Der Tunnel. Bernhard Kellermann

Der Tunnel - Bernhard Kellermann


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Zeiten! Es wäre eine Schande für Amerika, wenn sein Projekt nicht ausgeführt würde!“

      „Mrs. Brown?“ Maud war starr vor Erstaunen. „Aber sie brennt ja nicht einmal Licht vor lauter Geiz!“

      „Trotzdem, Maud!“ Hobby brach von neuem in helles Gelächter aus. „Der Teufel kennt die Menschen, girl! Sie und Kilgallan, die zwei werden dich durchsetzen, Mac!“

      „Willst du nicht mit uns essen, Hobby?“ fragte Allan, der einen Hühnerschenkel zwischen den Zähnen bearbeitete und Hobby aufmerksam zuhörte.

      „Ja, komm doch her, Hobby!“ rief Maud und stellte Teller zurecht.

      Aber Hobby hatte keine Zeit. Er war weitaus erregter als Allan, obwohl ihn die ganze Sache wenig anging. Er stürzte wieder hinaus.

      Von Viertelstunde zu Viertelstunde kam er wieder, um über den Stand von Allans Sache zu berichten.

      „Mrs. Brown hat zehn Millionen Dollar gezeichnet, Mac! Es beginnt!“

      „Mein Gott!“ schrie Maud mit schriller Stimme und schlug vor Überraschung die Hände zusammen.

      Allan schälte eine Birne und wandte sich ruhig an Hobby: „Na, und?“

      Hobby aber war zu erregt, um sich setzen zu können. Er lief hin und her, nahm eine Zigarre aus der Tasche und biß die Spitze ab. „Sie zieht also einen Notizblock aus der Tasche,“ begann er, während er mit fliegenden Händen die Zigarre in Brand steckte, „einen Block, den ich nicht mit der Feuerzange anfassen möchte, so schmutzig ist er — und zeichnet! Stille! Alles ist starr! Und nun greifen die anderen in die Tasche und Kilgallan geht herum und sammelt die Zettel ein. Kein Wort wird mehr gesprochen. Die Photographen arbeiten mit Hochdruck! Mac, deine Sache ist gemacht, I will eat my hat ...“

      Dann ließ sich Hobby lange nicht mehr sehen. Eine ganze Stunde verging.

      Maud war still geworden. Sie saß aufgeregt da und lauschte mit Ohren und Augen, ob sich nichts rege. Je länger es dauerte, desto verzagter wurde sie. Allan saß im Sessel und rauchte still und nachdenklich die Pfeife.

      Endlich vermochte Maud nicht länger an sich zu halten, und sie fragte, ein wenig kleinlaut: „Und wenn sie sich nicht entschließen können, Mac?“

      Allan nahm die Pfeife aus dem Mund, hob den Blick mit einem Lächeln zu Maud und erwiderte ruhig und mit tiefer Stimme: „Dann fahre ich wieder nach Buffalo und fabriziere meinen Stahl!“ Aber mit einem festen, sicheren Nicken des Kopfes fügte er hinzu: „Sie werden sich entschließen, Maud!“

      In diesem Augenblick klingelte das Telephon. Es war Hobby. „Sofort heraufkommen!“

      Als Allan wieder auf dem Dachgarten erschien, kam ihm der Stahltrustmann Kilgallan entgegen und klopfte ihm auf die Schulter.

      „You are all right, Mac!“ sagte er.

      Allan hatte gesiegt. Er händigte dem rotgekleideten Groom einen Stoß Telegramme ein und der Groom versank im Lift.

      Einige Minuten darauf war der Dachgarten leer. Jeder einzelne ging unverzüglich an seine Arbeit. Hotelbedienstete schafften die Gewächse und Sessel fort, um Platz für Vanderstyffts großen Vogel zu machen.

      Vanderstyfft kletterte in die Maschine und schaltete die Lampen ein. Der Propeller prasselte, ein Sturmwind fegte die Hotelbediensteten in die Ecke, der Apparat lief ein Dutzend Schritte vorwärts und stieg in die Luft. Und der große weiße Vogel zog den Lichtnebeln New Yorks entgegen und verschwand.

      Zehn Minuten nach dieser Sitzung spielte der Telegraph nach New Jersey, Frankreich, Spanien, den Bermudas und Azoren. Eine Stunde später hatten Allans Agenten für fünfundzwanzig Millionen Dollar Ländereien aufgekauft.

      Diese Ländereien befanden sich in der für den Tunnelbau denkbar günstigsten Lage; Allan hatte sie schon vor Jahren ausgewählt. Sie bestanden aus dem schlechtesten und billigsten Boden: Dünen, Heiden, Moräste, kahle Inseln, Riffe, Sandbänke. Der Preis von fünfundzwanzig Millionen Dollar war ein Spottgeld, wenn man bedenkt, daß die Ländereien zusammen das Gebiet eines Herzogtums umfaßten. Einbegriffen war ein ausgedehnter, tiefer Komplex in Hoboken, der mit einer Front von zweihundert Metern an den Hudson stieß. Die aufgekauften Gebiete lagen alle entfernt von größeren Städten, denn Allan brauchte diese Städte nicht. Seine Heiden und Dünen waren berufen, in Zukunft selbst Städte zu tragen, die die Umgebung verschlangen.

      Während die Welt noch schlief, flogen Allans Telegramme durch die Kabel und durch die Luft und überrumpelten sämtliche Börsen der Welt. Und am Morgen erbebte New York, Chikago, Amerika, Europa, die ganze Welt, bei dem Wort: „Atlantic-Tunnel-Syndikat“.

      Die Zeitungspaläste waren die ganze Nacht tageshell erleuchtet. Die Rotationspressen der Druckereien arbeiteten mit ihrer größten Geschwindigkeit. Herald, Sun, World, Journal, Telegraph, all die in New York erscheinenden englischen, deutschen, französischen, italienischen, spanischen, yiddischen, russischen Zeitungen hatten erhöhte Auflagen gedruckt, und Millionen von Zeitungsblättern gingen mit dem erwachenden Tag über New York nieder. In den sausenden Aufzügen, auf den rollenden Trottoiren und kletternden Treppen der Hochbahnstationen, auf den Perrons der Subway, wo sich der allmorgendliche Kampf um einen Platz in den vollgestopften Waggons abspielte, auf den Hunderten von Ferrybooten und in den Tausenden von elektrischen Cars — von der Battery angefangen bis hinauf zur Zweihundertsten Straße wurden förmliche Schlachten um die nassen Zeitungen geschlagen. In allen Straßen stiegen Fontänen von Extrablättern über Menschenknäuel und ausgestreckte Hände empor.

      Die Nachricht war sensationell, unerhört, kaum faßbar, kühn!

      Mac Allan! — Wer war er, was hatte er getan, woher kam er? Wer war der Bursche, der über Nacht vor die Front der unbekannten Millionen trat?

      Einerlei, wer er war! Er hatte es fertiggebracht, das Tag um Tag gleichmäßig dahinsausende New York aus den Geleisen zu werfen.

      Die Augen saugten sich fest an den Ansichten prominenter Persönlichkeiten, die ihre Meinung über den Tunnel im Telegrammstil veröffentlichten:

      C. H. Lloyd: „Europa wird ein Vorort Amerikas werden.“

      Der Tabakmann H. F. Herbst: „Du kannst einen Waggon Waren von New Orleans nach St. Petersburg schicken, ohne umladen zu müssen.“

      Der Multimillionär H. I. Bell: „Ich werde meine Tochter, die in Paris verheiratet ist, anstatt dreimal im Jahr, zwölfmal sehen können.“

      Verkehrsminister de la Forest: „Der Tunnel bedeutet für jeden Geschäftsmann ein geschenktes Lebensjahr an ersparter Zeit.“

      Man verlangte ausführliche Nachrichten und man hatte ein Recht, sie zu verlangen. Vor den Zeitungspalästen stauten sich die Menschen, so daß die Führer der elektrischen Wagen mit den Stiefeln auf den Glockenknopf hämmern mußten, um ihre Trains durchschieben zu können. Stundenlang waren die Augen des kompakten Menschenblocks auf die Projektionsfläche im zweiten Stock des „Herald-buildings“ gerichtet, obgleich seit Stunden die gleichen Bilder erschienen: Mac Allan, Hobby, die Gesellschaft auf dem Dachgarten.

      „Sieben Milliarden sind vertreten!!“ „Mac Allan verkündet sein Projekt.“ (Kinematographisch). „Mrs. Brown zeichnet 10 Millionen.“ (Kinematographisch). „C. H. Smith wird aus dem Lift gezerrt.“

      „Wir sind die einzigen, die Vanderstyffts Ankunft auf dem Roofgarden bis zur unmittelbaren Landung zeigen können. Unser Photograph wurde von der Maschine niedergerissen.“ (Kinematographisch). New Yorks weiße, mit Fenstern punktierte Wolkenkratzer, aus denen dünner, weißer Dampf steigt. Ein weißer Schmetterling erscheint, ein Vogel, eine Möwe, ein Monoplan! Der Monoplan saust über den Roofgarden hinweg, beschreibt eine Kurve, kommt zurück, senkt sich, ein Riesenflügel schwenkt heran. Schluß. Ein Porträt: Mr. C. G. Spinnaway, unser Photograph, den Vanderstyffts Maschine zu Boden schleuderte und schwer verletzte.

      Neueste Aufnahme:


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