Der Tunnel. Bernhard Kellermann

Der Tunnel - Bernhard Kellermann


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      „Wie findest du sie?“

      „Sie kam mir sehr ungekünstelt vor, natürlich, ein wenig naiv sogar, fast wie ein Kind.“

      „Oh!“ Maud lachte. Und sie begriff selbst nicht, weshalb Macs Antwort sie wieder leicht gegen ihn verstimmte. „Oh, Mac, wie du dich auf Frauen verstehst! Lord! Ethel Lloyd und natürlich! Ethel Lloyd und naiv! Hahaha!“

      Nun mußte auch Allan lachen. „Sie kam mir in der Tat so vor,“ versicherte er.

      Maud aber ereiferte sich. „Nein, Mac,“ rief sie aus, „ich habe doch nie so etwas Komisches gehört! So seid ihr Männer! Es gibt kein gekünstelteres Wesen als Ethel Lloyd, Mac! Ihre Natürlichkeit ist ihre größte Kunst. Ethel ist, glaube mir das ruhig, Mac, eine ganz raffinierte, kokette Person und alles an ihr ist Berechnung. Sie möchte euch Männer alle behexen. Glaube mir das, ich kenne sie. Hast du ihre Sphinxaugen gesehen?“

      „Nein.“ Allan sagte die Wahrheit.

      „Nicht? Aber sie sagte einmal zu Mabel Gordon: ich habe Sphinxaugen, alle Leute sagen es. Und du findest sie naiv! Sie ist ja so schrecklich eitel, dieses hübsche Geschöpf, oh, du mein Gott! Jede Woche mindestens einmal erscheint ihr Bild in der Zeitung. Ethel sagt: —! Sie macht Tag und Nacht Reklame für sich, genau wie Hobby. Sogar mit ihrer Wohltätigkeit macht sie Reklame.“

      „Vielleicht hat sie aber wirklich ein gutes Herz, Maud?“ warf Allan ein.

      „Ethel Lloyd?“ Maud lachte. Dann sah sie Mac plötzlich in die Augen, während sie sich an den Nickelgriffen des sausenden, schleudernden Autos festhielt. „Ist sie wirklich so schön, Ethel?“

      „Ja, sie ist schön, Maud. Aber, Gott weiß, weshalb sie sich so stark pudert!“

      Maud sah enttäuscht aus. „Hast du dich in sie verliebt, Mac? Wie alle andern?“ fragte sie leise, mit geheuchelter Angst.

      Allan lachte und zog sie an sich. „Du bist ein kleiner Narr, Maud!“ rief er aus und drückte ihr Gesicht an seine Wange.

      Nun war Maud wieder ganz zufrieden. Wie kam es doch, daß sie heute jede Kleinigkeit irritieren konnte? Was ging Ethel Lloyd sie an?

      Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie in aufrichtigem Ton: „Es kann übrigens sein, daß Ethel wirklich ein gutes Herz hat, ich glaube es sogar.“

      Aber gerade, als sie dies ausgesprochen hatte, fand sie, daß sie im Grunde nicht recht an das gute Herz Ethels glaubte. Nein, heute war nichts mit ihr anzufangen.

      Nach dem Diner, das sie sich auf dem Zimmer servieren ließen, ging Maud gleich zu Bett, während Allan im Salon blieb, um Briefe zu schreiben. Allein Maud konnte nicht sofort einschlafen. Sie war seit dem frühen Morgen auf den Beinen gewesen und übermüdet. Die trockene, heiße Luft des Hotelzimmers versetzte sie in ein leises Fieber. Alle Aufregungen des Tages, die Reise, das Konzert, die Menschenmenge, Ethel Lloyd, alles erwachte wieder in ihrem übermüdeten Kopf. Sie hörte wieder Konzert und Stimmen in ihren Ohren klingen. Drunten schwirrten die Autos. Es tutete. In der Ferne rauschten die Hochzüge. Gerade als sie einschlummern wollte, weckte sie ein Knacken in der Dampfheizung. Sie hörte, daß der Lift im Hotel emporstieg und leise sang. Die Spalte an der Tür war noch hell.

      „Schreibst du noch immer, Mac?“ fragte sie, fast ohne die Lippen zu öffnen.

      Mac erwiderte: „Go on and sleep.“ Aber seine Stimme klang so tief, daß sie, im leichten Fieber des Halbschlafes, lachen mußte.

      Sie schlief ein. Aber plötzlich fühlte sie, daß sie ganz kalt wurde. Sie wachte wieder auf, voller Unruhe und seltsamer Angst, und dachte nach, was sie erschauern hatte lassen. Sofort fiel es ihr ein. Sie hatte geträumt: sie kam in Ediths Zimmer, und wer saß da? Ethel Lloyd. Ethel Lloyd saß da, blendend schön, den Diamanten auf der Stirn und bettete die kleine Edith sorgfältig ein — ganz als sei sie Ediths Mutter ...

      Mac saß in Hemdärmeln in der Sofaecke und schrieb. Da knackte es an der Türe und Maud erschien in ihrem Schlafkleid, schlaftrunken ins Licht blinzelnd.

      Ihr Haar glänzte. Sie sah blühend und jung aus, wie ein Mädchen, und Frische strömte von ihr aus. Aber ihre Augen flackerten unruhig.

      „Was hast du?“ fragte Allan.

      Maud lächelte verwirrt. „Nichts,“ entgegnete sie, „ich träume solch dummes Zeug.“ Sie setzte sich in einen Sessel und strich das Haar glatt. „Weshalb gehst du nicht schlafen, Mac?“

      „Die Briefe müssen morgen mit dem Dampfer fort. Du wirst dich erkälten, Liebling.“

      Maud schüttelte den Kopf. „O nein,“ sagte sie, „es ist im Gegenteil sehr heiß hier.“ Dann sah sie Mac mit wachen Augen an. „Höre, Mac,“ fuhr sie fort, „warum verschweigst du mir, was du mit Lloyd zu tun hast?“

      Allan lächelte und erwiderte langsam: „Du hast mich nicht danach gefragt, Maud. Ich wollte auch nicht darüber sprechen, solange die Sache noch in der Luft hing.“

      „Willst du es mir jetzt nicht sagen?“

      „Doch, Maud.“

      Da erklärte er ihr, worum es sich handele. Zurückgelehnt ins Sofa, gutmütig lächelnd und in aller Ruhe setzte er ihr sein Projekt auseinander, ganz als ob er nur eine Brücke über den East River bauen wolle. Maud saß in ihrem Schlafkleid da und staunte und verstand nicht. Aber als sie anfing zu verstehen, staunte sie immer mehr, und ihre Augen wurden immer größer und glänzender. Ihr Kopf wurde ganz heiß! Nun begriff sie plötzlich seine Tätigkeit in den letzten Jahren, seine Versuche, seine Modelle und seine Stöße von Plänen. Nun begriff sie auch, weshalb er zur Abreise gedrängt hatte: er hatte keine Minute Zeit zu versäumen! Nun begriff sie auch, weshalb all die Briefe mit dem Boot morgen fort mußten. Es erschien ihr fast, als träume sie wieder ...

      Als Allan zu Ende war, saß sie mit großen glänzenden Augen da, die nichts als Strahlen und Bewunderung waren. „Nun weißt du es, kleine Maud!“ sagte Allan und bat sie schlafen zu gehen. Maud trat zu ihm und umschlang ihn, so fest sie konnte und küßte ihn auf den Mund.

      „Mac, mein Mac!“ stammelte sie.

      Als aber Allan sie nochmals bat, sich niederzulegen, gehorchte sie augenblicklich und ging hinaus, noch ganz trunken im Kopf. Es war ihr plötzlich der Gedanke in den Sinn gekommen, als ob Macs Werk ebenso groß sei wie jene Symphonien, die sie heute gehört hatte, ebenso groß — nur ganz anders.

      Zu Allans Erstaunen kam sie aber nach einigen Minuten wieder herein. Sie brachte eine Decke mit, und während sie flüsterte: „Arbeite! Arbeite!“ bettete sie sich zusammengerollt neben ihm aufs Sofa. Den Kopf an seinen Schenkel gelegt, schlief sie ein.

      Allan hielt inne und sah sie an. Und er dachte, daß sie schön und rührend sei, seine kleine Maud, und er sein Leben tausendfach für sie hingeben würde.

      Dann schrieb er eifrig weiter.

      5.

      Am folgenden Mittwoch schiffte sich Allan mit Maud und Edith auf dem deutschen Drei-Tage-Boot nach Europa ein. Hobby begleitete sie; er „kam auf acht Tage mit“.

      Maud war in wunderbarer Stimmung. Sie hatte ihre heiterste Laune — ihre Mädchenlaune — wiedergefunden, und diese Laune hielt während der ganzen Fahrt über den winterlichen und ungastlichen Ozean an, obwohl sie Mac nur bei den Mahlzeiten und am Abend zu Gesicht bekam. Lachend und fröhlich plaudernd stapfte sie, in Pelze eingehüllt, in dünnen Lackschuhen auf den eisigen Verdeckkorridoren hin und her.

      Hobby war der populärste Mann auf dem Boot. Von den Kabinen der Ärzte und Zahlmeister an bis hinauf zur geheiligten Kommandobrücke war er zu Hause. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend gab es keine Stelle auf dem Schiff, wo man nicht seine helle, etwas nasale Stimme gehört hätte.

      Von Allan dagegen hörte und sah man nichts. Er war den ganzen Tag über


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