Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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für Software die Sicherheitsfirmen einsetzen. Seitdem gab es immer mal wieder Anpassungen, Ergänzungen, Zusatzaufträge. Aber das ist doch jetzt egal, oder? Wie geht’s denn jetzt weiter? Wo ist mein Sohn?“

      Ulrich übernahm die Antwort: „Das klären wir noch. Ich würde Sie beide bitten, mitzukommen. Sie müssen Ihren Sohn identifizieren. Ich begleite Sie; in ein paar Minuten?“

      Zusammen mit seinem Kollegen ging Ulrich vor die Tür. Da beide nicht rauchten, eine echte Seltenheit in diesem Beruf, gingen sie vor dem Haus etwas auf und ab. Zunächst wortlos, nachdenklich. Dann machte Remsen den ersten Zug: „Organisierte Kriminalität. Sicherheitsfirma; von einem Russen geführt.“

      „Da ist was schiefgelaufen und der Junior musste dran glauben. Mittelpunkt oder Versehen?“ Ulrich spielte im Kopf einige Szenarien durch. „Geschäftemacher? Mittelpunkt! Und wer ist die Tote?“

      „Fragen wir gleich mal nach, wenn die beiden da sind. Bin gespannt ob der Weilham weiß, dass sein Sohn nicht alleine unterwegs war; ob es eine Freundin, Geliebte oder was auch immer war.“

      „Die verheimlichen uns was, das sagt mir meine innere Stimme.“

      „Was meinst du: Zeugen oder Verdächtige die beiden?“

      „Sowohl als auch. Der alte Weilham ist mit Sicherheit unser Hauptverdächtige, zurzeit zumindest; auch wenn es sein Sohn ist oder jetzt war. Das muss aber nichts heißen.“

      „Mal ehrlich, geht hier bei euch Geschäft über Familie?“

      „Mensch Jan, deine Vorurteile sind so was von hartnäckig. Wie lange geht das noch?“

      Remsen zuckte nur mit der Schulter und wählte inzwischen schon wieder Kundoban‘s Nummer.

      „Hallo, können Sie bitte mal alles über Safety Objects und einen Igor Abtowiz in Erfahrung bringen.“ Nein, das war keine Frage, eher die versteckte Form einer klaren Anweisung.

      „Jan, wir stecken hier voll in Arbeit; mehr Leute sind nicht verfügbar. Wir tun, was wir können.“

      „Okay. Okay. Ich bin gleich bei Ihnen; muss jetzt auflegen.“ Die Weilham's fingen sich leidlich und traten gerade aus dem Haus.

      „Herr Weilham, noch eine Frage: Wo war Ihr Sohn gestern eigentlich?“

      „Bei einem Kunden, in der Nähe.“ Kurz und knapp, aber tonlos und ohne nachzudenken gab Weilham seine Antwort. Trotzdem mit Kalkül, denn die Polizei muss ja nicht gleich alles wissen. Er aber wollte jetzt wissen, was ihr überhaupt los ist. Und natürlich, ob sein Sohn wirklich tot ist. Das wäre sein Ende. Und er würde es durchziehen.

      „In der Nähe? Geht es auch genauer?“ Remsen deutete Ulrich, den Firmennamen und die Adresse zu notieren. Am Tatort und eigentlich immer bei Ermittlungen ist er der Chef. Hanns-Peter notierte, was Weilham ihm diktierte. Beide Kommissare waren sich einig: Wir fragen später nach. Zwischendurch lassen wir die Angaben überprüfen. Doch Remsen sah sich schon in dieser Nacht bei einem langen Verhör mit Weilham, denn jetzt war klar: Er greift zu Lügen.

      Cordula Weilham zeigte sich langsam ungeduldig und drängelte zum Aufbruch. Die nasse Kälte an diesem dunklen Novembertag hat sicher genauso dazu beigetragen, wie die Sorge um ihren Sohn.

      Remsen hatte aber noch nicht genug: „Wissen Sie, wer die Tote sein könnte? Die…“ Er brach den Satz ab, da er kurz davor war, gegenüber den Weilham's ihren Sohn als tot zu deklarieren und herauszustellen, dass Frau Weilham jun. sich bester Gesundheit erfreute.

      Jetzt war es an Frau Weilham, etwas lauter nachzufragen: „Wieso eine Tote? Soll die auch im Auto gewesen sein? Carsten war doch alleine unterwegs. Georg sag du mal was.“

      Der hatte nichts Besseres zu tun, als nur zu nicken und in den Streifenwagen einzusteigen, dessen Türen für die beiden inzwischen geöffnet waren.

      „Dauert es länger?“

      Frau Weilham bekam entweder nichts mit oder war tatsächlich unwissend: Sie soll ihren Sohn identifizieren und es unklar, wo der die letzten Tage war und wer die Dame an seiner Seite war. Mutmaßlich.

      Remsen setzte seinen ahnungslosesten Blick auf, denn er anbieten konnte und drehte sich weg. Sein Buick stand einige Parklücken weiter vorne.

      Auf dem kurzen Weg dahin sog er die frische Luft tief auf. Dann im Auto entschied er, nicht gleich loszufahren. Er musste nachdenken. Ausnahmsweise blieb seine Soundanlage still. Wer Remsen genau kannte, das war eigentlich niemand, wusste, dass er damit seine Energie kanalisierte. Nichts sollte ihn stören; nicht einmal sein einzigartiger Musikgeschmack.

      In einem kleinen, typischen Backsteinhaus in einem Vorort von Delft klingelte ein Telefon.

      Lange.

      Recht lange.

      So war es ausgemacht.

      „Ja.“ Der Angerufene nahm nach quälender Dauer dann doch das Gespräch entgegen.

      Er hatte es erwartet. Und er war sich sicher, dass keiner diesen Anruf verfolgen kann. Seine Techniker leisteten ganze Arbeit und entwickelten ein eigenes IP-Protokoll. Damit wird das übliche SIP überlagert. Nach einem zufällig zusammengestellten Verwirrkurs wird jede Einzelverbindung, jede Strecke mit differenten Anonymisierungsalgorithmen geschützt, bevor sein eigenes Telefon angewählt werden kann. Über eine Funkstrecke mit bisher ungenutzten Frequenzbereichen. Der Anrufer ruft keine Nummer an, sondern wählt ein Codewort. Mit den zurückgegebenen Sequenzen und speziellen Signaturen als ganz individuellen Key, muss der dann ein weiteres, gerade erst zusammengestelltes, neues Codewort anwählen. Erst dann startet der Verbindungsaufbau. So arbeitete er schon immer.

      „Auftrag ausgeführt. Vollständig.“ Der Anrufer hatte es merklich eilig, seine Botschaft loszuwerden und das Gespräch beenden zu wollen.

      Der Angerufene ließ sich Zeit, sehr viel Zeit. Seine Irritationen musste er verbergen; der Anrufer sollte seine Erregung, besser Erzürnung, keinesfalls spüren. Keine Schwächen zeigen.

      „So manche Wahrheit geht von einem Irrtum aus. Oder Lüge.“

      Der Anrufer war fassungslos. Keine Antwort, keine Reaktion, die ihm daraufhin einfiel.

      Wieder verging eine unerträglich lange Zeit, bis der Angerufene erneut sprach: „Bis morgen früh ist es erledigt.“ Er brach das Gespräch ab.

      Der Angerufene wandte sich seinen Monitoren zu. Er sah Georg Weilham und seine Frau in ein Polizeiauto steigen. Er sah den verfluchten Kommissar, der selbstsicher zu seinem Auto ging. Er sah, dass überhaupt nichts erledigt war.

      Verdammte Scheiße!

       Sonnabend, 13. November 2010, in den späten Abendstunden

      Remsen roch es schon auf dem Gang in sein Büro. Die haben doch nicht…? Doch, sie haben es getan: wieder beim Thailänder so eine Mischung aus halbgarem Fleische, gedünsteten Grashalmen und matschig-süßem Grünzeug bestellt. Reiskörner klebten dem Nöthe noch zwischen den Zähnen, als dieser den Chef erkannte und eine Begrüßung loswerden wollte. Dabei verteilte Nöthe etliche der Körner in seinem Umfeld. ‚Teilen‘ ist doch das Motto in der heutigen Facebook-Generation, oder nicht? Remsen schüttelte nur den Kopf.

      Jutta Kundoban wischte sich die überschüssigen Körner ihres Kollegen mit Servietten weg. Vor allem jene, die es bis in ihre unmittelbare Nähe geschafft hatten und schmollte Nöthe mit einem derartigen Gesichtsausdruck, weil wenn es ihr Kollege fertigbrachte, ihr den Appetit gehörig zu vermasseln.

      Remsen schaute von oben herab entsetzt in Kundoban‘s Styroporbehälter und meinte darin etwas krabbeln zu sehen. Zumindest kam es ihm so vor. Kundoban schaute ihn an und signalisierte ihm, dass sie eigentlich nicht …

      Remsen war es egal und riss das Fenster auf: „Riecht ja hier wie in einer Frittenbude. Das Zeug kann doch keiner essen.“

      Im Büro wurde es schnell recht kalt, sodass sein Team anfing zu murren. Es war ihm recht, denn er hatte sich für


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