Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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egal, denn es begann seine Zeit der Entfaltung.

      Die sollte nur kurz anhalten.

      Denn eines Tages saß er vor einem Personalchef, der von so komischen Sachen wie Entlassung sprach. Und dazu in einem Dialekt sprach, mit dem er sich überhaupt nicht anfreunden konnte. Wahrscheinlich mal wieder so ein Westimport; typischer Klugscheißer. Davon gab es damals in Vesberg viele, zu viele, wie er überzeugt war.

      Weilham fühlte sich getroffen, schwer beleidigt und wäre zum Terroristen geworden; hätte man ihn gefragt. Es war aber keiner da, der ihn entsprechende Angebote gemacht hätte, sondern nur die gelangweilten Mitarbeiter vom Arbeitsamt, die ihm Hoffnung machten, an die sie selbst nicht glaubten. Er bekam von ihnen immer wieder Geschenke in Form von Qualifizierungen. Diesen Unsinn sich anzuhören nahm er als Folter wahr. Die Schlaumeier meinten, uns was erzählen zu müssen. Nur weil sie ausgestattet mit einer Buschzulage extra die weite Reise bis hier nach Vesberg gemacht haben.

      Dünnbrettbohrer!

      So langsam begann er, seine Sinne neu zu schärfen. Zu justieren, redete er sich immer ein. In ihm wuchs eine Idee heran, eine Geschäftsidee, mit der er Geld verdienen könnte. Vom Arbeitsamt und sonst wo her holte er sich Informationen und studierte den Hürdenlauf einer Firmengründung. Für ihn war das eine komplett fremde Welt, in der er sich einfach nicht reindenken konnte.

      So musste mal wieder der Zufall nachhelfen und er traf auf einer Party einen Bekannten. Nein, eigentlich war es kein richtiger Bekannter – oder? Karl Hausmann, wer war er? Jedenfalls hatten beide das Gefühl, dass sie sich kannten: Wir haben uns doch schon irgendwann mal gesehen? So kamen sie ins Gespräch. Klar, dass das waren zwei gemeinsame Semester Systemtechnologie mit Schwerpunkt Mainframe-Infrastruktur. Stimmt, das waren doch die IBM-kompatiblen Maschinen, nichts anderes als geklonte Originale. Nur mit kyrillischer Schrift versehen. Das Betriebssystem war ein unerträgliches Kauderwelsch aus schlecht verstandenem übertragenem Englisch und viel Russisch.

      Weit nach Mitternacht sprudelte es aus Weilham heraus. Sein Bauch sagte ihm: Es ist die Chance.

      Zugreifen!

      Weilham erläuterte Hausmann seine Geschäftsidee, schmückte alles überdimensioniert aus und infizierte ihn dann in der letzten Kneipe, die im Morgengrauen noch offen hatte. Das muss der Zeugungszeitpunkt für die CodeWriter gewesen sein. Zumindest erzählen seitdem beide überall die Geschichte herum.

      Die Zeit war hart. Beide hängten sich überaus in die Aufbauarbeit rein. Sie kamen gut voran, der Schuldenberg war immer noch überschaubar, ließ sich sogar mit der Zeit drücken. Spätestens als die Astrophysiker ihnen den Auftrag zur Auswertung und Analyse von unendlichen Messreihen gaben, war das Gröbste erstmal geschafft.

      Aber nach vielen Jahren des Erfolgs ging es einfach nicht mehr weiter. Weilham, der sich nie schonte und gerne auch mal unangenehm mit seinen Mitarbeitern umsprang, wurde anfälliger, unruhiger, sensibler. Immer öfter geriet er mit Karl Hausmann aneinander, auch wenn sie sich beim Guinness immer wieder aussprachen. Der Wurm war drin. Seit wann etwa? Weilham dachte nach und machte nach einigen Überlegungen den verlorenen Prozess vor knapp zwei Jahren aus. Ein Kunde fing gegen CodeWriter einen Rechtsstreit an, obwohl der aus seiner Sicht im Unrecht war. Trotz allem: Der Kunde hat gewonnen und CodeWriter Image und viel Geld verloren.

      Zum letzten Jahreswechsel nahm er sich vor, mit Karl zu sprechen, um auszusteigen. Karl hatte ihm im Jahr davor immer wieder dazu angestiftet, mehr ins Ausland zu gehen. Besonders im Osten Europas herrscht Goldgräberstimmung; da muss doch für CodeWriter auch was zu holen sein. Weilham ist prinzipiell vielen neuen Überlegungen gegenüber offen eingestellt, aber der Osten Europas wehte für ihn immer noch den Hauch des Staatskommunismus. Und dort wo er definitiv nicht mehr zu finden ist, regiert die Mafia. Not oder Elend – was ist die bessere Alternative? Hausmann sah das alles nicht so eng. Schutzgeld, Erpressung, Korruption lassen sich umgehen. Reichlich naiv der Karl, dessen war sich Weilham sicher.

      An einem dieser Tage, schon im neuen Jahr muss das gewesen sein, war es mal wieder recht laut zwischen Ihnen geworden. Irgendwann mal war Weilham soweit und sprach Karl auf einen Ausstieg seinerseits an. Der explodierte förmlich, denn faktisch war ohne Weilham die Firma am Ende. Wenn er jetzt Kasse machen will, kann die Firma gleich ganz aufgegeben werden. Ohne wirkliches Verständnis hat sich Weilham dann irgendwann spätabends auf den Weg nach Hause aufgemacht.

      Innerlich aufgewühlt, richtig sauer auf Karl, stapfte er zum Auto. Mit der Zentralverriegelung öffnete er das Auto, legte die Tasche auf dem Rücksitz hinterm Fahrer und war gerade im Begriff, selbst einzusteigen. Ein stechender Schmerz im Brustkorb verhinderte zunächst weitere Bewegungen. Weilham zuckte und sackte zusammen. Vor Schmerz krümmend versuchte er sein Handy zu greifen. Die Kräfte verließen ihn.

      Der Retter war Hausmann, wie er später erfuhr. Lange, sehr lange brauchte Weilham, um wieder fit zu werden. Karl besuchte ihn, er kümmerte sich um Weilham, wie der es nie vermutet hätte. Wie auf Verabredung vermieden beide, auf die Probleme in der Firma einzugehen. Karl gab ihm das Gefühl, dass mit CodeWriter alles in Ordnung sei und er das Geschäft im Griff hatte. Auch, dass er ihn, Georg Weilham, im Geschäft vermessen würde. Weilham‘s Sohn, der auch bei CodeWriter arbeitet, war und ist noch immer für Hausmann ein mäßiger Ersatz.

      Das tat Weilham gut. Er erholte sich wieder und begann zunächst mit allgemeiner Routinearbeit, zeitweise. Nur nicht aufregen, schön langsam. Stück für Stück fand er wieder zurück und wurde immer mehr belastbar. In der Firma hatte jetzt Hausmann allein das Sagen. Karl war der ungekrönte König und bestimmte, wo es lang ging, welche neuen Funktionen die Produkte bekommen sollten und wie insgesamt die Softwareentwicklung künftig aussehen sollte. Vor allem trieb Hausmann den Aufbau neuer Kundenstrukturen voran, machte Kontakte, führte Gespräche.

      Ein halbes Jahr nur und schon ist alles anders? Weilham fand sich nur schwer mit der neuen Situation ab, konnte aber nichts dagegen machen. Vorerst. Karl intensivierte in die Ausweitung des Geschäfts nach Osteuropa; eine Entwicklung, die Weilham nicht behagte. Er fand einfach keine Mittel, sich dagegen zu wehren und um Hausmann zu stoppen. Weilham hatte gelernt: Sein zum Glück leichter Herzinfarkt erinnerte ihn daran, dass er künftig nicht mehr grenzenlos belastbar sein wird und dass er sich Zeit nehmen muss.

      Weilham änderte nach dem Kurzschluss auch privat viele Dinge. Seine ohnehin langweilige Ehe interessierte ihn schon lange nicht mehr. Warum also weitere Energie für etwas zu verwenden, um zu kitten, was nicht mehr hält? Einfach laufen lassen, tut ja nicht weh so eine Beziehung.

      Das Zusammensein mit seiner Cordula funktionierte anfangs ganz gut. Mit der Zeit entwickelte sie sich aber zur Spießerin und verfiel immer mehr dem Kaufrausch. Überall wo sie beide waren, kaufte sie förmlich die Geschäfte leer. So was nannte sich mal Wissenschaftlerin. Was aus Menschen so alles werden kann…

      So verfiel er immer mehr darauf, egoistisch seinen Interessen nachzugehen. Es kamen sogar Neue hinzu. Sport machte er schon lange nicht mehr; dass konnte er leicht ändern. Weilham kaufte sich ein tolles neues Fahrrad, ein ultraleichtes Trekkingrad, mit dem er regelmäßig unterwegs ist. Alleine natürlich. Die beste Medizin für sein Herz; davon war er erstaunlicherweise selbst und vor allem sehr schnell überzeugt. Sein Arzt freute sich, dass die Werte für Blutdruck und Kreislauf sich verbesserten und vor allem sein Fettgehalt immer weniger wurde.

      Sonnabend wurde zu seinem Tag. Den Freiraum nahm er sich.

      Als personifizierter Frühaufsteher war er meistens schon um fünf Uhr auf den Beinen. Besonders in den Sommermonaten verfrachtete er schon am Abend zuvor sein Fahrrad ins Auto, legte sich seine Sportsachen zurecht und freute sich auf eine großartige Radtour. Er war nicht wetterfühlig; ihn störten weder Regen noch die oft gegen mittags aufkommende Hitze. Mindestens 100 km sollten es am Tag werden, dann fühlte er sich richtig gut. Das zog er durch. Immer sonnabends…

      Seine Touren verlegte er immer weiter in die Hügellandschaft rund um Vesberg. Es machte schlicht Spaß, sich nach einer Woche mit endlosen Meetings, mit viel zu viel Kaffee, Telefonaten und Entscheidungen, mal so richtig auszutoben. Vor allem war es für seinen Körper eine Wohltat. Im Laufe der Monate wuchs die Lust auf noch mehr Wohltaten. Ihm war im Laufe der Monate klar geworden: Wenn es schlecht für ihn lief, kann sein Leben viel


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