TODESJAGD. Eberhard Weidner

TODESJAGD - Eberhard Weidner


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von Kassandra Manson.

      2. »Suicidal Dream« von Silverchair.

      3. »Commit Suicide« von GG Allin.

      4. »Tourniquet« von Evanescence.

      5. Und last, but noch least »Gloomy Sunday«.

      Berichte mir hinterher abermals, wie du dich dabei gefühlt hast.

      Anja war erleichtert, dass es wieder eine vergleichsweise harmlose Aufgabe war. Sie hatte natürlich nicht vor, sich die Songs eine Stunde lang ununterbrochen anzuhören. Danach wäre sie vermutlich tatsächlich so weit, wie Nemesis sie haben wollte, und damit eine potenzielle Selbstmordkandidatin. Im Gegenteil: Sie würde die Lieder überhaupt nicht anhören, da sie dafür momentan keine Zeit hatte. Später würde sie ihrem Todesengel einen Bericht schreiben, der dem ähnelte, den sie ihm bereits nach den Videos zugeschickt hatte.

      6

      Es war sechs Minuten nach der verabredeten Zeit, als Anja das italienische Lokal in der Landsberger Straße betrat. Sie mochte es im Grunde nicht, wenn jemand unpünktlich war. Vermutlich, weil sie sich selbst stets bemühte, zur vereinbarten Zeit da zu sein, damit niemand auf sie warten musste. Dass sie sich dennoch ausnahmsweise verspätet hatte, daran waren natürlich nur die Suicide-Challenge und Nemesis schuld.

      Ihre Verabredung wartete bereits auf sie und hob bei ihrem Eintreten die Hand, um Anja auf sich aufmerksam zu machen.

      Das Lokal war gut besucht; nahezu alle Tische waren besetzt.

      Anja ging zu einem Tisch für zwei Personen im hinteren Teil des Raums, an dem bereits ein Mann saß, und begrüßte ihn.

      »Hallo, Anja«, sagte er und tippte mit dem Zeigefinger der rechten Hand mehrere Male auf seine Armbanduhr. »Du hast dich verspätet.«

      »Tut mir leid.« Anja zog ihre Lederjacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. »Eigentlich war ich sogar schon früher da, musste im Wagen aber noch auf eine wichtige E-Mail warten.«

      »Du verzeihst mir hoffentlich, dass ich nicht aufstehe«, sagte Hans Baumgartner und grinste frech.

      »Sehr witzig.« Anja bedachte den Mann im Rollstuhl mit einem gespielt strengen Blick und nahm Platz.

      Baumgartner war früher ebenfalls Kriminalbeamter bei der Vermisstenstelle und darüber hinaus ein enger Kollege und guter Freund ihres verstorbenen Vaters gewesen. Doch kurz nach der Beerdigung ihres Vaters hatte er einen schweren Verkehrsunfall gehabt. Er war seitdem an den Rollstuhl gefesselt und aus dem Dienst ausgeschieden. Mittlerweile war er 61 Jahre alt, geschieden und hatte einen erwachsenen Sohn, zu dem er kaum noch Kontakt hatte.

      »Was für eine E-Mail?«, fragte er. »Irgendetwas, das ich wissen muss.«

      Anja schüttelte den Kopf. »Es hat nichts mit Onkel Christian zu tun, wenn du das meinst.«

      »Sondern …?«

      Sie seufzte. »Ein neuer Fall.«

      »Interessant?«

      »Ja. Aber auch rätselhaft.«

      »Ausgezeichnet. Ich liebe interessante und rätselhafte Fälle. Willst du mir davon erzählen?«

      Anja nickte. Baumgartner fragte sie bei jedem ihrer regelmäßigen Treffen nach ihren laufenden Fällen. Trotz seines Ausscheidens aus dem aktiven Dienst vor beinahe einem Vierteljahrhundert interessierte er sich noch immer für die Arbeit in seiner ehemaligen Dienststelle. Doch noch ehe sie dazu kam, ihm etwas zu erzählen, erschien wie aus dem Nichts der Kellner an ihrem Tisch und fragte sie, was sie zu trinken haben wollten.

      Anja bestellte eine Apfelsaftschorle. Bis vor sechzehn Monaten hatte sie ein ernsthaftes Alkoholproblem gehabt. Aus purer Verzweiflung darüber, dass ihr Mann sie ständig mit immer neuen Frauen betrog, hatte sie, die sich auch noch die Schuld für seine Untreue gab, zur Flasche gegriffen und versucht, ihren Frust im Alkohol zu ertränken. Das war ihr natürlich nicht gelungen. Doch dann hatte ihre Cousine Tanja ihr Beweisfotos für die Untreue ihres Ehemannes präsentiert, wodurch das erträgliche Maß für Anja überschritten worden war. Sie hatte daraufhin ihren Mann verlassen und von einem Tag auf den anderen mit dem Trinken aufgehört. Doch davon einmal abgesehen wollte sie auch wegen der Suicide-Challenge heute Nacht einen klaren Kopf behalten.

      Baumgartner hat in dieser Hinsicht weniger Skrupel und bestellte einen halben Liter Rotwein. »Ich bin nicht selbst gefahren, sondern mit dem Taxi gekommen«, erklärte er auf Anjas fragenden Blick, nachdem der Kellner gegangen war, um ihre Getränke zu holen. Sein Auto, ein weißer Škoda, war speziell für Rollstuhlfahrer umgebaut worden. Er enthielt beispielsweise eine Einstieghilfe, von Hand bedienbare Pedale und einen Verlader, der seinen Rollstuhl automatisch hinter dem Fahrersitz verstaute. »Was ist jetzt mit diesem neuen Fall, an dem du arbeitest?«

      Anja erzählte ihm alles, angefangen beim Verschwinden von Christian Stumpf bis hin zur zuletzt gestellten Aufgabe der Suicide-Challenge. Nur als der Kellner ihre Getränke brachte und sie ihr Essen bestellten, unterbrach sie ihren Bericht. Anja nahm Spaghetti alla Diva mit Krabben und Knoblauch in Aurorasauce und dazu einen gemischten Salat. Baumgartner wählte ironischerweise und mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht eine Pizza Mafiosa mit Salami und Peperoni.

      Baumgartner hörte ihr aufmerksam zu und nickte ab und zu. Er hatte sein schulterlanges Haar, das noch voll, aber schneeweiß war, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sein Vollbart war ebenfalls weiß. Er hatte ein schmales, längliches Gesicht, das stets etwas bleich, hager und eingefallen wirkte, und sah aus, als bestünde er nur aus Haut und Knochen. Dabei musste er über kräftige Armmuskeln verfügen, denn mit dem Rollstuhl, in dem er saß, konnte er erstaunliche Kunststücke vollführen, die Anja nicht für möglich gehalten hätte.

      »In der Tat ein ungewöhnlicher Fall«, kommentierte er, nachdem Anja ihren Vortrag beendet hatte. »Was hast du jetzt vor?«

      »Was bleibt mir anderes übrig, als die Challenge weiterzumachen und die Aufgaben zu erfüllen, die Nemesis mir stellt? Natürlich nur, solange ich dabei weder mir selbst noch jemand anderem Schaden zufügen muss. In dem Fall müsste ich ernsthafte Überlegungen anstellen, wie ich meinen Todesengel überlisten kann.« Bei dem Gedanken an Nemesis warf sie einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr; doch es war noch genügend Zeit, bis sie ihren Bericht abschicken musste.

      »Bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst?«, fragte Baumgartner mit besorgtem Blick.

      Anja zuckte mit den Schultern. »Was soll mir schon passieren? Ich bin schließlich weder akut suizidgefährdet noch depressiv.«

      »Trotzdem. Was du mir über deine Gefühle erzählt hast, als du auf dem Hochhaus warst, klang für mich nicht so, als hätten diese Aufgaben überhaupt keinen Einfluss auf dich. Und dann noch dieses alte Lied der Selbstmörder, das dir ständig im Kopf herumgeistert. Unter Umständen solltest du lieber die Finger von dieser Challenge und dem Selbstmörder-Club lassen.«

      »Mach dir keine Sorgen, Hans«, sagte Anja, obwohl sie deutlich weniger zuversichtlich war, als sie vorzugeben versuchte. Sie hatte ihm nichts davon erzählt, dass sie in der Vergangenheit gelegentlich mit dem Sensenmann in Gestalt einer Überdosis Schlaftabletten geflirtet hatte, weil sie den Lockruf des Abgrunds jenseits des Todes vernommen hatte. Dennoch schien der ehemalige Kriminalist instinktiv zu spüren, dass Anja für derartige Dinge empfänglicher und anfälliger war, als sie zugeben wollte. »Ich hab die Sache völlig im Griff.«

      »Sicher?«

      Sie nickte mit entschlossener Miene, um seine Sorgen zu zerstreuen.

      Er schien allerdings nicht völlig überzeugt zu sein, denn er sah sie weiterhin skeptisch an. »Diese Nemesis wird dir womöglich ohnehin nichts sagen, was dich auf ihre Spur führen könnte«, wandte er ein. »Deshalb ist es vermutlich reine Zeitverschwendung, sich auf ihr Spiel einzulassen. Das ist nämlich kein harmloser Zeitvertreib, sondern todernst. Du hast es ja selbst gespürt. Und wie du sagtest, bist du nicht selbstmordgefährdet.«


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