Der Tunnel. Bernhard Kellermann

Der Tunnel - Bernhard Kellermann


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dagegen hatte Mauds lächelnd geäußerter Vorwurf an das Wichtigste erinnert, was er Allan hatte sagen wollen. Er sah plötzlich nachdenklich aus und faßte Allans Frack.

      „Höre, Mac,“ sagte er etwas leiser, „ich befürchte, daß du heute umsonst von Buffalo hierhergekommen bist. Der alte Lloyd ist nicht wohl. Ich habe vor einer Stunde Ethel Lloyd angeklingelt, aber sie wußte noch nicht, ob sie kommen würden. Das wäre in der Tat fatal!“

      „Es muß ja nicht gerade heute sein,“ entgegnete Allan, ohne seine Enttäuschung zu verraten.

      „Auf jeden Fall bin ich wie der Satan hinter ihm her, Mac! Er soll keine ruhige Stunde mehr haben! Und nun adieu einstweilen!“

      Im nächsten Augenblick tauchte Hobby schon mit lautem Hallo in einer Nachbarloge auf, in der drei junge rothaarige Damen mit ihrer Mutter saßen.

      Der Dirigent mit dem mageren Geierkopf stand plötzlich wieder am Pult und ein fein anschwellender Donner stieg aus den Kesselpauken empor. Die Fagotte intonierten ein fragendes, süß klagendes Motiv, das sie wiederholten und steigerten, bis die Geigen es ihnen entrissen und in ihre Sprache übertrugen.

      Maud überließ sich wieder der Musik.

      Allan aber saß mit kühlen Augen in seinem Sessel, die Brust geweitet vor innerer Spannung. Er bereute nun, hierher gekommen zu sein! Lloyds Vorschlag zu einer kurzen Besprechung in der Loge eines Konzertsaales hatte bei der Wunderlichkeit des reichen Mannes, der nur äußerst selten jemand in seinem Hause empfing, nichts Merkwürdiges an sich, und Allan war ohne zu zögern darauf eingegangen. Er war auch geneigt, Lloyd zu entschuldigen, im Falle er wirklich krank war. Aber er forderte für sein Projekt, dessen Größe ihn zuweilen selbst überwältigte, den allergrößten Respekt! Er hatte dieses Projekt, an dem er fünf Jahre lang Tag und Nacht arbeitete, bisher nur zwei Menschen anvertraut: Hobby, der ebensogut zu schweigen verstand, wenn es sein mußte, als er schwatzen konnte, wenn man ihm die Zunge nicht festband. Sodann Lloyd. Nicht einmal Maud. Er verlangte, daß Lloyd sich in den Madison-Square-Palast schleppte, wenn es irgendwie anging! Er verlangte, daß Lloyd ihm zum mindesten eine Nachricht schickte, ihm ein anderes Rendezvous vorschlug! Versäumte Lloyd dies — nun, so wollte er nichts mehr mit dem launenhaften, kranken, reichen Mann zu tun haben.

      Die von vehement bebender Musik, von Parfümen, blendenden Lichtfluten, dem Glitzern von Edelsteinen erfüllte Treibhausatmosphäre, die ihn umfieberte, steigerte Allans Gedanken zu höchster Klarheit. Sein Kopf arbeitete rasch und präzis, obwohl ihn plötzlich eine starke Erregung ergriffen hatte. Das Projekt war alles! Mit ihm stand oder fiel er! Er hatte für Versuche, Informationen, tausend vorbereitende Arbeiten sein Vermögen geopfert und mußte, klar gesagt, morgen von vorn anfangen, sobald das Projekt nicht ausgeführt wurde. Das Projekt war sein Leben! Er rechnete seine Chancen durch wie ein algebraisches Problem, bei dem jedes einzelne Glied das Resultat der vorhergehenden Resultate ist. In erster Linie konnte er den Stahltrust für sein Projekt interessieren. Der Trust hatte in der Konkurrenz mit dem sibirischen Eisen den kürzeren gezogen und lag in einer unerhörten Flaute still. Der Trust würde sich auf das Projekt stürzen — zehn gegen eins gewettet! — oder aber Allan konnte mit ihm einen Krieg bis aufs Messer führen. Er konnte das Großkapital, die Morgan, Vanderbilt, Gould, Astor, Mackay, Havemeyer, Belmont, Whitney und wie sie alle hießen attackieren. Den Ring der Großbanken unter Feuer nehmen. Er konnte endlich, wenn alles fehlschlagen sollte, sich mit der Presse verbünden.

      Er konnte auf Umwegen sein Ziel erreichen; klar gesehen, brauchte er Lloyd gar nicht. Aber mit Lloyd als Verbündeten war es eine gewonnene Attacke, ohne ihn ein mühsames Vordringen, bei dem jeder Quadratfuß Terrain einzeln erobert werden mußte.

      Und Allan, der weder sah noch hörte, arbeitete hinter unerbittlichen, halbgeschlossenen Augen seinen Feldzugsplan bis in die kleinsten Einzelheiten aus ...

      Plötzlich aber ging etwas wie ein Schauer durch den Saal, der ohne Laut unter der Hypnose der Musik lag. Die Köpfe bewegten sich, die Steine begannen stärker zu flimmern, Gläser blinkten. Die Musik floß gerade in sanftem Piano dahin, und der Dirigent wandte irritiert den Kopf, da man im Saale flüsterte. Etwas mußte geschehen sein, das größere Macht über das Auditorium hatte als die Hypnose der zweihundertundzwanzig Musiker, des Dirigenten und des unsterblichen Komponisten.

      In der Nebenloge sagte eine gedämpfte Baßstimme: „Sie trägt den Rosy Diamond ... aus dem Kronschatz von Abdul Hamid ... zweimalhunderttausend Dollar Wert.“

      Allan hob den Blick: die Loge gegenüber war dunkel — Lloyd war gekommen!

      In der dunkeln Loge war Ethel Lloyds bekanntes Profil schwach sichtbar, zart, delikat gezeichnet. Ihr goldblondes Haar war nur an einem unbestimmten Flimmern zu erkennen, und an der linken Schläfe (die dem Publikum zugewendet war) trug sie einen großen Edelstein von blaßrötlichem Feuer.

      „Sehen Sie diesen Hals, diesen Nacken,“ raunte die gedämpfte Stimme des Herrn nebenan. „Haben Sie jemals solch einen Nacken gesehen? Man sagt, daß Hobby, der Architekt — ja, der Blonde, der vorhin nebenan war ...“

      „Nun, das läßt sich denken!“ flüsterte eine andere Stimme mit rein englischem Akzent und ein leises Lachen drang herüber.

      Der Hintergrund von Lloyds Loge war durch einen Vorhang abgetrennt, und Allan schloß aus einer Bewegung Ethels, daß Lloyd dahinter saß. Er beugte sich zur Seite und flüsterte Maud ins Ohr: „Lloyd ist nun doch gekommen, Maud.“

      Aber Maud hatte nur Ohr für die Musik. Sie verstand Allan gar nicht. Sie war vielleicht die einzige im Saal, die noch nicht wußte, daß Ethel Lloyd in ihrer Loge saß und den „Rosy Diamond“ trug. In einer momentanen seelischen Aufwallung, die die Musik in ihr entfachte, streckte sie ihre kleine Hand tastend nach Allan aus. Und Allan nahm ihre Hand und streichelte sie mechanisch, während tausend rasche, kühne Gedanken durch sein Gehirn jagten und sein Ohr Bruchstücke von dem Geklatsch aufnahm, das die Stimmen nebenan raunten und flüsterten.

      „Diamanten?“ fragte die flüsternde Stimme.

      „Ja,“ erwiderte die raunende Stimme. „Man sagt, so fing er an. In den australischen Camps.“

      „Er spekulierte?“

      „Auf seine Weise. Er war Kantinenwirt.“

      „Er hatte keine Claims, sagen Sie?“

      „Er hatte seinen eigenen Claim.“ (Leises inneres Lachen.)

      „Ich kann Sie nicht verstehen.“

      „Man sagt es. Seine eigene Mine, die ihm keinen Cent kostete ... die Arbeiter werden, wie Sie wissen, genau untersucht ... verschlucken Diamanten.“

      „Das ist mir ganz neu ...“

      „Lloyd, so sagt man ... Kantinenwirt ... er tat etwas in den Whisky ... daß sie seekrank wurden ... seine Mine ...“

      „Das ist unglaublich!“

      „Man sagt es! Und jetzt gibt er Millionen für Universitäten, Sternwarten, Bibliotheken ...“

      „Ei ei ei!“ sagte die flüsternde Stimme, vollkommen totgeschlagen.

      „Dabei ist er schwerkrank, menschenscheu — meterdicke Betonwände umgeben seine Wohnräume, damit kein Laut hereindringt ... wie ein Gefangener ...“

      „Ei ei ei ...“

      „Pst!“ Maud wandte empört den Kopf und die Stimmen verstummten.

      In der Pause sah man den lichtblonden Hobby in Lloyds Loge treten und Ethel Lloyd wie einer vertrauten Bekannten die Hand schütteln.

      „Sie sehen, daß ich recht hatte!“ sagte laut die tiefe Stimme in der Nachbarloge. „Hobby ist ein Glückspilz! Da ist allerdings noch Vanderstyfft da —“

      Dann kam Hobby herüber und steckte den Kopf in Allans Loge.

      „Komm, Mac,“ rief er, „der alte Mann wünscht dich zu sprechen!“


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