Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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wie Remsen vermutete. Nicht gesund, entschied er. Und schwupp landete der Becher im Straßengraben.

      „Schon mal was von Unversehrtheit des Tatorts gehört?“ Jetzt war es an Günther Reiken, den launigen Remsen aus der Reserve zu locken.

      „Wenn ich nicht gleich etwas höre, was auf keinen Unfall hinweist, sitze ich im nächsten Taxi nach Hause.“ Wer der Stärkere ist, werden wir noch sehen. Remsen fand seinen Konter recht gelungen.

      „Hallo Dr. Ansbaum, schon was gefunden? Woran ist sie gestorben?“

      Dr. Ansbaum bewegte sich nicht mehr so schnell. Das lag einerseits an seinem Alter; nur noch wenige Jahre und er wird pensioniert. Andererseits empfahl sein Therapeut ihm schon oft, mal seine Sportsachen in direkter Verbindung mit Körperertüchtigungsabsicht zu nutzen. Ja, er war richtig fett und tat nichts dagegen. Der Doktor wird schon wissen, was für ihn gut und richtig war.

      „Der Unfall müsste so vor etwa 4 Stunden, plus minus wie immer, passiert sein. Hämatome eigentlich überall am Körper, am Kopf und am Hals besonders.“ Dr. Ansbaum schien nachdenklicher als sonst. Und offensichtlich nicht ganz sicher, wie Remsen bemerkte.

      Er wollte sich nicht lange bitten lassen: „Todesursache?“

      „Höchstwahrscheinlich war es ein Genickbruch. Zumindest hatte ein solcher endgültig für das Aus dieser Kleinen hier gesorgt.“

      „Doktor, wenn sie angeschnallt war und der Airbag funktionierte, dann ist doch ein Genickbruch nicht drin, oder irre ich mich? Das Auto ist fast neu und Kopfstützen haben heute alle.“ Dafür war Remsen bekannt: scharfer Spürsinn und glasklarer Sachverstand mit einer Prise Sarkasmus. Er war gedanklich allen anderen meistens voraus.

      Reiken schaltete sich ein: „Wenn ich mir hier die Teile vom Hirsch anschaue, dann hat sie locker mit mehr als 100 km/h den Hirsch geküsst. Jan, du kennst doch den Zubringer zur Autobahn: So schnell fährt hier an dieser Stelle noch nicht einmal Montoya.“

      Reiken war Hobbyrennfahrer, ein Draufgänger wie der Kolumbianer. Dieser war zwar nicht so erfolgreich, stand aber trotzdem bei ihm hoch im Kurs. Denn Reiken war es, der gerne spektakulär überholte und sonst gerne mal die Regeln vergaß.

      „Also, da hat jemand nachgeholfen!?“ Diese von Remsen teils als Aussage formulierte Frage brachte Ansbaum endgültig in Zugzwang; er musste sich festlegen. Unter Vorbehalt natürlich.

      „Wenn Sie mich so fragen…“

      „Ja, das tue ich. Und ich erwarte sogar eine Antwort.“ Remsen wurde ungeduldig und deutete dem Chef der Spurensicherung, beim Rechtsmediziner etwas nachzuhelfen.

      „Jan, du weißt, wie so was läuft. Hier wird die erste Analyse gemacht, untersucht wird alles später in der KTU und der Gerichtsmedizin. Ich denke Doc., dass wir es bis zum Mittag es genauer wissen.“ Auch Reiken verstand es, Aussagen als Fragen zu formulieren.

      Dr. Ansbaum überlegte genau, was er sagte: „Ein Unfall allein war es definitiv nicht. Die Hämatome am Hals deuten auf zusätzliche Einwirkungen hin, die letztlich zum Tod geführt haben könnten. Aber Genaues wirklich erst nach der Untersuchung. Ich denke, es war nicht nur ein Unfall.“

      „Vielleicht haben noch ein paar Renntiere mitgeholfen.“ Jan Remsen zog mit Reiken, der ihm folgte, davon und ließ Dr. Ansbaum und sein Team stehen. Halb im Umdrehen rief er zurück: „Um Punkt 12 Uhr will ich es genau, ganz genau wissen. Und denken Sie daran, ich esse pünktlich.“

      „Jan, der Doc. tut was er kann. Wir untersuchen gerade das Auto, die Spuren auf der Straße. Bisher scheint klar zu sein, dass sie gleich nach der Kurve da vorne gebremst und sich dabei gedreht haben. Wie es aussieht, haben sie dabei nur wenig Geschwindigkeit verloren und ist mit voller Wucht auf den Hirsch aufgefahren. So einen Unfall hatten wir noch nicht. Wir müssen morgen alles nachstellen.“

      Reiken war auf Zeitgewinn und Beruhigung aus. Er wusste, dass Geduld nicht gerade eine Stärke von Jan Remsen war. Außerdem mochte er es nicht, wenn die Cops, wie die Mordkommission unter der Hand genannt wird, seine Arbeit nicht anerkannten.

      „Glaubst du wirklich“, Remsen hatte Günthers Taktik durchschaut, „dass ein Auto mit, sagen wir mal 100 Stundenkilometern, auf einen Hirsch auffährt und die Fahrerin trotz Sicherheitsgurt und Airbag mit einem Knick im Genick das Leben aushaucht. Das stinkt gewaltig, nicht nur nach Hirsch. Und Ansbaum geht auch davon aus, dass am Hals jemand nachgeholfen hatte.“

      „Ja, ja, mag ja alles sein. Aber solange wir das nicht wissenschaftlich belegt haben, kannst du anbrüllen, wen du magst. Vorher können wir dir nicht verbindlich sagen, was passierte.“

      Jetzt reichte es Reiken auch so langsam. Wenn das alles hier vorbei ist, müsste er mit Jan mal wieder ins Refill, so von Mann zu Mann mit ihm reden. Aber nicht jetzt.

      Einer seiner Mitarbeiter winkte ihn zu sich rüber. „Sieh mal, hier auf dem Beifahrersitz befinden sich jede Menge Haare, lang, blond. Die scheinen unser Kleinen zu gehören.“

      „Sag nicht immer Kleine zu ihr. Die hat doch sicher einen Namen.“ Reiken war ein guter Chef, forderte aber von seinen Mitarbeitern volle Konzentration und vor allem Ergebnisse, hier in Form von Erkenntnissen.

      „Ein wenig komisch ist es schon, Günther: Einen Raubmord kannst du ausschließen. Geld, Schmuck sind noch da. Aber weder ein Ausweis noch eine Kreditkarte oder so. Frauen haben immer so viele Karten im Koffer. Nichts da. Bis jetzt kein einziger Hinweis auf ihre Identität. Nur dass sie eine Frau ist, so um die 30, recht attraktiv“. Remsen war mit seiner ersten Einordnung wie immer schnell zur Hand.

      „War. Sie war eine Frau. Ok, danke.“ Reiken ging dann doch noch mal zu den Rechtsmedizinern rüber. Jedoch nicht, ohne sich vorher zu vergewissern, dass Jan Remsen weit genug weg und mit anderen Dingen beschäftig war.

      „Dr. Ansbaum – wir haben hier ein Problem. Wir wissen nicht, wer sie ist. Kein Ausweis, keine Bankverbindung, Gesundheitskarte oder so. Kein Hinweis auf ihre Identität. Hat sie ein Tattoo oder etwas Markantes, eine auffällige Narbe oder irgendwas anderes?“ Reiken schaute fast schon verzweifelt Dr. Ansbaum an, denn jeder Hinweis würde ihm Arbeit abnehmen und vor allem Zeit gewinnen.

      „Herr Reiken, wir haben sie noch nicht weiter untersucht. Bisher ist mir nichts aufgefallen. Sorry, aber wenn Sie mich fragen? Ich tippe auf Osteuropäerin.“ Dr. Ansbaum machte Anstalten, sich wieder seiner Arbeit zu widmen.

      „Osteuropäerin? Polin? Russin? Wie kommen Sie darauf?“ Jeder Hinweis könnte ein Lichtblick sein; so viel Erfahrung hatte Reiken allemal.

      „So ein Gefühl, Intuition vielleicht. Vom Gesicht und ihrer Kleidung her würde ich es so einschätzen, muss aber nicht stimmen. Vielleicht weiß ich nach der Untersuchung mehr.“

      Reiken war sich unsicher: „Soll ich Remsen davon was sagen?“

      „Kann nicht schaden, aber bitte…“

      „Ja, ja – ich weiß; unter Vorbehalt.“ Dr. Ansbaum sicherte sich wie immer mehrmals ab.

      Remsen sah sich gerade mit Kundoban und Nöthe den Unfallort etwas genauer an. Von der Spurensicherung hatten sie sich dafür Lampen besorgt.

      „Wissen Sie Jutta, das Ganze hier ist entweder wirklich nur ein Unfall oder eine ganz große Sauerei.“ Remsen begann wie immer sehr früh mit seiner Analyse.

      „Der Tipp ‚Sauerei‘ stimmt in jedem Fall.“ Kundoban hatte auf ihre Art sicher Recht.

      Remsen mochte sie – hier aufgewachsen, in NRW Kriminalistik studiert und noch ein paar Praktika in Skandinavien und Irland drangehangen. Im Team war sie noch nicht so lange, machte sich aber erstaunlich gut. War sogar richtig zuverlässig. Was sie sonst noch so macht, privat zum Beispiel, hatte Remsen bislang nicht in Erfahrung bringen können. Bis auf ein paar gemeinsame unverfängliche Abende im Refill ging nichts. Nein, Ambitionen hegte er nicht, denn er könnte fast als ihr Vater durchgehen. Sein Instinkt sagte ihm aber, dass sie … na mal sehen.

      „Hier fahren doch regelmäßig Autos lang, gegen 10 Uhr abends doch


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