Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann
schnell gehen; wir suchen jetzt immerhin einen Mörder, vielleicht auch zwei oder mehr. Und wir haben hier zwei Tote und müssen ganz schnell die Spur aufnehmen. Das werden Sie doch verstehen. Begleiten Sie Frau Weilham?“
Sie gab auf, nickte nur und wandte sich Eva Weilham zu.
Remsen holte einen Beamten aus dem Streifenwagen ins Haus, instruierte ihn und schickte ihn ins Zimmer. Er selbst hatte jetzt jede Menge zu tun und begann zu telefonieren.
„Dr. Ansbaum? Frau Weilham wird gleich von den blauen Chauffeuren zur Identifizierung zu Ihnen gebracht. Noch ist sie etwas durcheinander, aber in einer Stünde müsste sie spätestens da sein. Eine Freundin wird sie begleiten. Ich gehe nochmal zu seinen Eltern; vielleicht erhöht sich bei Ihnen heute Abend die Besucherzahl noch einmal.“
Die Ausbeute kann sich sehen lassen: Wir kennen den Toten, wissen dass er in der Ukraine und nicht allein im Auto war und das CodeWriter mit drinsteckte. Das nenn ich mal einen Faden. Remsen klopfte sich virtuell auf seine eigenen Schultern.
Er rief in der W36 an und teilte seiner Kollegin die neue Entwicklung mit. „Er ist es. Der Tote ist Carsten Weilham. Nöthe soll alles über ihn und seiner Familie rausfinden. Wo er studiert hat, welche Freunde und Geschäftspartner er hatte, welche Hobbys er pflegte, wo er sein Bier trank und ja, wenn es sein muss, wo er seinen Testosteronspiegel abgebaut hat. Ich will alles wissen.“
Remsen war in Fahrt gekommen und holte nur kurz Luft: „Machen Sie sich über die Firma schlau; wir müssen alles über CodeWriter rausbekommen. Irgendwelche Unregelmäßigkeiten, Rechtsstreit, Steuern usw. Und nehmen Sie mir mal den Hausmann unter die Lupe. Notfalls holen wir ihn aus den Anden oder vom Amazonas wieder zurück. Und vom Weilham dem Alten auch. Ich will von dem alles, aber auch alles wissen. Keine Ahnung wo der gerade steckt; Sie vielleicht?“ Blöde Frage dachte sich Remsen gerade noch, als er sie gestellte.
Kundoban schien alles mitgeschrieben zu haben, jedenfalls machte sie nicht unbedingt den Eindruck, als wenn der Schwall an diktierten Aufgaben sie überforderte. „Wir haben schon von beiden Weilham's die Handyverbindungslisten vom Provider angefordert. Hausmanns Nummer haben wir noch nicht. Bei CodeWriter ist am Sonnabendabend niemand erreichbar.“
„Der Provider muss das wissen, die Nummer kennen. Die Firmen haben doch meistens so was wie Firmenverträge und alle Nummern bei einem Provider. Fragen da doch nochmal nach.“ Und Schluss; er drückte das Gespräch einfach weg.
Auf dem Weg zurück zu den Weilham‘s und zu Ulrich checkte er noch kurz seine Mails. Kundoban teilte ihm inzwischen mit, dass der Audi der CodeWriter etwa kurz nach 21 Uhr gestern Abend den Grenzübergang nach Deutschland passiert hat. Hat sie mir gar nicht erzählt, dachte er sich beim Lesen. Auf der Überwachungskamera war nur zu erkennen, dass zwei Personen im Auto saßen. Wie üblich, ein Mann am Lenkrad, eine Frau auf dem Beifahrersitz. Der Grenzschutz will noch andere Kameras auswerten, die tiefer hingen und so angebracht waren, dass sie bei guten Lichtverhältnissen auch die Gesichter in den Autos erkennen konnten. Das dauert aber, da das nicht die neuesten Geräte waren und keine Remote Bedienung möglich war.
So langsam wurde das Bild von gestern Abend zumindest für ihn etwas klarer. Für seine Ermittlungen hoffte er, dass der Fahrer im Auto tatsächlich der junge Weilham war. Es würde passen und vieles erleichtern. Während er noch den Gedanken nachhing und sich die nächsten Schritte überlegte, klingelte sein Handy erneut.
„Jan, komm her, der Weilham ist jetzt da und brüllt hier rum. Seine Alte ist einem Nervenzusammenbruch nah.“ Hansi der alte Polizist hat die Flatter. Und Remsen dafür eigentlich kein Verständnis, aber das so dringend nach ihm gerufen wird, kam ihm, egoistisch gedacht, nicht gerade unrecht.
„Werde bloß nicht zum Terroristen; halt dich zurück, ich bin gleich da.“ Remsen beschleunigte seinen Schritt. Nebenbei beorderte er per Telefon einen weiteren Streifenwagen zum Anwesen der Weilham's. Wenn der Alte durchdreht, kann man jede Hilfe gebrauchen.
Er klingelte; sein Kollege öffnete ihn sofort; hat wohl an der Tür gelauscht.
Remsen stürmte ins Haus und hielt schon im Flur seinen Ausweis in der Hand. „Remsen. Sie sind Herr Georg Weilham?“
Derart überrumpelt nickte Weilham nur und wollte gleich wieder zu neuen Tiraden ansetzen. Remsen schnitt ihm das Wort: „Wir ermitteln in einem Mordfall, betreffend Ihrer Familie und Ihrer Firma. Ist Ihnen das klar?“ Fast brüllte er die Frage raus und den Firmenchef an.
Weilham schüttelte entsetzt den Kopf und bekam kein Wort raus. Vielleicht war es Atemnot, er ist ja vorbelastet, oder der Mann war einfach nur überrascht. Dafür sprang Frau Weilham ein: „Mord in der Familie? Was wollen Sie damit sagen? Was ist hier los?“ Ihr Temperament schien mit ihr durchzugehen und sie stürzte auf Remsen zu. Hansi kam ihm überraschenderweise zu Hilfe; hätte Remsen gar nicht gedacht, und hielt Frau Weilham zurück.
„Wir haben Grund anzunehmen, dass bei dem Unfall gestern Abend zwei Insassen zu Tode kamen; ermordet wurden. Einer der Toten war eine Frau, der andere …“ Jetzt schnürte Remsen die Kehle; sein Mund war ganz trocken. Einer der beschissenen Momente in seinem Job.
Ulrich nahm ihm die Bürde ab: „Der Tote ist höchstwahrscheinlich Carsten Weilham. Wir haben von der Kriminalmedizin recht verlässliche Hinweise und müssen jetzt sichergehen. Wir brauchen deshalb Ihre Bestätigung, ob er es wirklich ist. Könnten Sie…?“
Cordula Weilham brach in tiefes Schluchzen aus. Für eine Mutter recht gefühlsarm, aber nicht ganz echt, konstatierte Remsen, der sich inzwischen wieder im Griff hatte. „Kann ich ein Glas Wasser bekommen? Hole ich mir auch selbst.“ Als beide Weilham's instinktiv nickten, suchte er heute Abend zum zweiten Mal eine Küche.
Georg Weilham schien inzwischen so etwas wie einen Zusammenbruch zu erleiden. Ulrich trat auf ihn zu, nahm den linken Arm und fühlte seinen Puls. Schaut weniger schlimm aus, entschied er, als er sich sicher war, dass der Rhythmus halbwegs in Ordnung war.
„Herr Weilham, ich muss Ihnen einige Fragen stellen; wird es gehen?“ Weilham zuckte nichtssagend mit den Achseln, halb nickte er und schien sich innerlich auf die Fragen vorzubereiten.
„Ich muss Sie jetzt fragen, wo Sie gestern Abend waren?“
Weilham dachte kurz nach und antwortete langsam: „Nach dem Büro war ich zum Essen in der Innenstadt verabredet. Danach bin ich nach Hause gefahren und habe mich auf den Tag heute vorbereitet. Sachen gepackt, Fahrrad auseinandergenommen usw. So gegen 22:30 Uhr sind wir schlafen gegangen, stimmt’s Cordula?“
Frau Weilham nickte zustimmend.
„Wo waren Sie mit wem zum Essen?“ Ulrich hielt schon Notizbuch und Stift bereit.
„Bei L’Angelo in der Sonnenstraße.“
„Mit wem?“ Weil Remsen sich in das Gespräch mit einschaltete, schaute Weilham etwas irritiert. „Mit einem Kunden, der einer unser sensiblen ist.“ Scheinbar wollte er nicht so einfach mit den Namen rausrücken. Remsens Erfahrung aber sagte, dass Weilham gleich aufgeben wird; also nicht nachlassen.
„Der Kunde hat sicher einen Namen – oder gibt es diesen überhaupt nicht?“
Weilham stutzte tatsächlich nur kurz. „Igor Abtowiz, Inhaber der Safety Objects. Es war ein übliches Routineessen, um die Kunden bei Laune zu halten. Wasserstandsmeldungen abfragen; Kundenbindung – mehr war da nicht.“
Ulrich, korrekt und ordentlich wie immer: „Wir werden das überprüfen.“
„Machen Sie doch; Sie werden nichts finden. Wir waren dort, gestern Abend.“ Weilham kam das alles so bedeutungslos, gar sinnlos vor; es geht um seinen Sohn und eine unbekannte Tote an seiner Seite.
Bei Remsen allerdings schrillten derart die Alarmglocken, dass er fast ein Schädeltrauma bekam. Die Tote eine Osteuropäerin, vermutlich. Weilham ist mit einem Russen beim Essen. Sein Sohn macht in der Ukraine Geschäfte. Da stinkt was ganz gewaltig.
„Ist Safety Objects denn schon Ihr Kunde? Was für eine Art Kundenbeziehung haben Sie mit dem Herrn Abtowiz?“ Ulrich wollte es mal wieder; dieses Mal musste er es ganz genau