Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen. Tobias Fischer

Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen - Tobias Fischer


Скачать книгу
unten sehen, dachte Tom. Er reckte das Schwert in beinahe heroischer Pose über seinen Kopf. Smithers gab einen Laut des Entsetzens von sich. Was der Mann dachte, konnte sich Tom schon ausmalen. Nun, gleich würde er ein Wunder erleben. Tom umfasste den Griff der Waffe mit beiden Händen, blickte auf den verschnörkelt gestalteten Handschutz und konzentrierte sich kurz. Wieder rief er den magischen Geist des Daring-Schwerts an.

      »Bringen Sie mich nach oben, Professor«, flüsterte er.

      Das Schwert in seinen Händen ruckte, er umklammerte den Griff fester. Im nächsten Augenblick ruckte die Waffe wie von eigenem Leben erfüllt, und Tom überließ sich ihrer Führung. Während er sich mit seinem ganzen Gewicht an den Griff hängte, pendelte er herum und sah Smithers in seinem Wohnzimmer vor Schreck rückwärts taumeln. Der Mann stieß an die Kante eines Schranks und sackte zu Boden. Hinter dem Mann tauchten die Gestalten von Jane und Inspektor Gregson auf. Das Schwert zog ihn aufwärts. Sollten sich die beiden um den armen Smithers kümmern; Tom war auf der Jagd.

      Sofort, als er den schmalen Mauervorsprung unter seinen Sneakers hatte, ging er in die Hocke. Eine falsche Bewegung und er würde abstürzen. Mit der einen Hand krallte er sich in das Mauerwerk, während mit der anderen das Schwer festhielt. Sämtliche Fenster auf dieser Etage, die er sehen konnte, waren mit mitternachtsblauer Farbe angestrichen, absolut blickdicht. Henry Fowler wollte in seinem Versteck nicht gestört oder beobachtet werden. Kein Wunder, strangulierte er dort ja junge Frauen. Jetzt würde ihm jedoch der Garaus gemacht. Tom stach das Schwert durch das Fensterschloss. Wie ein heißes Messer durch Butter fuhr die Klinge durch Holz und Stahl, sprengte das Schloss in Stücke. Tom schob das Fenster auf und sprang in die Wohnung des Mörders.

      Es war stockfinster. Der wahnsinnige Fowler hatte nicht nur sämtliche Fenster abgedunkelt, sondern obendrein auch die Wände und Decken schwarz gestrichen. Auf dem Boden war schwarzer Kunststoff verlegt. Tom konnte überhaupt nichts sehen. Allein der bläuliche Schimmer der Saphire seiner Zauberwaffe enthüllte ein paar Details. Sogar Tische und Sessel waren in Schwarz gehalten. Tom schüttelte den Kopf, versuchte, sich zu konzentrieren. Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug, und er wagte kaum zu atmen. Es war beinahe totenstill. Von irgendwoher kamen leise, gleichmäßige Atemgeräusche. War es Fowler? Der Wahnsinnige hatte bestimmt bemerkt, wie Tom in seine Wohnung eingedrungen war. Nun lauerte er ihm auf.

      Vorsichtig schlich Tom weiter, mit dem Schwert mal hierhin, mal dorthin leuchtend. Vor ihm auf dem Boden konnte er einen großen Umriss ausmachen. Für einen Moment glaubte er, es handle sich um einen aufgerollten Teppich, doch dafür erschien ihm der Gegenstand zu groß. Er hielt die Luft an. Es war ein Körper!

      »Mist«, flüsterte er kaum hörbar. Vorsichtig, ganz vorsichtig, näherte er sich. Der Manie Fowlers entsprechend war die Gestalt am Boden in schwarze Gewänder gehüllt und an Armen und Beinen gefesselt. War es sein jüngstes Opfer? Veyron hatte ihn ja ständig per Nachrichten gewarnt. Kam Tom zu spät?

      Er näherte sich und untersuchte die bedauernswerte Person. Trotz der Dunkelheit war sie unschwer als stark übergewichtig auszumachen, die Finger plump und … sie hatte einen Bart.

      Tom stutzte.

      Hinter ihm erklang ein leises Klick. Licht ergoss sich über den Raum. Im gleichen Augenblick machte Toms Herz einen Satz. Er war voll in die Falle getappt!

      »Ich habe dich schon erwartet«, meldete sich eine neue Stimme, erfüllt von boshafter Zufriedenheit, die eigene Schläue bewundernd und die Dummheit Tom Packards verhöhnend.

      Langsam drehte sich Tom um – und sein Herz machte einen weiteren Satz.

      Es war nicht der Sicherheitsbolzen einer Waffe, was da geklickt hatte, sondern der Schalter einer kleinen Nachttischlampe. Von deren Schein spärlich beleuchtet blickte Veyron Swift seinem Patensohn sichtlich entspannt ins Gesicht. Hochgewachsen und hager, das markante, scharf geschnittene Gesicht von schwarzem Haar umkränzt, lümmelte Veyron auf der pechschwarzen Couch dieses Irren. Der Mann zu seinen Füßen musste demnach Henry Fowler sein, gefesselt und geknebelt; obendrein bewusstlos.

      Tom sprang auf und steckte das Daring-Schwert in den Gürtel, wo es sich augenblicklich in Luft auflöste. Die Gefahr war vorüber, vorerst wurde es nicht mehr gebraucht.

      Mit einem unverschämten Grinsen im Gesicht saß sein Pate vor ihm. Tom wusste erst nicht, was er sagen sollte, und dann sprudelten die Fragen nur so aus ihm heraus: »Wie lange sind Sie schon hier? Wo waren Sie die ganze Zeit? Wie kamen Sie hier überhaupt rein? Wo ist das Opfer? Was ist mir ihr passiert?« Er war sich nicht sicher, ob er erleichtert oder wütend sein sollte. Zu erstaunlich kam ihm Veyrons plötzliche Anwesenheit vor.

      »Tom?«, hörte er Janes Stimme vom Fenster aus.

      Er lehnte sich hinaus. Gegen das Zwielicht des frühen Morgens sah er den Kopf der Polizistin, die zu ihm hinaufsah.

      »Kommen Sie herein, Willkins. Es besteht keinerlei Gefahr«, rief ihr Veyron zu.

      Tom hörte Jane einen derben Fluch ausstoßen. Ächzend stieg sie durch das Fenster.

      »Gregson immer mit seinen verdammten Räuberleitern. Ich hasse diese Stunts«, murrte sie, dann kam zu ihnen. Jane bückte sich, um den gefesselten Fowler zu untersuchen. Mit einem Seufzen steckte sie die Pistole weg und starrte Veyron entgeistert an.

      »Die Geheimtür, Willkins«, antwortete er auf die nicht gestellte, aber offensichtliche Frage. »Henry Fowler hat eine Geheimtür gebaut, die er geschickt getarnt hat. Von außen glaubt man tatsächlich, er hätte alle Türen des Stockwerks zugemauert. Alles sauber verputzt. Die grüne Wandfarbe verbirgt geschickt alle Unregelmäßigkeiten. Allerdings sind mir Schleifspuren am Boden aufgefallen, zwei sehr schmale, geschwungene Kratzer, verursacht durch das Öffnen der Geheimtür.« Veyron stutzte einen Moment, dann warf er Jane ein schulmeisterliches Lächeln zu. »Ich bin überzeugt, sie wären Ihnen selbst noch aufgefallen, Willkins. Wie dem auch sei: Nachdem ich also sicher war, dass Fowler unser Serienmörder ist, bin ich hier eingebrochen und musste nur noch warten, bis er mit seiner Beute zurückkehrte. Übrigens: Sein Opfer, Miss Anita Henderson, liegt drüben im Schlafzimmer. Er hat sie betäubt, aber sie befindet sich außer Lebensgefahr.«

      »Eine Geheimtür? Teufel noch eins! Und wir haben das nicht bemerkt«, mischte sich nun Inspektor Gregsons Stimme ein. Der Mann selbst stieg gerade durch das Fenster und sah sich für einen Moment angewidert um. »Alles schwarz, wie? Ein echter Psycho«, meinte er.

      Veyron stimmte ihm sofort zu. »Obendrein gerissen, aber nicht gerissen genug. Er hat die Klingeln des fünften Stocks mit den Familiennamen seiner Opfer beschriftet. Ziemlich zynisch. Allerdings hat er vergessen, dies auf der Briefkastenanlage zu wiederholen. Es war ein Leichtes, sein Versteck ausfindig zu machen und hier einzudringen. Er leistete zwar ein wenig Widerstand, aber im Handumdrehen hatte ich ihn unter Kontrolle. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass er einige hervorragende Ideen ersann, sich jedoch als unfähig erwies, sie in gleichem Maße meisterhaft umzusetzen. So, mein lieber Inspektor: Hier haben Sie Londons meistgesuchten Serienmörder. Herzlichen Glückwunsch«, sagte er, schnellte einer Sprungfeder gleich in die Höhe und wandte sich in Richtung Ausgang.

      »Moment«, rief ihm Tom hinterher. »Sie haben uns immer noch nicht gesagt, wie lange Sie hier schon rumsitzen. Was soll das heißen, Sie haben diesem Kerl aufgelauert?«

      »Nun, ich wache hier schon seit einer Stunde und vierundfünfzig Minuten, falls du es genau wissen willst«, antwortete Veyron.

      Gregson und Jane sackten die Kinnladen runter, Tom ballte die Fäuste. »Und die ganzen Nachrichten?«

      »Etwas Motivation zu mehr Eile. Ich wollte hier nicht bis Sonnenaufgang auf euch warten.«

      Jane stieß ein Lachen aus. »Heißt das, es bestand niemals Lebensgefahr?«

      »Zumindest nicht mehr, nachdem ich Fowler ausgeschaltet hatte«, gab Veyron zurück.

      Ungehalten verschränkte Jane die Arme, Gregson schüttelte den Kopf. Tom musste sich anstrengen, nicht irgendwas Beleidigendes von sich zu geben.

      »Sie sind doch verrückt! Wir haben uns fast in die Hosen gemacht«, platzte es aus Jane heraus.


Скачать книгу