Der Tunnel. Bernhard Kellermann

Der Tunnel - Bernhard Kellermann


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Zeitung, zusammen mit einem (gefälschten) Porträt von Mr. Mac Allan, Erfinder des Diamantstahls Allanit, den C. H. L. (Charles Horace Lloyd) in seiner Loge empfing, um mit ihm über eine Millionengründung zu verhandeln.

      Maud schwelgte noch immer. Allein sie war nicht mehr imstande, mit jener heiligen Andacht zu lauschen wie vorher. Sie hatte die Szene in Lloyds Loge beobachtet. Sie wußte wohl, daß Mac damit beschäftigt war, etwas Neues auszuarbeiten, eine „große Sache“, wie er sagte. Irgendeine Erfindung, ein Projekt, sie hatte ihn nie darüber gefragt, denn nichts lag ihr ferner als Maschinen und technische Dinge. Sie begriff auch, wie wertvoll für Mac eine Verbindung mit Lloyd sein mußte, aber sie machte ihm stille Vorwürfe, daß er gerade diesen Abend für eine Besprechung gewählt hatte. Den einzigen Abend des Winters, an dem er mit ihr zusammen ein Konzert besuchte. Sie verstand nicht, wie es ihm möglich war, während eines solchen Konzerts an Geschäfte zu denken! Zuweilen kam ihr der Gedanke, als ob sie nicht recht in dieses Amerika hineinpasse, wo alles Busineß war und nur Busineß, als ob sie glücklicher geworden wäre da drüben in der Alten Welt, wo sie noch Erholung und Geschäft zu trennen verstanden. Aber nicht das allein beunruhigte Maud, der feine, ewig wache Instinkt der liebenden Frau ließ sie befürchten, daß jene „große Sache“, diese Lloyds und wie sie hießen, mit denen Mac nun zu tun haben würde, ihr noch mehr von ihrem Gatten rauben würden, als die Fabrik und seine Tätigkeit in Buffalo es jetzt schon taten.

      Über Mauds fröhliche Laune war ein Schatten gefallen, und sie legte die Stirn in Falten. Dann aber glitt plötzlich eine stille Heiterkeit über ihr Gesicht. Eine fugenartige, tändelnde und heitere Passage hatte ihr — dank einer rätselhaften Ideenverbindung — ganz plötzlich ihr Kind deutlich und in den reizvollsten, eine Mutter beglückenden Situationen ins Gedächtnis gerufen. Es verlockte sie, in der Musik eine Prophezeiung des Lebens ihres kleinen Mädchens hören zu wollen, und anfangs ging alles herrlich. Ja, so glücklich sollte ihre Edith werden, so sollte Ediths Leben sein! Aber die spielerische, sonnige Heiterkeit ging unvermittelt in ein schweres, schleppendes majestoso sostenuto über, das Beklommenheit und böse Ahnungen erweckte.

      Mauds Herz klopfte langsamer. Nein, nimmermehr sollte das Leben ihres kleinen süßen Mädchens, mit dem sie wie ein Kind spielte und das sie wie eine erfahrene alte Frau pflegte, dieser Musik ähnlich werden. Welch ein Unsinn, mit solchen Einfällen zu spielen! Sie breitete sich in Gedanken über die Kleine, um sie mit ihrem Körper gegen diese bange, schwere Musik zu decken, und nach einiger Zeit gelang es ihr auch, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben.

      Die Musik selbst kam ihr zu Hilfe. Denn plötzlich riß die Brandung der Töne sie wieder fort zu einer unbestimmten Sehnsucht, die heiß und herrlich war und alle Gedanken erstickte. Sie war Ohr, wie vorher. Mit einer atemlosen, rasenden Leidenschaftlichkeit jagte die Musik dahin, von heißen, verführerischen Stimmen angeführt, und Maud war wie ein loses Blatt im Sturmwind. Plötzlich aber brach sich die wilde, keuchende Leidenschaft an einem unbekannten Hindernis, so wie die Woge an einem Felsen zerschellt, und die donnernde Brandung zerflatterte in schreiende, wehklagende, zitternde und ängstliche Stimmen. Maud war es, als ob sie plötzlich still stehen müsse und gezwungen sei, über etwas nachzudenken, was unbekannt, geheimnisvoll und unergründlich für sie war. Die Stille, die dem heißen Sturm folgte, war so bannend, daß plötzlich alle vibrierenden Fächer im Parkett stehen blieben. Mit einer Dissonanz setzten die Stimmen da drunten wieder unsicher, zögernd ein (die Fächer bewegten sich wieder), und diese zusammengepreßten, gequälten Töne, die sich nur schwer und mühselig zur Melodie durchkämpften, stimmten Maud nachdenklich und traurig. Die spottenden Fagotte drunten sprachen zu ihr, und die Celli, die ganz ehrlich litten, und es schien Maud, als ob sie plötzlich ihr ganzes Leben verstünde. Sie war nicht glücklich, trotzdem Mac sie anbetete und sie ihn abgöttisch liebte — nein, nein, es war da irgend etwas, was fehlte ...

      In diesem Augenblick, gerade in diesem Augenblick, berührte Mac ihre Schulter und raunte ihr ins Ohr: „Entschuldige, Maud — wir fahren am Mittwoch nach Europa. Ich habe noch viel vorzubereiten in Buffalo. Wenn wir jetzt gehen, können wir den Nachtzug noch erreichen. Was denkst du?“

      Maud antwortete nicht. Sie saß still und regungslos. Das Blut stieg ihr über Schultern und Nacken ins Gesicht. Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen. So vergingen einige Minuten. Sie war in diesem Augenblick Mac bitterböse im Herzen. Es erschien ihr roh, sie mitten aus dem Konzert zu reißen, nur weil seine Geschäfte drängten.

      Allan sah, daß sie schwer atmete und ihre Wange rot geworden war. Seine Hand lag noch auf ihrer Schulter. Er machte eine liebkosende Bewegung und raunte begütigend: „Nun, so bleiben wir, Liebling, ich machte nur den Vorschlag. Wir können auch recht gut den Frühzug morgen nehmen.“

      Maud aber war die Laune gründlich verdorben. Die Musik quälte sie jetzt und machte sie bang und unruhig. Sie schwankte noch, ob sie nachgeben sollte oder nicht. Da sah sie zufällig, daß Ethel Lloyd ganz ungeniert das Glas auf sie gerichtet hatte, und augenblicklich schickte sie sich an zu gehen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, damit Ethel Lloyd es sähe, und Allan war sehr erstaunt über ihren zärtlichen (noch feuchten) Blick, mit dem sie sich an ihn wandte. „Gehen wir, Mac!“

      Es freute sie, daß Mac ihr zuvorkommend beim Aufstehen behilflich war, und heiter lächelnd, anscheinend in der glücklichsten Laune, verließ sie die Loge.

      Sie erreichten Central-Station gerade, als der Zug aus der Halle zog.

      Maud vergrub die kleinen Hände in die Taschen ihres Pelzmantels und lugte aus dem aufgestülpten Kragen zu Mac hin. „Da fährt dein Zug, Mac!“ sagte sie lachend und gab sich keine Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.

      Hinter ihnen stand ihr Diener, Leon, ein alter Chinese, den alle Welt „Lion“ rief. Lion trug die Reisetaschen und sah mit stupidem Ausdruck seines welken, faltigen Gesichtes dem Zuge nach.

      Allan zog die Uhr und nickte. „Es ist zu schade,“ sagte er gutmütig. „Lion, wir fahren ins Hotel zurück.“

      Im Auto erklärte er Maud, daß es ihm gerade ihretwegen unangenehm sei, daß sie den Zug versäumt hätten; sie habe gewiß noch eine Menge mit dem Packen zu tun.

      Maud lachte leise. „Weshalb?“ sagte sie und sah an Mac vorbei. „Wieso weißt du, daß ich überhaupt mitfahre, Mac?“

      Allan sah sie erstaunt an. „Du wirst schon mitkommen, denke ich, Maud?“

      „Ich weiß wirklich nicht, ob es angeht, mit Edith im Winter zu reisen. Und ohne Edith gehe ich auf keinen Fall.“

      Allan blickte nachdenklich vor sich hin.

      „Daran dachte ich im Augenblick gar nicht,“ sagte er nach einer Weile zögernd. „Freilich, Edith. Aber ich denke, es ließe sich trotzdem machen.“

      Maud entgegnete nichts. Sie wartete. So leicht sollte er diesmal nicht davonkommen. Nach einer Pause setzte Allan hinzu: „Der Dampfer ist ja genau wie ein Hotel, Maud. Ich würde Luxuskabinen nehmen, damit ihr es bequem hättet.“

      Maud kannte Mac genau. Er würde nicht weiter in sie dringen, mitzukommen, sie nicht bitten. Er würde nun kein Wort weiter sagen und es ihr auch gar nicht übelnehmen, wenn sie ihn allein reisen ließe.

      Sie sah ihm an, daß er sich jetzt schon mit diesem Gedanken abzufinden suchte.

      Er blickte nachdenklich und enttäuscht vor sich hin. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß ihre Absage nichts als eine Komödie war, ihm, der nie in seinem Leben Komödie spielte und dessen Wesen so einfach und aufrichtig war, daß es sie immer von neuem überraschte.

      In einer plötzlichen Aufwallung ergriff sie seine Hand. „Natürlich komme ich mit, Mac!“ sagte sie mit einem zärtlichen Blick.

      „Ah, siehst du!“ erwiderte er und drückte ihr dankbar die Hand.

      Die Überwindung ihrer schlechten Laune machte Mauds Herz plötzlich froh und leicht, und sie begann rasch und


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