollte er aus mir eine selbstständige Frau machen. Es war ihm zuwider, seine Tochter mit blöden Zicken spielen zu sehen.
Für mich war es ein Leichtes, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Schließlich nervten all diese barbiepuppenspielenden Mädchen mich mindestens gleichermaßen wie quengelnde, unerzogene Kinder.
Mein Vater wollte, dass ich einen verantwortungsvollen Beruf erlernte. Darum entschied ich mich für die Polizei.
Wie glücklich ich ihn damit gemacht hatte! Welche unwahrscheinliche Freude er ausgestrahlt hatte, als ich ihm erzählte, wie einfach es mir gefallen war, die Aufnahmeprüfung zu bestehen.
Diese Augenblicke waren mir die liebsten. Das waren die Momente, für die ich lebte: andere glücklich zu machen … sie nicht zu enttäuschen.
Mein Vater starb, da hatte ich eben mein einundzwanzigstes Lebensjahr erreicht.
Ein einfacher Herzinfarkt hatte ihn mir genommen.
Ich wusste, ich hatte ihn niemals enttäuscht. Diese Gewissheit gab mir die nötige Kraft, um weiterzumachen. Dessen ungeachtet hatte der Verlust ein einschneidendes Erlebnis dargestellt. Die Gewissheit, von einem Tag auf den anderen vollkommen allein durch die Welt zu gehen, hatte mich für einige Zeit regelrecht gelähmt. Es gab keine weiteren Verwandten, mit welchen ich in Kontakt stand, und bedeutend weniger Freunde oder gute Bekannte. Nichtsdestotrotz hatte ich gekämpft – und gesiegt.
Doch je länger ich alleine auf der Straße des Lebens dahinschritt und über meine Kindheit sinnierte, desto einsamer fühlte ich mich.
Schlussendlich wurde ich mir der bitteren Tatsache bewusst: Mein Leben lang hatte ich für meinen Vater gelebt. Ich hatte dafür gekämpft, ihn glücklich zu machen. Mit meinem Fleiß hatte ich versucht, sein Herzensleid zu lindern, ihm eine gute Tochter zu sein. Manchmal hatte ich mich sogar dabei ertappt, mich für seine gescheiterte Beziehung schuldig zu fühlen – zu glauben, meine Geburt hätte meine Mutter dazu bewogen, uns zu verlassen.
Mit der neuen Freiheit und dem fehlenden Druck seitens meines Vaters verschwanden die Schuldgefühle. Stattdessen taten sich mehr und mehr Zweifel auf: Habe ich mich durch dieses Für-jemanden-anderes-Leben selbst enttäuscht? Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Wie will ich meine Zukunft gestalten? Was wünsche ich mir vom Leben?
Mein Vater hatte mir eingebläut: »Lass dich nicht auf eine Beziehung ein. Lediglich dann, wenn du dir hundertprozentig sicher bist. Und nicht einmal dann! Männer brechen dir das Herz. Sie spielen mit dir. Es gibt nicht viele, die es ernst meinen. Wenn du das im Hinterkopf behältst, wirst du niemals unglücklich werden. Glaub mir.«
Und ich hatte ihm geglaubt.
Und ich hatte mich daran gehalten.
Bis ich auf Jake traf. Dieses verfickte Arschloch. Meine Alarmglocken hatten geschrillt, dennoch hatte ich sie ignoriert.
Ich hatte wahrhaftig angenommen, mir würde es niemals passieren, betrogen zu werden. Ich war mir hundertprozentig sicher gewesen. Denn im Verborgenen hatte ich stets vermutet, irgendwann den Partner fürs Leben zu finden – glücklich zu werden, eine wundervolle Beziehung zu führen.
… mit einem rücksichtsvollen liebenden Mann an meiner Seite das Leben gemeinsam bestreiten …
Ich hatte es mir innigst gewünscht, ja schier eingebildet – ich ignorierte alles um mich herum. Kein Betrug, kein Missverständnis, keine Probleme waren für mich vorstellbar gewesen. Zu wunderbar hatte sich die Verliebtheit angefühlt, zu glücklich war ich gewesen, nicht mehr ignoriert zu werden, Komplimente zu erhalten, geküsst zu werden.
Alleine diesen einen liebevollen Mann hatte ich vor mir gesehen. Ein Mann, an den ich mich anlehnen durfte …
Dass exakt dieser Wunsch mir das Genick brechen würde, hatte ich nicht eine Sekunde lang in Betracht gezogen.
Und mein Vater hatte recht behalten.
Männer logen und betrogen. Ebenso wie Frauen. Sie waren allesamt dieselben verlogenen, egoistischen, abartigen Drecksäcke.
Lediglich alleine konnte man glücklich werden.
Eine meine Seele herausreißende Empfindung brach über mich herein.
Ja, ausschließlich alleine konnte man glücklich werden.
…
Bloß, wie sollte ich mein Glück finden, wenn ich nicht mehr wusste, wie ich weitermachen sollte?
Dermaßen viele Dinge hatte ich ausprobiert, hatte alles versucht, um mich abzulenken. Dennoch überkam mich von Zeit zu Zeit dieses schreckliche Gefühl – diese bohrende Einsamkeit, dieses brennende Verlangen nach Liebe und Verständnis … nach einem Zuhause.
Es stimmte, ich besaß alles, um mich glücklich fühlen zu können: Einen Job, eine Wohnung, ein Auto, warmes Wasser, gutes Essen … aber diese zwischenmenschlichen Gefühle, die fehlten manchmal … nein … sie fehlten andauernd … unbeschreiblich.
Und je länger ich mich auf der Insel aufhielt, desto intensivere Ausmaße nahmen diese an. Zu Hause waren sie abgeschwächter – möglicherweise hatten mein Job und das Training mich stark genug gefordert …
Weshalb musste das Verlangen nach Nähe und Geborgenheit sich derart heftig anfühlen?
Ich starrte auf die Wellen, überlegte, wie es sein würde, wenn Theo kein Macho gewesen wäre …
Er wäre der perfekte Partner.
Ein Mann, an den ich mich anlehnen durfte, wenn ich es brauchte, ein ähnlicher Job mit den gleichen Prioritäten, und anscheinend weiteren Gemeinsamkeiten: Der Spaziergang, den er in der Früh machen wollte … sein Frühstück – ich vergötterte Schinken und Eierspeise – seine kämpferischen Fähigkeiten. Dies waren Dinge, die ich schätzte, Dinge, die ich mochte, Dinge, die ich liebte.
Verfluchte Drecksscheiße!
Tränen raubten mir die Sicht auf das glitzernde Meer.
Weshalb musste die Einsamkeit stets schmerzen?
Es klopfte an der Tür.
Ein weiteres Mal Scheiße!
Die Beweise meiner Schwäche von den Wangen wischend stieg ich aus dem Pool, trocknete mich behelfsmäßig ab und lief zur Eingangstür.
Ohne nachzudenken, öffnete ich sie.
Heute weiß ich: Das würde ich niemals wieder tun!
»Hey,