Schüchterne Gestalten. Peter Bergmann

Schüchterne Gestalten - Peter Bergmann


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Schritt, um sich das Auto genauer anzusehen; besonders die Insassen. Zwei Typen, kurz geschorenes Haar und offensichtlich nicht übergewichtig; durchtrainiert. Zivilstreife?

      Gefahr!

      Alarm!

      Er nahm den kleinen Weg als Abkürzung, bog von der Uferstraße wieder ab in die Gartenanlage. In aller Ruhe, äußerlich. Denn in ihm kursierten die Gedanken: Was machen, wenn die uns schnappen? War es überhaupt eine Streife? Zurück?

      Nein jetzt nicht gleich. Erst mal ab in die sichere Hütte.

      Sammeln!

      Der Plan sah für diesen Fall vor, es nach maximal zehn Minuten nochmals zu versuchen. Er zitterte am ganzen Körper. Ihm fehlte der Mut. Aber er musste, denn die Auftraggeber waren schlau und verteilten die Fluchtinformationen auf alle drei. Minimiertes Risiko, wie sie es nannten. So hatte er keine Ahnung, wo die anderen Autos standen.

      Er nahm allen Mut zusammen und versuchte innerlich ganz ruhig zu bleiben. Scheiße, schon wieder Leute in der Nähe des Gartens. Ein altes Pärchen. Trotzdem, er musste warten, bis die außer Sichtweite wagen.

      Nichts riskieren, bloß nicht auffallen.

      Weiter!

      Er nahm den entgegengesetzten Weg, sodass die alten Leutchen ihn nicht so schnell sehen konnten. Dafür war diese Richtung zum Auto etwas weiter. Egal, jetzt Augen zu und durch.

      Es lief glatt. Nichts Aufregendes mehr unterwegs, kein Spaziergänger, kein Mensch weit und breit. Erleichtert bog er auf die Straße zum Auto ein. Hier fiel er nicht mehr so auf. Jemand, der auf dem Weg zum Auto ist, ist nicht auffällig. Normalerweise nicht.

      Die letzte Kurve noch, dann würde er gleich das Auto sehen. Hoffentlich ist die andere Karre inzwischen weg, dachte er sich, als er in Sichtweite des geparkten Autos kam.

      Entsetzen in seinen Augen: Das Auto war weg. Ihr Fluchtauto war nicht mehr da! Hilflos sah er sich um. So ein Mist, wo sind die anderen beiden hin? Wie komme ich jetzt hier weg?

      Nein, nein, nein!

      Verdammter Mist!

      Das geht nicht gut aus. Er rannte los; vielleicht stehen sie etwas weiter vorne und warteten auf ihn. So würde er es machen. Ihm war jetzt jede Tarnung egal. Er musste das Auto finden, egal wie.

      Auf Höhe der Stelle, wo das Auto vorher geparkt war, blieb er abrupt stehen. Was war das? In der Parklücke stand jetzt das Auto, welches vorher in zweiter Reihe auf der Straße stand und er als Zivilstreife ansah. Drinnen saß jetzt niemand mehr. Wenn das Zivilbullen waren, dann trieben die sich bestimmt noch hierum.

      Los, weiter die Straße runter!

      Nach einigen Minuten begann er nicht nur langsamer zu werden, sondern es dämmerte in ihm: Die beiden sind weg!

      Jetzt ist er ganz alleine auf sich allein gestellt. Er hatte keine Chance, die beiden irgendwie zu finden oder mit ihnen zu telefonieren.

      Wo sind die ihn?

      In welche Richtung könnten sie gefahren sein?

      Er weiß ja nicht, wo die anderen Fluchtautos stehen und auf ihn warten könnten. Das hier war eigentlich sein Auto gewesen. Und jetzt? Ihm muss was einfallen, damit er so schnell und sicher wie möglich aus Deutschland rauskommt.

      Eigentlich war er auf solche Situationen vorbereitet. Damals in Sibirien, als sie noch alle zur Roten Armee eingezogen und zwei Jahre paramilitärisch gedrillt wurden, war das Wetter noch viel schlechter, die Kleidung zwar tauglich, aber alt und ramponiert. Das Essen dort war ohnehin nichts für Rekruten. Schikaniert wurden sie die ganze Zeit.

      Also, was soll’s: Schlimmer als damals kann es jetzt auch nicht sein.

      Mindestens zweimal war er knapp dem Tod entkommen, Unfälle und Knochenbrüche überstanden. Als Aufklärer waren sie trainiert, in entferntesten Regionen ausgesetzt und über lange Distanzen zurückzufinden. Überleben am Rande des Vorstellbaren war die Regel. Ernähren von selbst gefangenen Tieren. Schlafen in Erdlöchern. Wochenlang nicht entdeckt zu werden und sich trotzdem durchschlagen. Manchmal hat’s nicht geklappt und man wurde gestellt.

      Jetzt ist wieder Überleben angesagt. In einem fremden Land. Mit einer Polizei, die ihn sicher sucht. Die Aufgabe könnte nicht größer sein.

      Er muss hier raus, einfach nur raus. Raus aus Deutschland.

      Georg Weilham saß gedankenverloren in seinem Auto und befand sich auf dem Weg nach Hause. Sonnabends ist sein Tag. Er brauchte diesen Freiraum. Schon seit Jahren arbeitete er an der Grenze seiner Leistungskraft. Seine Ärzte forderten ihn mehrmals und eindringlich auf, etwas kürzer zu treten. Sollen sie doch reden, hatte er sich immer gedacht. Bis zu dem Zeitpunkt, als gleich nach dem Jahreswechsel ein Schwächeanfall ihn für längere Zeit aus dem Verkehr zog. Es begann mit Panikattacken, schon länger davor. Ihm wurde immer mal wieder schwindlig. Bekam kalte nasse Hände, Herzrasen und Atemnot. Obwohl er schon vor Jahren zu rauchen aufgehörte und er versuchte, seinen täglichen Stress zu reduzieren, ließen diese Symptome einfach nicht nach.

      Anfangs sagte er keinem etwas. Seiner Frau nicht, seinem Sohn nicht, seinem Geschäftspartner gleich gar nicht. Carl wird es schon einzuordnen wissen; dessen war er sich gewiss.

      Dann ging er doch zu seinem Hausarzt, der gleich allerlei Tests mit ihm machte. Und Medikamente ihm verschrieb. Er musste zu Internisten und Kardiologen; erhielt Diagnosen, die ihn mal positiv stimmten, mal depressiv machten.

      Im Januar dann war er nach einem überaus langen Tag im Büro auf dem Weg zum Auto…

      Irgendwie war die Seuche damals in der Firma zu Hause. Zum Jahreswechsel waren zwei gute Entwickler zum Konkurrenten gewechselt. Obwohl, Konkurrent sind die eigentlich nicht. Der Auftrag aus dem Innenministerium ließ auf sich warten. Der stellte so etwas wie eine Lebensversicherung CodeWriter dar; Karl hat ihn immer wieder vertröstet. Und Neugeschäft war nicht in Sicht. Kurzum: Die Zukunft seiner Firma, seines Traums, seiner Altersvorsorge war in nicht unerheblicher Gefahr. Ohne rechte Perspektive drehen sich die Probleme immer schneller. Komisch, warum tauchen die dann immer gleich in Scharen auf? Aus Missverständnissen wurden Probleme, aus Problemen wurden Konflikte. Streit wurde immer mehr zur Norm in der Firma.

      Mit Karl konnte er ja reden. Ein gemeinsamer Abend im Pub, beide waren leidenschaftliche Guinness Trinker, half für kurze Zeit. Karl und er funktionierten einfach nicht mehr synchron. Über das berüchtigte siebente Jahr waren sie längst hinaus; jedoch stagnierten sie in der Entwicklung. Karl wie er wissen recht genau, dass Stillstand in der Informatik mit Rückschritt gleichzusetzen ist. Woanders wohl auch, aber das interessierte ihn nicht. Er war Informatiker, schon früh der Logik einer CPU verfallen und hat sich zu einem leidenschaftlichen Entwickler, inzwischen zum Generalisten entwickelt. Selbst die Wirren der Vereinigung konnten seiner Entwicklung nur kurz etwas anhaben.

      Er nutzte gleich nach dem Abitur die Chance, um nach dem Pflichtdienst bei der [...], nee, das Kürzel von damals hatte er aus seinem Wortschatz gestrichen, also beim Bund wie man heute sagt, Technische Informatik zu studieren. Das bekam er ganz gut hin, denn er interessierte sich vor allem für die Entwicklungsseminare und verstand die Infrastruktur von Rechnern eher als viele seiner Mitstudenten. Gleich danach fand er damals im einzigen EDV-Konzern hier in Vesberg eine Anstellung. Er hing sich rein, forschte, programmierte, konstruierte und wurde für viele seiner Kollegen schnell zum gefragten Kollegen.

      Weilham fühlte sich in seiner kleinen Werkstatt, die eigentlich ein großes Büro für viele EDV’ler war, richtig wohl. Wäre da nicht die Staatsmacht gewesen, die vor höheren Aufgaben eine Bedingung gesetzt hat: Eintritt in die Partei. Das kam für ihn niemals in Frage. Wie hasste er die Gleichmachung, die Unterordnung seiner Informatik gegenüber der Politik, seiner Entwicklung dem des Wohlergehens einer Diktatur. Für ihn war sie menschenfeindlich, hemmend, abstoßend. Ja, er eckte laufend an, ließ sich nicht disziplinieren und anketten. Er, ein Weilham vom Schlag eines Vesbergers, die wievielte Generation auch immer, war von seinen Vorstellungen vom Leben überzeugt und blieb stur.

      Basta!

      Zum Glück für ihn fegte die Revolution


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