Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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noch was“, mischte sich Reiken ein. „Die Veterinärer haben sich den Hirsch oder das was davon noch übrigblieb, genauer angesehen. Der war schon einige Zeit tot, mindestens ein, zwei Tage und hatte einige unerklärliche Druck- oder Reibungsstellen. Als wenn das Fell von Seilen oder so abgerubbelt worden war.“

      „Also hat jemand das Tier ganz bewusst geschossen und gezielt auf die Straße gelegt. Wenn dahinter ein Plan steckt, dann auch eine größere Logistik. Der Zeitpunkt musste ganz genau gewählt und der Verkehr auf der Straße angehalten werden. Wer kann so etwas?“

      Remsen ahnte langsam auch, dass es mehr als ein Routinefall werden könnte. Hoffentlich nicht wieder so eine Mafia-Geschichte, die nur Ärger und nie einen Erfolg einbringt. Europa und die Öffnung bringen eben nicht nur Gutes mit sich.

      „Doktor, wann können Sie uns mehr zu beiden Toten sagen?“ Irgendwo musste Remsen ja anfangen.

      „Die Verabredung um 12 Uhr zum Essen kann ich jetzt nicht mehr einhalten. Bis zum Abend haben Sie den ersten Bericht, sicher noch nicht vollständig.“

      „Gut, gut. Bis dahin kümmern wir uns mal um die CodeWriter. Vielleicht kann die Überwachungskamera von der Grenze was liefern. Schaut so aus, als ob die beiden tatsächlich in Polen oder woanders unterwegs waren.“

      „Haben wir schon angefragt. Wir bekommen die Aufnahmen zugeschickt.“ Jutta Kundoban hatte für Remsen diese gute Nachricht parat.

      „Doc., wenn Sie was rausbekommen haben, rufen Sie mich bitte gleich an – okay?“ Wer weiß, was hier noch alles los ist. „Bitte!“ Remsen wusste, dass genau dieses Wort bei Dr. Ansbaum Berge versetzte.

      „Fahren wir zusammen?“ Remsen verspürte Gesprächsbedarf und wieder etwas Hunger. Solange Jutta Kundoban die noch halb gefüllte Tüte festhielt, hatte er schlechte Karten.

      „Gerne, ich bin eh mit einem der blauen Taxen hier rausgefahren.“ Auch sie liebte den Komfort des Buick und diesen klasse Sound, auch wenn es nur für die eine Fahrt war.

      Remsen steuerte seinen Buick wieder Richtung Vesberg und hoffte auf mehr Informationen. Deshalb hatte er den Nachrichtenkanal eingestellt, der regelmäßig, sogar viermal in der Stunde neue Nachrichten brachte. Manchmal konnte man sich schon wundern, woher und vor allem wie schnell die an neue Informationen kommen. Vielleicht sollten wir den einen oder anderen für uns rekrutieren.

      „Haben wir schon was Neues von Nöthe und seiner Frau?“ Remsen nahm den Gesprächsfaden wieder auf.

      „Wieso Frau? Nöthe hat meines Wissens keine Partnerin, aktuell zumindest.“ Kundoban war etwas irritiert.

      „Nein, nein. Ich habe ihn zu einer Frau Weilham geschickt. Das ist die Frau eines der beiden Geschäftsführer der CodeWriter. Er ist wohl nicht da, sonnabends immer auf Selbstfindungskurs. Nöthe soll rausbekommen, wer das Auto gefahren hat, wer die beiden Toten sind usw. Vielleicht taucht Weilham inzwischen bei seiner Frau oder in seiner Firma wieder auf.“

      Jutta Kundoban saß etwas gedankenversunken auf dem Beifahrersitz und traktierte ihr Smartphone. Das ist eine andere Generation, dachte sich Remsen. Die bekommen heute schon so ein Ding mit Internetanschluss in die Wiege gelegt.

      „Also wenn ich das hier richtig sehe, dann gibt es in der Firma zwei Weilham's. Der eine, Georg Weilham scheint der Geschäftsführer zu sein, sein Sohn, nur Weilham jun. auf der Website genannt, ist auch mit dabei. Account Manager, was immer das sein soll.“

      Jutta strahlte, weil sie mit dem kleinen Ding mehr Informationen zu den Ermittlungen beisteuerte als der kleine Benjamin. Der verstand es immer noch nicht, sich vorteilhaft in die Ermittlungen einzubringen.

      „Finden Sie raus, wo der wohnt. Nöthe ist bei einem Weilham in der Nähe von Vesberg, wahrscheinlich beim Senior. Da kann der junge Weilham auch nicht weit weg sein.“ Remsen kombinierte und sinnierte. „Hoffentlich ist das nicht unser Freund im Wald. Ich meine, der Junior. Vom Alter her ist es jedenfalls nicht der Alte.“

      Jutta Kundoban telefonierte sofort mit der Zentrale und gab die Anweisung weiter.

      Remsen hatte schon wieder seine Telefonliste auf dem Display aktiviert und ließ die Nummer von seinem Assistenten, Benjamin Nöthe wählen. Vielleicht wird doch noch mal was aus dem. Remsen muss ihn nur fordern. Es wäre aber besser, für ihn und vor allem für uns hier, wenn er auf egal was, jedenfalls etwas Anderes umschulte.

      Nach mehrmaligem Wiederholen baute sich endlich eine Verbindung auf, das Klingeln war äußerst schwach. „Ja, Kriminalassistent Nöthe hier.“

      „Remsen – was erreicht bei der Weilham?“ Remsen machte es kurz und kam wie immer gleich zur Sache.

      „Moment, ich gehe mal schnell vor die Tür.“ Anscheinend war Nöthe nicht allein.

      „So, jetzt. Soweit sie weiß, kommt ihr Mann am Nachmittag zurück. Wegen der Geschäfte von CodeWriter kann sie nicht viel sagen, da hat sie keinen Einblick. Sie weiß nur, dass ihr Mann oder irgendwer von der Firma Kontakte zu neuen Kunden nach Osteuropa aufgebaut hat. Vielleicht in die Ukraine, aber genau weiß sie es auch nicht.“

      Für den Nöthe war das schon fast ein vollständiges Referat, doch Remsen hatte einfach keine gute Meinung von seinem Assistenten. Normalerweise bekommt der keinen formal richtigen Satz zustande.

      „Das Auto von heute Nacht; haben Sie da was erfahren können?“, wollte Remsen wissen.

      „Nur, dass sie es kennt und es als Poolfahrzeug von den Mitarbeitern und regelmäßig von ihrem Mann genutzt wird. Wer gestern damit unterwegs war, konnte sie nicht sagen. Wenn ich eine Einschätzung geben darf: Mir scheint es so, dass sie wirklich nicht viel weiß.“

      „Nöthe, überlassen Sie das einfach mir. Bringen Sie mir Fakten und Informationen.“ Er legte auf.

      Jeder hing jetzt seinen Gedanken nach. Die Anspannung, die Müdigkeit. So nach und nach spürte jeder den Druck, den dieser Fall ausgelöst hat. Und niemand weiß genau, was die Ermittlungen noch alles an Arbeit und Nachtschichten bringen werden.

      CodeWriter. Osteuropa. Unfall? Mord? Vielleicht ein Unfall und ein Mord? Nein, an dem Hirsch wäre bei normalem Unfallverlauf niemand gescheitert. Hier wurde kräftig nachgeholfen. Genickbruch die Frau; am Baum aufgeknüpft und arg zugerichtet der Mann. Die Geschichte ist mit größter Sorgfalt und nicht unerheblichem Aufwand vorbereitet worden. Generalstabsmäßig sozusagen. Das gelingt keinem Gelegenheitstäter. Wer hat was gegen CodeWriter? Oder sind die beiden nur zufällig zwischen die Fronten geraten? Jede Menge Fragen und noch keine Antworten.

      Das machte Remsen nervös und vor allem hungrig.

      „Pizza oder Thai?“ Die erste Frage nach der Ankunft in seinem Büro galt der Wahl des Mittagsmenüs. Jutta Kundoban ist da eher für die traditionell leichtere Kost zu haben, aber heute; sie sollte eigentlich nicht. Aber an so einem Tag darf man mal über die Stränge schlagen und sich seit langer Zeit wieder eine, na ja nicht ganz so gesunde Pizza gönnen. Obwohl lecker sind die schon, manchmal jedenfalls.

      „Kriminalhauptkommissar Remsen.“ Das Telefon brachte die Reihenfolge in der Aufmerksamkeit durcheinander.

      „Ja guten Tag, hier ist Dr. Mayer, der verantwortliche Redakteur der Nachrichtenredaktion. Ich wurde gebeten, mich bei Ihnen wegen der Straßensperre heute Nacht zu melden. Sind Sie der richtige Ansprechpartner dafür?“ Remsen bestätigte das mit einem Grunzen.

      „Also, wir hatten eine Information, dass Autofahrer bei uns im Sender angerufen haben und wissen wollten, was auf dem Autobahnzubringer los ist. Es gab wohl eine Straßensperre, in beide Richtungen. Sie wissen ja, die Leute sind hier immer so neugierig und wollen gleich alles genau wissen. Als ob wir im Sender immer alles wissen und die Straßensperre aufheben können.“

      „Ja und, das müssen Sie in den Nachrichten gleich melden, oder was?“

      Obwohl Kundoban schon auf seinen Fingerzeig hin für beide die Bestellungen abgab und die Pizza bald geliefert werden würde, wurde sein Hunger unendlich größer, als das Interesse für eine Straßensperre jemals


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