Der Tunnel. Bernhard Kellermann
kupferrot schimmernder Scheitel spannte. Das Gesicht dieses Mannes glänzte im Schweiß wie Bronze, aber es zeigte jetzt, nach einer Stunde, nicht die leiseste Abspannung. Im Gegenteil, es war markanter und wacher geworden. Die Augen dieses Mannes hatten kindlich und gutmütig ausgesehen, als er begann, nun aber, schwimmend in Schweiß, waren sie kühn und klar, stählern und blinkend wie jenes Allanit, das dem Diamanten nur um einen Grad an Härte nachstand. Und es war gewiß, daß dieser Mann sich nicht oft so in die Augen blicken ließ! Wenn dieser Mann Nüsse aß, so brauchte er auf keinen Fall einen Nußknacker. Die Stimme dieses Mannes hämmerte und rauschte im Brustkasten, bevor sie herauskam. Allan warf eine Skizze auf die Tafel, und sie studierten seinen gebräunten Unterarm mit den tätowierten gekreuzten Hämmern, es war der Arm eines trainierten Tennisspielers und Fechters. Sie studierten Allan wie einen Boxer, auf den man setzen will. Der Mann war gut, ohne Zweifel. Man konnte auf ihn verlieren und brauchte sich nicht zu schämen. Es war Lloyds Blick! Sie wußten, daß er mit zwölf Jahren Pferdejunge in einer Kohlengrube war und daß er sich im Laufe von zwanzig Jahren aus einer Tiefe von achthundert Metern unter der Erde bis empor auf den Roofgarden des Atlantic gearbeitet hatte. Das war etwas. Es war auch etwas, dieses Projekt auszuarbeiten, aber das weitaus Schwerere und Bewunderungswürdigere war, daß er es fertiggebracht hatte, dreißig Menschen, für die ein Tag ein Kapital bedeutet, zu einer bestimmten Stunde hierher zu beschwören und sie zu zwingen, ihm bei einer Temperatur von neunzig Grad Fahrenheit zuzuhören. Vor ihren Augen schien sich das seltene Schauspiel abzuspielen: einer kam den Glasberg herauf zu ihnen, gesonnen, seinen Platz zu beanspruchen und zu verteidigen.
Allan sagte: „Zur Verwaltung der Stollen und für den Betrieb brauche ich eine Stromstärke, die etwa jener der gesamten Niagara-Power-Works gleichkommt. Der Niagara ist nicht mehr zu haben, so werde ich mir meinen eigenen Niagara bauen!“
Und sie erwachten aus ihren Gedanken und sahen Allan ins Gesicht.
Noch etwas fiel ihnen an diesem Burschen auf: er hatte während des ganzen Vortrages weder gelächelt noch einen Scherz gemacht. Humor schien nicht gerade seine Sache zu sein. Nur einmal hatte die Gesellschaft Gelegenheit gehabt zu lachen. Das war, als die Photographen ein wütendes Zwischengefecht eröffneten und Allan sie anherrschte: „Stop your nonsense!“
Allan las am Schluß die Gutachten der ersten Kapazitäten der Welt, Gutachten von Ingenieuren, Geologen, Ozeanographen, Statistikern, Finanzgrößen aus New York, Boston, Paris, London, Berlin.
Das größte Interesse erweckte Lloyds Resümee, der die Finanzierung und die Rentabilität des Projektes ausgearbeitet hatte. Allan las es zuletzt, und die dreißig Gehirne arbeiteten mit ihrer größten Geschwindigkeit und Präzision.
Die Hitze schien sich urplötzlich verdreifacht zu haben. In Schweiß gebadet lagen sie alle in den Sesseln und das Wasser rann ihnen über die Gesichter. Selbst die Kühlapparate, die hinter den Gebüschen und Sträuchern aufgestellt waren und ununterbrochen kalte, ozongesättigte Luft aushauchten, schufen keine Linderung mehr. Es war wie in den Tropen. Chinesische Boys, in kühles, schneeweißes Linnen gekleidet, glitten lautlos zwischen den Sesseln hindurch und reichten Limonade, horses-neck, gin-fizz und Eiswasser. All das half nichts. Die Hitze stieg in Schwaden von der Straße herauf und wälzte sich als glühender Brodem, den man mit den Händen greifen konnte, über den Dachgarten. New York, aus Eisenbeton und Asphalt, war wie ein vieltausendzelliger Akkumulator, der die Glut der letzten Wochen aufgespeichert hatte und sie jetzt ausspie. Und ununterbrochen gellte und schrie die fieberige Broadway-Schlucht tief unten. New York, von den Menschen zwischen 3000 Meilen Ozean und 3000 Meilen Kontinent aufgetürmt, dieses kochende, schlaflose New York selbst schien zu fordern, zu beschwören, anzupeitschen zu immer größeren, immer unerhörteren Anstrengungen. New York selbst, das Gehirn Amerikas, schien zu denken, einen Riesengedanken hin und her zu wälzen, zu gebären ...
In diesem Augenblick hörte Allan auf zu sprechen. Fast mitten im Satze. Allans Rede hatte gar keinen Schluß. Es war eine umgekehrte Rede, deren Steigerung am Anfang lag. Der Schluß kam so unerwartet, daß alle in der gleichen Lage sitzen blieben und ihre Ohren noch arbeiteten, als Allan schon gegangen war, um sein Projekt der Diskussion zu überlassen.
Das Reklameluftschiff kreuzte über dem Dachgarten und trug die Worte über Manhattan dahin: „25 Jahre Lebensverlängerung! — Garantie! — Dr. Josty, Brooklyn!“
7.
Allan fuhr mit Maud bis zum zehnten Stock ab, um zu dinieren. Er war vom Schweiß derart durchnäßt, daß er sich vollständig umkleiden mußte. Aber selbst dann schlugen augenblicklich wieder die Schweißperlen aus seiner Stirn. Seine Augen waren noch geweitet und blicklos von der großen Anspannung seiner Kräfte.
Maud trocknete ihm vorsorglich die Stirn und kühlte seine Schläfen mit einer Serviette, die sie in Eiswasser getaucht hatte.
Maud strahlte! Sie plapperte und lachte vor Erregung. Was für ein Abend! Die Versammlung, die Lichtgirlanden, der Dachgarten, das zauberische New York ringsum, nie würde sie diesen Anblick vergessen. Wie sie alle im Kreise saßen! Sie, die Namen, die sie seit ihrer frühesten Jugend tausendmal gehört hatte, deren bloßer Klang eine Atmosphäre von Reichtum, Macht, Genie, Kühnheit und Skandal erzeugte. Und sie saßen und hörten ihm zu, Mac! Maud war unendlich stolz auf Mac. Sein Triumph begeisterte sie, sie zweifelte keinen Augenblick an seinem Erfolg.
„Welch schreckliche Angst ich doch hatte, Mac!“ sprudelte sie hervor und umschlang seinen Nacken. „Aber du hast gesprochen! Ich traute meinen Ohren nicht! Guter Gott, Mac!“
Allan lachte. „Ich hätte lieber zu einer Herde von Teufeln gesprochen als zu diesen Burschen, Maud, das kannst du mir glauben!“ entgegnete er.
„Wie lange wird es nun dauern, denkst du?“
„Eine Stunde, zwei Stunden. Kann sein, die ganze Nacht.“
Maud öffnete überrascht den Mund.
„Die ganze Nacht —?“
„Kann sein, Maud. Auf jeden Fall werden sie uns Zeit lassen, ruhig zu Abend zu essen.“
Allan war nun wieder vollkommen ins Gleichgewicht gekommen. Seine Hände zitterten nicht mehr und in seine Augen war der Blick zurückgekehrt. Er erfüllte seine Anstandspflicht als Gatte und Gentleman und legte Maud das schönste Stück Beef vor, so wie sie es liebte, die schönsten Spargel und Bohnen, und machte sich hierauf selbst ruhig an die Arbeit, während ihm der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn stand. Er fand, daß er außerordentlich hungrig war. Maud dagegen plauderte so eifrig, daß sie kaum zum Essen kam. Sie ließ die ganze Gesellschaft der Geladenen aufmarschieren. Sie fand, daß Wittersteiner einen wunderbaren und bedeutenden Kopf habe. Über Kilgallans jugendliches Aussehen wunderte sie sich, und John Andrus, den Minenkönig, verglich sie mit einem Nilpferd; C. B. Smith, der Bankier, dagegen kam ihr wie ein kleiner, grauer, schlauer Fuchs vor. Und diese alte Hexe Mrs. Brown habe sie in der Tat gemustert, als sei sie ein Schulmädchen! Ob es wahr sei, daß diese Mrs. Brown aus purem Geiz nie Licht zu Hause brenne ...?
Mitten in der Mahlzeit kam Hobby ins Zimmer. Hobby, der es gewagt hatte (und es sich leisten konnte), in Hemdärmeln im Lift des Atlantic herunterzufahren.
Maud sprang sofort erregt auf. „Wie steht es, Hobby?“ schrie sie.
Hobby lachte und warf sich in einen Sessel.
„So etwas habe ich noch nicht erlebt!“ rief er aus. „Sie liegen sich in den Haaren! Es ist wie in Wallstreet nach den Wahlen! C. B. Smith wollte gehen — nein, das müßt ihr hören! Er will gehen, sagt, die Sache sei ihm zu gewagt und steigt in den Lift. Aber sie sind hinter ihm her und ziehen ihn mit aller Gewalt an den Rockschößen wieder aus dem Lift heraus! Keine Lüge! Ye gods and little fishes! Kilgallan steht in der Mitte und schwingt die Gutachten, Mac, und schreit wie ein Ausrufer: Dagegen können Sie nicht ankommen, dagegen können Sie nichts sagen!“
„Natürlich Kilgallan!“ warf Allan ein. „Er hätte nichts dagegen!“ (Kilgallan war das Haupt des Stahltrusts.)
„Und Mrs. Brown! Es ist nur