Kullmann jagt einen Polizistenmörder. Elke Schwab
einen heftigen Satz zur Seite machte und anschließend wilde Bocksprünge veranstaltete. Lange Zeit gelang es Anke, sich im Sattel zu halten, doch dann ließ die Kraft nach und mit aller Wucht fiel sie zu Boden.
Zuerst sah sie nichts mehr, ihr war schwarz vor den Augen. Dann glaubte sie, ersticken zu müssen. Sie bekam keine Luft mehr. Nach Atem ringend wälzte sie sich im Sand, bis Robert zu ihr gelaufen kam, sie auf den Rücken legte und sie in dieser Stellung auf den Boden lagerte.
»Ganz ruhig, Anke. Bleib so liegen, die Luft kommt wieder«, sprach er auf sie ein.
Er hatte Recht. Plötzlich war der Krampf verschwunden. Gierig atmete Anke ein.
»Mein Gott, was war das?«, fragte sie, als sie endlich wieder sprechen konnte.
»Das war einfach nur eine Verkrampfung der Brustmuskulatur. Das passiert schon mal bei einem heftigen Sturz. Da bist du keine Ausnahme. Hoffentlich ist sonst nichts passiert«, erklärte Robert mit seiner ruhigen Stimme, die Anke so angenehm empfand.
Er half ihr beim Aufstehen und beobachtete sie aufmerksam, um erkennen zu können, ob sie sich irgendeine Verletzung an den Knochen zugezogen hatte. Dankend lächelte Anke ihn an und versicherte ihm, dass es ihr gut ging. Erst als er diese Gewissheit hatte, entfernte er sich einige Meter von ihr, weil er der Reitlehrerin Platz machen wollte, die auf die beiden zukam. Genau in diesem Augenblick kam Peter von hinten auf Robert zugeritten und rief mit einer überlauten Stimme: »Verschwinde vom Platz, du Erbschleicher. Du störst hier.«
Verwirrt schaute Anke auf Peter, dessen Gesicht hasserfüllt war. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Legte Peter sich hier im Stall mit jedem an, koste es, was es wolle?
Über diese Frage konnte sie jedoch nicht lange nachdenken, weil die Reitlehrerin sich zu ihr gesellte. Sie führte Rondo neben sich her, der ganz geduldig aussah, als wäre nichts geschehen.
Erleichtert nahm Anke Rondos Zügel in die Hand und stieg wieder in den Sattel. Deutlich spürte sie, dass ihre Unsicherheit noch größer geworden war, aber die Reitlehrerin hatte ihr immer wieder geraten, nach einem Sturz schnell wieder aufzusteigen, weil man nur so das angsterregende Erlebnis des Sturzes vergessen könnte.
»Rondo hat sich wirklich erschreckt«, erklärte die Reitlehrerin. »Ich habe Peter zwar angehalten, sich wenigstens während der Reitstunden an die Bahnregeln zu halten, aber es hat nichts genutzt. Die anderen Reitschüler und ich haben beschlossen, in die Halle auszuweichen.«
Diese Idee fand Anke klasse. Sie sah gerade, wie Peter wieder einem Reiter gnadenlos in den Weg ritt und diesen anschrie: »Du hast wohl schon wieder so viel gesoffen, dass du nicht mehr klar sehen kannst.« Der Mann tat so, als habe er nichts gehört und ritt unbeirrt weiter. Doch damit gab Peter sich nicht zufrieden. Wütend fügte er an: »Vergiss nicht, ich bin bei der Verkehrspolizei. Das, was du säufst, reicht locker für den Führerschein. Ein Anruf genügt.«
Nun brachte der Mann sein Pferd zum Halten, schaute auf Peter Biehler und fragte ihn: »Willst du mir drohen? Das kann ich auch. Ich habe schon herausbekommen, wer dein Chef ist und glaube mir, noch so eine Bemerkung und ich werde deinem Chef mal einen Bericht erstatten, wie du dich als Bulle hier im Reitstall aufführst. Das hat Folgen.«
Diese Drohung überhörte Biehler. Unverdrossen ritt er das nächste Hindernis an.
»Ist er das Hindernis überhaupt gesprungen, für das ich vom Pferd fallen musste?«, interessierte sich Anke nun, nachdem sie den Eindruck gewonnen hatte, dass Biehler sich ausnahmslos mit jedem im Stall anlegte.
»Nein! Es war das Übliche, das Pferd hat verweigert«, lachte Robert. »Jetzt meint er, dass du daran schuld bist.«
»Klar, Biehler braucht jemanden, dem er die Schuld geben kann.«
»Weißt du, bei Leuten, deren Ansprüche von ihren Fähigkeiten sehr weit entfernt sind, fällt mir oft auf, dass sie anderen die Schuld für ihr Versagen zuweisen wollen«, stimmte Robert zu.
Wieder ritt Peter den hohen Oxer an, gab seinem Pferd ordentlich die Sporen und sprang los. Zu Ankes Belustigung sprang Peter alleine, ohne sein Pferd. Der Schimmel schien schlauer als sein Reiter zu sein, denn er blieb vor dem Hindernis stehen und schaute seinem Reiter zu, wie er mit Wucht in die vielen Stangen donnerte und mit einem lauten Krachen auf dem Boden aufschlug.
Anke konnte sich ihr Lachen einfach nicht verkneifen. Das geschieht ihm gerade recht, dachte sie.
Obwohl sie noch nicht sehr viel vom Reiten verstand, erkannte sie ganz deutlich, dass Biehler kein Gefühl für Pferde hatte. Das Einzige, was er bereits besaß, war eine plumpe Überheblichkeit, die er nicht nur hier zeigte. Auf seiner Dienststelle verhielt er sich genauso. Von ihrem Kollegen Bernhard Diez erfuhr Anke regelmäßig, wie schwierig es war, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Sie ritt durch das Hallentor und fand Anschluss an ihre Abteilung. Durch den Sturz fühlte Anke sich etwas mulmig, aber sie ritt mutig die Stunde zu Ende.
Spät am Abend schlenderte sie gemeinsam mit Robert zum Parkplatz, wo nur noch zwei Autos standen. Neben Roberts silbergrauem Mercedes-Geländewagen ML 500 wirkte Ankes alter Polo noch kleiner als sonst.
»Am Sonntag reitet Peter Biehler auf dem Turnier in St. Arnual. Was hältst du davon, wenn wir dort zuschauen? Es wird bestimmt ganz lustig«, schlug Robert zum Abschied vor.
Als Anke Biehlers Namen hörte, erinnerte sie sich wieder daran, wie er sich auf dem Reitplatz aufgeführt hatte. Nun konnte sie nicht mehr umhin, Robert zu fragen: »Was meinte Peter eigentlich mit der Bemerkung Erbschleicher?«
»Das ist eine lange Geschichte, die ich dir am Sonntag erzählen werde«, schlug Robert verschmitzt vor, so dass Anke der Verabredung zum Turnier zustimmen musste. Außerdem wollte sie wirklich wissen, wie Biehler sich auf einem Turnier schlagen wollte, wenn er es noch nicht einmal im Training schaffte, über einen Oxer zu springen.
Kapitel 2
Am nächsten Morgen kam Anke zum ersten Mal zu spät zur Arbeit. Die Schmerzen im Genick und in der Schulter hatten sie fast die ganze Nacht wach gehalten. Außerdem spürte sie einen äußerst ungewohnten und quälenden Schmerz in ihrer Brustmuskulatur. Eine Erinnerung an die kurzzeitige Verkrampfung, als sie um Luft ringen musste. Erst am Morgen war sie eingeschlafen, aber nach zwei Stunden hatte gnadenlos der Wecker gerappelt. Der Schmerz war so schlimm, dass sie alle Mühe hatte, aus dem Bett aufzustehen. Völlig übernächtigt fühlte sie sich, als sie durch den langen Flur in ihr Büro schlurfte. Sogar Beine und Gesäß schmerzten bei jedem Schritt. Dabei hatte sie doch tatsächlich gedacht, dass diese Phase endlich vorüber sei, als sie nach jeder Reitstunde sämtliche Muskeln spürte, von deren Existenz sie früher niemals auch nur das Geringste geahnt hatte.
Hübner hatte ihre schlechte Verfassung sofort bemerkt und eilte ihr mit höhnischen Kommentaren hinterher. Anke wunderte sich über sein Verhalten. Inzwischen waren sie seit zwei Jahren getrennt. Ihre Beziehung war nur noch freundschaftlicher und kollegialer Natur, trotz Hübners steter Hoffnung, sie würden wieder ein Paar. Aber mit diesen abfälligen Bemerkungen über ihre Schmerzen nach dem Sturz vom Pferd verbaute er sich jede noch so kleine Chance. Dessen müsste er sich doch bewusst sein.
Anke hinderte ihn daran, in ihren Dienstraum einzutreten, indem sie ihm heftig die Tür vor der Nase zuschlug. Sie hatte keine Lust, mit ihm zu reden, wenn er in dieser Stimmung war. Als erstes kochte sie Kaffee, worauf Kullmann mit Sicherheit schon sehnsüchtig wartete. Während die schwarze Brühe knatternd durch den Filter lief, überlegte sie, welchen schmerzenden Körperteil sie zuerst massieren sollte. Aber sie entschloss stattdessen, sich so wenig wie möglich zu bewegen, weil nur dann der Schmerz nachließ.
Mit einer Tasse Kaffee in der zitternden Hand betrat sie nach einer Weile Kullmanns Büro.
Als Kullmann aufsah, wollte er lächeln, aber als er Anke sah, fragte er erschrocken: »Was ist passiert?«
»Ich bin gestern vom Pferd gefallen«, erklärte Anke abwinkend, womit sie Kullmann zum Lachen bringen konnte.
»Sie kennen meine Überzeugung: