Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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und Ulrich nach vorn, um Weilham daran zu hindern.

      „Lassen Sie uns das bitte machen, morgen soll ein schöner Tag werden.“ Und den will ich gerne erleben, wollte Remsen noch anfügen, aber er griff nach dem Smartphone und beließ es dabei. Die Dinger sind nicht ganz sein Ding, sodass er es gleich an Kundoban weiterreichte.

      Die stand bislang an der Wand gegenüber von Weilham gelehnt, legte ihr eigenes Smartphone weg und nahm jetzt an der Seite von Weilham Platz.

      „Die PIN bitte.“ Remsen erkannte, dass Weilham in dieser Phase des Gesprächs ohne Druck überhaupt nicht mehr funktionierte. Denn der schüttelte den Kopf und rührte sich nicht.

      „Herr Ulrich, könnten Sie bitte mal bei der Rezeption einen späten Gast anmelden und nach einem Einzelzimmer nachfragen?“ Remsen bekam sichtlich seinen Spaß, was man von Weilham nicht sagen konnte. Aber, er war plötzlich bereit, der Polizistin seine vier Ziffern zu nennen.

      Sie tippte diese ein und bekam Zugriff auf alle Apps. „Wie finde ich den Reisekalender?“

      Weilham half ihr beim Navigieren, bis sie beim Kalender von Carsten Weilham waren. Kundoban machte dessen Kalender auf, suchte die vergangene Woche und staunte nicht schlecht. Nein, sie schaute richtig irritiert. Remsen merkte das natürlich und schaute verblüfft auf das Display des Gerätes, welches Kundoban ihm vor die Nase hielt: Kein Eintrag!

      Weilham schaute auch verunsichert drein: „Ja, was ist jetzt? Was steht da?“

      Remsen übernahm die Antwort: „Wenn Sie raten dürften, würden Sie auf ‚Nichts‘ tippen?“

      „Nein, da muss was stehen. Carsten ist, äh war, recht gründlich. Sein Kalender war immer gepflegt.“ Jetzt schaute auch er verdutzt auf das Smartphone und stellte fest, dass der Kommissar nicht gebluffte. „Wie kann das sein?“

      „Die Frage gebe ich gerne wieder an Sie zurück, Herr Weilham.“ Ulrich wollte auch mitmischen und brachte sich mit dieser Antwort wieder ins Gespräch ein.

      „Aber er war dort. Ich habe mit ihm mehrere Male die letzten Tage telefoniert. Das können Sie doch da sehen.“ Er deutete auf sein Smartphone; jetzt in den Händen der Polizistin. Sie scrollte schon durch die Anruflisten und sah in der Tat einige Anrufe von Carsten an Georg Weilham; den letzten gestern Nachmittag, etwa 7 Minuten lang.

      Remsen stand etwas abseits und war mit sich beschäftigt: Ich mag keine Karussells, aber der Gesprächsverlauf erinnerte ihn an die permanente Rückkehr zum Ausgangspunkt. So ahnungslos kann er als Firmenchef und Vater doch gar nicht sein. Fakt ist: Carsten Weilham war unterwegs, nicht allein und vor allem nicht in Deutschland.

      Sein Trumpfass wollte er aber noch nicht ausspielen. Er will Weilham dazu bringen, dass er seinen Irrtum selbst korrigiert, so etwas wie eine zweite Chance erhält. Wenn Weilham nur unter den besonderen Umständen des Todes seines Sohnes die Spur verloren hat und sich nicht traut, das ohne Gesichtsverlust zuzugeben, will er ihm wenigstens eine Brücke bauen. So hat er das schon oft gemacht und damit jede Menge erreicht. Seine innere Stimme jedoch sagt ihm, dass hier was nicht stimmt und der alte Weilham, trotz des Verlusts seines Sohnes, immer noch klar im Denken ist. Also, warum lügt dieser Mensch? Was verheimlicht er uns? Und warum tut er das? Was spielt er uns hier vor?

      Er muss sich mit diesen Fragen beschäftigen und Antworten finden. Heute noch. Remsen weiß, dass die ersten 48 Stunden ganz entscheidend sind, ob ein Mord aufgeklärt wird oder sich die Ermittlungen quälend lange hinziehen, bis sie dann ohne richtiges Ergebnis eingestellt werden. Außer den Ermittlern hilft ein Zufall. Daran mag Remsen nicht glauben. Andererseits ist Weilham sen. ja kein Verdächtiger, noch nicht. Zum Tatzeitpunkt war er nach gesicherten Erkenntnissen zu Hause und scheidet zumindest vorerst aus. Dumm nur, dass er falsche Angaben zur Dienstreise seines Sohnes machte, wissentlich und bewusst oder nur, weil er unter Stress stand. Es muss jetzt was passieren.

      Karl-Heinz Egger, Chef der Unlimited IT Equipment AG in Vesberg, ist ein begüterter Geschäftsmann. Er ist es gewohnt, dass der Erfolg an seiner Seite ist und er die Geschicke selbst bestimmt. KHE, wie ihn Freunde und Hasser gleichermaßen nannten – von beiden gab es in seinem Umfeld jede Menge, war selbstbewusst, eigentlich mehr arrogant. Denn er sah sich als personifiziertes Alphatier; als eines jener Exemplare, die kein weiteres neben sich akzeptieren. Das machte es ihm leicht, sich gegenüber Mitarbeiter und Geschäftspartner so zu artikulieren, wie er es für richtig hielt. Kompromisse sah er immer dann angebracht, wenn sie nach seinen Vorstellungen eingegangen wurden. Er war sich seiner Starke, bestimmte die Spielregeln und überlies es allen anderen, sich diesen unterzuordnen. Jede Menge Leichen pflasterten seinen Aufstieg. Nicht Leichen im eigentlichen Sinn, sondern ehemalige Mitstreiter, die er aus recht unterschiedlichen Gründen aus dem Weg räumen musste.

      Das war nicht immer so. KHE galt zu Beginn seiner Laufbahn eher mittelmäßig. Das war in der DDR damals aber kein Problem. Sein Studium schaffte er irgendwie und danach wenig motiviert, sich zielstrebig eine Karriere aufzubauen. Schnell wurde ihm klar, dass es in der ehemaligen DDR mehr Chancen des Aufstiegs und der Anerkennung gab, wenn er sich auf die staatstreue und parteipolitische Linie einließ.

      Als Parteimitläufer begann er als kleines Rad im Parteiengetriebe. Egger lernte recht schnell, wie man sich unentbehrlich machen konnte. Klug brachte er sich in die Parteiarbeit ein und wurde zu einem Eiferer, der ihm neue Freunde und immer mehr Feinde einbrachte. Weil er sich als aktives Parteimitglied bewährte, wurde für ihn in einem Staatskonzern eine Position als Abteilungsleiter freigemacht.

      Er gab den Wonneproppen, fühlte sich in der Aufgabe richtig wohl und drangsalierte die Mitarbeiter seiner Abteilung. Weniger aus fachlichen Notwendigkeiten heraus, mehr als Parteifunktionär und Agitator. Egger wollte aus seiner Abteilung eine Vorzeigeorganisation, vor allem in politischer Hinsicht machen. Die Partei sollte sich auf ihn und seine Mitarbeiter voll verlassen können. Denn er nahm sich Größeres vor: Er wollte der hauptamtliche Hauptparteifunktionär im Kombinat, wie man die großen Unternehmen damals nannte, werden. Das versprach ganz viel Geld, enorme Achtung ihm gegenüber und vor allem Macht. Macht, um über das ganze Unternehmen, die Generaldirektion, die Möchtegernchefs und vor allem die Mitarbeiter herrschen zu können. Dieser Weg war für ihn vorbestimmt; davon war Karl-Heinz Egger überzeugt.

      Es kam anders, ganz anders.

      Als die Ära des politischen Ungehorsams auch in der DDR einzog, wurde es zunächst für ihn recht ungemütlich. Einige wenige der Revoluzzer, wie Egger sie bezeichnete, setzten ihm heftig zu; Parteisoldaten wie er hatten von nun an keine ruhige Minute mehr. Glück für ihn war, dass anders als in anderen ehemals kommunistischen Frontstaaten, hier keine Hetzjagden veranstaltet wurden. Natürlich, es gab recht heftige Auseinandersetzungen mit den Reformern, aber es blieb bei Wortgefechten. Meistens jedenfalls.

      Über seine Zukunft machte er sich immer noch wenige Gedanken, denn er war fest davon überzeugt, dass sich alles wieder einrenkt und so wird, wie er es gewohnt war. In diesem Verständnis war er erzogen, Alternativen dazu sah sein Lebensentwurf nicht vor. Bis zu jenem Tag, der im Oktober 89 alles, auch sein Leben veränderte. Nachdem die Parteiführung sich zum letzten Mal feiern ließ und alle Versuche, die sich anbahnenden Veränderungen bis zu diesem Tag im Keim zu ersticken relativ erfolgreich waren, verhinderte der Liebesentzug des großen Freundes Blutvergießen nach der Party. Die eigentliche Wende war da und KHE spürte es.

      Egger dachte um und verließ seine Partei. Je eher, umso weniger erinnern sich die neuen Machthaber später daran, welche Rolle er in der Diktatur einmal gespielte. KHE war clever und inszenierte sich als Welterneuerer. Er setzte sich durch und übernahm die freigewordene Leitung im Unternehmen, dieses Mal als Direktor. Egger besorgte sich Bücher über Marktwirtschaft und Unternehmensführung. Nächtelang verschlang die Seiten und wandelte sich zum „Direktor gnadenlos“. So nannte ihn die Belegschaft immer mehr.

      So paradox es auch klingen mag: Aus seiner Sicht kamen KHE die wegbrechenden Aufträge, später waren es ganze Märkte und der immer weniger wirksame Schutz der kommunistischen Finanzglocke zu Hilfe. Er betätigte sich als harter Sanierer und entließ vor allem jene Eiferer, die ihn selbst noch vor Kurzen aus dem Unternehmen vertreiben wollten. Obwohl monatlich die Umsätze immer weniger wurden, verstreute er bei seinen Auftritten vor der


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