Der Tunnel. Bernhard Kellermann
In der Tat trafen beim Morgengrauen zweitausend Mann ein. Und hinter ihnen her schleppten sich endlose Züge mit Material. Hobby fluchte das Blaue vom Himmel herunter. Allan begrub ihn buchstäblich! Dann aber ergab er sich in sein Schicksal: er erkannte Allans Tempo! Es war das an sich höllische Tempo Amerikas und dieser Zeit zur Raserei gesteigert. Und er respektierte es, obwohl es ihm den Atem benahm, und potenzierte seine Anstrengungen.
Am dritten Tage hatte die Feldbahn, auf der gerade ein Zug fahren konnte ohne umzustürzen, die Baustelle erreicht, und am Abend des dritten Tages noch pfiff eine kleine Feldlokomotive, die mit lautem Hurra begrüßt wurde, mitten im Camp. Sie schleppte endlose Karren voller Bretter, Balken und Wellblech herbei, und zweitausend Arbeiter waren in fieberhafter Hast beschäftigt, Baracken, Feldküchen, Schuppen anzulegen. Aber in der Nacht kam ein Gewittersturm und fegte die ganze Stadt Hobbys durcheinander.
Hobby hatte für diesen Scherz nur einen langen gehaltvollen Fluch. Er bat Allan um vierundzwanzig Stunden Frist, aber Allan nahm nicht die geringste Rücksicht und sandte einen Materialzug nach dem andern, so daß es Hobby schwarz vor den Augen wurde.
An diesem Tag kam Allan selbst abends um sieben Uhr im Auto mit Maud heraus. Und Allan fuhr umher, wetterte und fluchte und nannte alles eine Bummelei und sagte, das Syndikat bezahle und verlange angestrengteste Arbeit, und fuhr wieder ab und hinterließ ein Kielwasser von Staunen und Respekt.
Hobby war nicht der Mann, der sich rasch entmutigen ließ. Er war entschlossen, das fünfzehnjährige tolle Rennen durchzuhalten und fuhr nun wie ein Teufel dazwischen. Das Allansche Tempo riß ihn mit fort! Ein Arbeiterbataillon war mit dem Bau eines Bahndammes nach Lakewood beschäftigt; für reguläre Züge; eine rostrote Staubwolke zeigte den Weg seiner Arbeit. Ein zweites stürzte sich auf die ankommenden Materialzüge, um in gepeitschtem Tempo die Güter abzuladen und aufzustapeln, Schwellen, Schienen, Kabelmaste, Maschinen. Ein drittes wühlte beim „Schacht“; ein viertes zimmerte die Baracken. All diese Bataillone wurden von Ingenieuren befehligt, die an nichts erkennbar waren als dem unaufhörlichen Geschrei und den erregten Gestikulationen, womit sie die Arbeiterrotten antrieben.
Hobby, auf seinem Grauschimmel, war allgegenwärtig. Die Arbeiter nannten ihn „Jolly Hobby,“ wie sie Allan „Mac“ getauft hatten und Harrimann, den Chefingenieur — ein stiernackiger düsterer Mann, der sein ganzes Leben auf den großen Baustellen aller Kontinente verbracht hatte — einfach „Bull.“
Zwischen all diesen Menschenknäueln aber bewegten sich die Feldmesser mit ihren Instrumenten, als ob sie der ganze Tumult nichts angehe, und übersäten das ganze Gelände mit buntfarbigen Pflöcken und Stangen.
Drei Tage nach dem ersten Spatenstich war die Tunnelstadt ein Minen-Camp gewesen, dann ein Feldlager und eine Woche später eine ungeheure Barackenstadt, in der zwanzigtausend Menschen kampierten, mit Schlachthäusern, Molkereien, Bäckereien, Basaren, Bars, Post, Telegraph, einem Hospital und einem Friedhof. Abseits von ihr stand schon eine ganze Straße fertiger Häuser, Edisonsche Patenthäuser, die an Ort und Stelle gegossen wurden und innerhalb von zwei Tagen fix und fertig waren. Die ganze Stadt war dick mit Staub bedeckt, so daß sie fast weiß erschien; die wenigen Grasbüschel und die vereinzelten Büsche waren zu Zementhaufen geworden. Die Straßen waren Eisenbahnschienen und Schwellen, und die flachen Baracken versanken in einem Wald von Kabelmasten.
Acht Tage später erschien inmitten der Barackenstadt ein schwarzer, heulender und gellender Dämon: eine riesige amerikanische Güterzugmaschine auf hohen roten Rädern, die einen endlosen Zug von Waggons nachschleppte. Sie stand fauchend in dem Trümmerfeld, stieß eine schwarze, hohe Rauchwolke in die grelle Sonne empor und sah um sich. Alle blickten auf sie und schrien und heulten begeistert: es war Amerika, das in die Tunnelstadt gekommen war!
Am andern Tag waren es Rudel und eine Woche später waren es Schwärme dieser schwarzen, rauchenden Dämonen, die die Luft mit der bebenden Ausdünstung ihrer Leiber erschütterten, ihre Saurierknochen schwangen und aus Kiefern und Nasenschlund Dampf und Rauch stießen. Die Barackenstadt sah aus, als ginge sie in Qualm auf. Oft war der Qualm so dick, daß sich in der verdunkelten Atmosphäre elektrische Entladungen vollzogen und bei schönstem Wetter Donner über die Tunnelstadt hinrollte. Die Stadt tobte und schrie, sie pfiff, schoß, donnerte, gellte.
Aus der Mitte dieser tobenden, rauchenden, weißen Schuttstadt aber stieg eine ungeheure Staubsäule empor, Tag und Nacht. Diese Staubsäule bildete Wolkenformationen, ähnlich jenen, die man bei Vulkanausbrüchen beobachtet. Pilzförmig, von den oberen Luftschichten zusammengedrückt, und Wolkenfetzen zogen von ihr aus mit den Luftströmungen.
Es kam ganz auf den Wind an. Aber die Dampfer haben diesen Staub auf dem Meere beobachtet als eine viele Kilometer umfassende, kalkweiße schwimmende Insel, und zuweilen siebte der Tunnelstaub über New York herab wie ein feiner Aschenregen.
Die Baustelle war hier vierhundert Meter breit und zog sich fünf Kilometer schnurgerade ins Land hinein. Sie wurde in Terrassen abgebaut, die tiefer und tiefer stiegen. An der Mündung der Tunnelstollen sollte die Sohle der Terrassen zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel liegen.
Heute eine sandige Heidefläche mit einer Heerschar von buntfarbigen Pflöcken, morgen ein Sandbett, übermorgen eine Kiesgrube, ein Steinbruch, ein ungeheurer Kessel aus Konglomeraten, Sandsteinen, Tonen und Kalk, und zuletzt eine Schlucht, in der es wimmelte wie von Maden. Das waren Menschen, winzig von oben gesehen, weiß und grau vom Staub, graue Gesichter, Staub in den Haaren und Wimpern und einen Brei von Staubmasse zwischen den Lippen. Zwanzigtausend Menschen stürzten sich Tag und Nacht in diese Baugrube hinein. Wie ein See glitzert, so glitzerten drunten die Picken und Schaufeln. Hornsignale: Staub wirbelt empor, ein steinerner Koloß neigt sich vornüber, stürzt, zerfällt, und Knäuel von Menschen wälzen sich in die Staubwolke, die emporjagt. Die Bagger kreischen und jammern, die Paternosterwerke winseln und rasseln unaufhörlich, Krane schwingen, Karren sausen durch die Luft, und die Pumpen drücken Tag und Nacht einen Strom von schmutzigem Wasser durch mannsdicke Röhren empor.
Heere von winzigen Lokomotiven schießen unter den Baggern hindurch, schleppen sich zwischen Geröll und über Sandhaufen. Aber sobald sie das freie Land und solide Schienen erreicht haben, fliegen sie wild pfeifend und mit gellenden Glockensignalen zwischen den Baracken dahin nach den Baustellen, wo man Sand und Steine braucht. Hier haben die Züge Berge von Zementsäcken angefahren, und Arbeiterscharen sind beschäftigt, große Kasernenbauten zu errichten, die vierzigtausend Mann beherbergen sollen und zum Winter unter Dach sein müssen.
Fünf Kilometer vom „Schacht“ entfernt aber — wo die Trasse sich in sanftem Winkel zu neigen beginnt — stehen in einer Wolke von Öl, Hitze und Rauch vier finstere Maschinen auf funkelnagelneuen Schienen und warten und qualmen.
Vor ihren Rädern blitzen Schaufeln und Picken. Schweißtriefende Rotten heben den Boden aus und füllen ihn auf mit Steinblöcken und Schottersteinen, die aus Kippwagen die Böschung herunterpoltern. In die Steine betten sie Schwellen, die noch kleben vom Teer, und wenn sie eine Leiter von Schwellen gelegt haben, so schrauben sie die Schienen darauf fest. Und wenn sie fünfzig Meter Schienen gelegt haben, so pusten und zischen die vier schwarzen Maschinen und bewegen die Stahlgelenke, drei-, viermal, und schon sind sie wieder bei den blitzenden Schaufeln und Picken angelangt.
So wandern die vier schwarzen Ungeheuer jeden Tag vorwärts, und eines Tages stehen sie tief zwischen hohen Geröllbergen, und eines Tages stehen sie tief unter den Terrassen in einem Kamin von steilen Betonwänden und starren mit ihren Zyklopenaugen auf die Felswand vor ihnen, wo im Abstand von dreißig Schritten zwei große Bogen angeschlagen sind — die Mündung des Tunnels.
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