Der Fisch. Gerhard Nattler

Der Fisch - Gerhard Nattler


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      »Darauf kam es ihm offensichtlich nicht an. Er wollte – oder musste – sichergehen, dass das, was er gesucht und offensichtlich nicht gefunden hat, nicht mehr zu erkennen ist. Unseren Hartmann musste er ebenfalls aus dem Weg räumen, weil er etwas wusste oder zur Aufklärung hätte beitragen können«, steuerte Willi bei.

      Hallstein zog daraus den Schluss, es handele sich um eine »dicke Sache, Chef. Wir sollten uns auf eine Menge Arbeit einrichten. Solchen Aufwand betreibt kein Einzeltäter. Vielleicht war er selbst nicht in Bottrop. Dort könnten auch Helfer gewesen sein.«

      »Du meinst …« Willi sprach nicht weiter. Wollte sich nicht festlegen.

      Hallstein nickte. »Genau das meine ich. Clan oder Mafia oder Hells-Angels oder ganz allgemein eine Gang.«

      Berendtsen ging zur Tür, legte die Hand auf die Klinke, wandte sich nochmals um. »Wie geht’s zuhause?«

      »Alles gesund und munter. Und selbst?«

      »Alles zu unserer Zufriedenheit. Ich hoffe inständig, dass ich mir heute Nacht keinen Husten geholt habe. Ich hatte heute Morgen einen solchen Hustenanfall, dass mich nebenbei die Hexe angeschossen hat. Mit einigen Dehnübungen habe ich das Schlimmste verhindert. Zuhause habe ich kein Schmerzmittel eingenommen. Ich hoffte, es geht ohne. Ich habe von Uschi eine Tablette bekommen. Jetzt scheint es besser zu werden. Wenn nicht, gibst du mir eine Spritze.«

      »Geht klar. Grüße an Irmgard.«

      »Richte ich aus.«

      Die Kommissare hörten ein fröhliches Lachen auf dem Gang. Frau Günther war von der Befragung der Laubenbesitzer zurück. Sie stand mit Uschi direkt hinter der Ecke und plauderte. Der typische Flurfunk. Schließlich ebbte das Kichern ab.

      »Wir müssen den Kommissaren Bescheid geben«, fanden sie.

      Mit einem »Schon sind wir da!« kamen Berendtsen und Hallstein um die Ecke und jagten den beiden Damen einen rechten Schock ein.

      »Um Gottes Willen! Mussten Sie uns so erschrecken?«

      Hallstein musste lachen. »Wir sind die schnelle Truppe, wie ihr wisst. Was gibt es denn für fröhliche Nachrichten?«

      »Nur Weiberkram, Herr Hallstein«, antwortete Frau Günther.

      Galant hielt Hallstein den Damen die Tür zum Büro auf. Er schob Albert einen Stuhl vor Kopf und setzte sich gegenüber von Frau Günther. Uschi setzte sich neben ihre Freundin.

      Berendtsen warf eine halbleere Tüte Gummibärchen auf die Tischplatte.

      »Bedienen Sie sich!«

      »Vierzig Personen standen auf der Liste, einunddreißig Personen habe ich erreicht«, berichtete Frau Günther und hätte beinahe ein Bärchen ausgespuckt.

      »Sprechen mit mehr als zwei Bärchen im Mund will gelernt sein«, spottete Berendtsen. Er erntete ein süßliches Lächeln.

      »Die anderen werden zuhause sein oder unterwegs. Die meisten sind erst gekommen, als die Feuerwehr anrückte. Sie hatten nichts gesehen. Aber…! Etwas Glück muss der Mensch haben.« Sie nahm einen USB-Stick aus der Untersuchungsmappe und hielt ihn den Kommissaren vor die Nase. »Hierauf sind zwölf Fotos, die jemand von seinem Dach aus geschossen hat. Er hat die ganze Meute drauf. Mit Handy, aber die Helligkeit der Flammen hat ausgereicht, viele sind zu erkennen. Vielleicht haben wir Glück und finden den Täter. Wir haben Möglichkeiten, zu vergrößern und zu interpolieren. Ich hoffe, wir finden ihn. Zum Zweiten: Vier Leute haben in den letzten Wochen einen Mann beobachtet, der sich den Schrebergarten aus dem Flurfenster des zweiten Stocks des Nachbarhauses angesehen hat. Zu verschiedenen Zeiten. Einer sagt, es sei ein Chinese gewesen. Ob das nun ein Chinese war, kann man glauben oder nicht. Jedenfalls war er, dem Aussehen nach, ein Asiat. China, Vietnam, Japan. Auf diese Distanz können die wenigsten Europäer die Leute auseinanderhalten.«

      »Was haben die Leute gesehen?«

      »Dieser Mann hat mehrmals mit einem Feldstecher am Fenster gestanden. Fotos gemacht und beobachtet. Sie haben schon gedacht, es gibt einen neuen Bebauungsplan, von dem sie irgendwann aus der Zeitung erfahren, wenn es keine Möglichkeit mehr zum Widerspruch gibt. Einer von den Leuten, der in der Nacht die Fotos gemacht haben, ist leidenschaftlicher Fotograf. Er schießt Bilder aus der Umgebung für die Ruhrpott-Kalender, die man zu Jahresende in vielen Geschäften kaufen kann oder geschenkt bekommt. Er hat mit einem Tele den Fenstergucker auf Platte verewigt. Er hat mir ein Bild von ihm auf seinem Rechner gezeigt. Ich glaube, Roland kann damit etwas anfangen. Das ist noch nicht alles. Auf diesem Stick …«, sie ließ ihn zwischen Daumen und Zeigefinger wippen, »… gibt es ein Foto, auf dem man den BMW vom Parkplatz fahren sehen kann.«

      Das war weitaus mehr, als die Kommissare erwartet hatten. Sie hatten Bilder von Leuten, die zumindest mit der Tat in Zusammenhang standen. Roland Schubert, der Spezialist für EDV, war bereits informiert und erschien in diesem Moment mit seinem Laptop unter dem Arm.

      »Was ist mir dir passiert?«, wunderte sich Berendtsen. »Bist du unter die Mähmaschine gekommen? Wo ist deine Haarpracht geblieben?«

      Roland hatte seine langen Haare, die zuweilen mit einem einfachen Gummiband in einem kleinen Zopf zusammengehalten worden waren, gegen einen biederen Façonschnitt eingetauscht, was sofort auffiel, denn sein Erscheinungsbild wurde durch diese Maßnahme völlig verändert. Außerdem trug er ein Flanellhemd mit zwei kleinen Brusttaschen. Standesgemäß war in der linken Tasche ein USB-Stick mit einer Klammer festgesteckt, wie bei einem Kugelschreiber.

      Roland ging auf den Spaß nicht ein. Berendtsen war wohl nicht der erste Mensch, der ihn darauf ansprach.

      »Neue Freundin?«, fragte Hallstein

      Er brummte Unverständliches vor sich hin.

      »Bitte?«, fragte Hallstein überdeutlich.

      »Jaa-haa!«, tönte er.

      Kapitel 7.

      Beatrice kam die Treppe herauf.

      »Geht klar. Ich bin in vierzig Minuten dort«, bekam sie noch mit. Dann legte Kris den Hörer auf.

      »Du möchtest noch weg?«, fragte sie ihren Bruder. »Wohin fährst du?«.

      »Ich habe den Warenbestand im Lager nachgesehen. Wir brauchen Nachschub an Stoff. Der letzte Frachter im Hafen war leer, wie du weißt. Du hast es selbst arrangiert. Die heutige Lieferung kommt im Yachthafen an. Die Beutel wurden schon in Datteln umgeladen. Unsere Boote wurden noch nie kontrolliert. Wir sollten überlegen, das immer so zu handhaben.«

      »Wieviel erwartest du?«

      »Angekündigt sind fünfzig Kilo.«

      »Hast du das Geld?«

      »Die vier Koffer stehen im Flur. Es sind dieses Mal viele kleine Scheine darunter.«

      »Soll ich dir helfen?«

      »Ich nehme den Luba. Der steht im Keller. Dann brauche ich nicht durch die Haustür.«

      »Hast du eine Eskorte? Du kannst nicht mit so viel Geld allein zu einer Übergabe. Wieviel nimmst du mit?«

      »Zweieinhalb. Es ist etwas günstiger als im Winter. Ich habe gehört, dass die FARC in Kolumbien mehr Bauern unter Vertrag hat als vor dem Deal mit der Regierung.«

      »Das ist nicht zu glauben!«

      »Das Schöne ist, dass der Preis auf der Straße steigt. Somit steigt die Spanne. Die Leute geben mehr Geld für ihr Vergnügen aus. Sie gönnen sich eine Linie. Inzwischen haben wir die ersten Hotspots auf dem Lande. Es muss nicht immer das Ruhrgebiet sein.« Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht.

      »Wer fährt mit?«

      »Nana und Edwin. Das ist die beste und sicherste Begleitung. Sie gehören zur ›Familie‹, wie du immer betonst. Wir treffen uns an der Eishalle.«

      Beatrice fühlte sein Jackett. »Welche Waffe nimmst du mit?


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