3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT. Eberhard Weidner

3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT - Eberhard Weidner


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Erziehung ihres Sohnes war sie allerdings weniger erfolgreich gewesen. Normalerweise erbten Kinder von ihren Eltern sowohl gute als auch schlechte körperliche und charakterliche Merkmale, doch Hannes schien von Vater und Mutter nur die schlechten Dinge mitbekommen zu haben. Denn allzu schnell nach der Einschulung stellte sich heraus, dass er absolut keine Begabungen besaß. Hannes konnte im Grunde gar nichts, weder gut lesen, schreiben oder rechnen, noch zeichnen, malen, werken oder sporteln. Er war praktisch ein Versager auf ganzer Linie und schaffte es nicht einmal, die Schule ordentlich abzuschließen. Ohne Schulabschluss war an eine anschließende Lehre natürlich nicht zu denken. Aber zum Glück besaß er wenigstens ein Mindestmaß an handwerklichem Geschick, sodass Elisabeth ihn als Hausmeister im Gästehaus einsetzen konnte. Ihr graute allerdings vor dem Tag, an dem sie sterben und Hannes zwangsläufig das Gästehaus erben würde. Vermutlich würde er alles, was sie in den letzten 34 Jahren aufgebaut und erreicht hatte, in kürzester Zeit zerstören. Er lag ihr in letzter Zeit ohnehin schon ständig in den Ohren mit der wahnwitzigen Bitte, ihm die Leitung des Gästehauses schon jetzt, zu ihren Lebzeiten, zu übertragen und sich zur Ruhe zu setzen. Als wenn sie dann tatsächlich ihre Ruhe gehabt hätte. Aber das konnte er sich abschminken. Freiwillig würde sie ihm das Gästehaus bestimmt nicht übertragen. Wenn, dann musste er es ihr schon aus ihren kalten, starren Händen reißen.

      Nur über meine Leiche!, dachte Elisabeth grimmig, die trotz der Kopfschmerzen, die sie auch jetzt plagten, nicht vorhatte, allzu bald zu sterben. Auch wenn Hannes sie manchmal so ansah, als würde er den natürlichen Lauf der Dinge nur schwerlich abwarten können und deshalb am liebsten selbst nachhelfen wollen. Doch auch dazu war er ihrer Meinung nach gar nicht fähig. Wenn er sie tatsächlich irgendwann umbringen wollte, dann hatte sie ohnehin nichts zu befürchten, da er sich sogar dabei mit Sicherheit erbärmlich anstellen und versagen würde.

      Obwohl sie in diese unschönen Gedanken vertieft war, achtete Elisabeth dennoch wie immer auf den Verkehr. Andernfalls wäre sie vermutlich auch nicht 67 Jahre alt geworden. Sie blieb am Rand des Gehsteigs stehen und sah in beide Richtungen. Wenn mehr Autos unterwegs gewesen wären, dann hätte sie vermutlich sogar den Zebrastreifen benutzt, doch momentan war ohnehin wenig Verkehr. Beide Fahrbahnen waren frei, und in beiden Richtungen waren keine näher kommenden Fahrzeuge zu sehen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie auf der anderen Seite sein, bevor das nächste Auto kam. Links von ihr stand ungefähr zwanzig Meter entfernt eine schwarze BMW-Limousine mit laufendem Motor am Straßenrand, doch der Fahrer, den sie hinter der spiegelnden Scheibe nicht erkennen konnte, machte keinerlei Anstalten, loszufahren. Vermutlich wartete er auf jemanden.

      Such dir gefälligst einen richtigen Parkplatz und verschmutz hier nicht die Umwelt!, sandte Elisabeth ihm eine gedankliche Botschaft, obwohl sie nicht an solchen Unfug wie Gedankenübertragung glaubte, bevor sie den Blick wieder nach vorn richtete und die Straße betrat.

      Sie hatte erst zwei große Schritte gemacht, als ganz in der Nähe ein Motor laut aufheulte und Reifen protestierend quietschten, sodass sie erschrocken zusammenzuckte. Das Motorengeräusch wurde daraufhin erschreckend schnell lauter. Elisabeth blieb stehen und wandte den Kopf in die Richtung des Lärms, ohne allerdings gleich zu begreifen, dass die Lärmquelle eine Gefährdung für sie darstellen könnte.

      Als sie den schwarzen BMW erneut erblickte, war er nicht mehr zwanzig, sondern nur noch fünf Meter von ihr entfernt. Außerdem stand er nicht mehr am Straßenrand, sondern bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu. Und die Motorhaube war genau auf sie gerichtet. Auch ohne die exakte Geschwindigkeit des Wagens zu kennen, wusste Elisabeth, dass der Wagen und sie in Kürze unweigerlich miteinander kollidieren würden. Es war gewissermaßen unaufhaltsam, und weder sie noch der Fahrer konnten noch etwas tun, um es zu verhindern.

      Die zweite Erkenntnis, die ihr in diesem Augenblick kam, der sich in ihrer Wahrnehmung scheinbar zu Minutenlänge dehnte, war sogar noch erschreckender. Denn ihr wurde jäh bewusst, dass ihr alter, dürrer Körper und ihre spröden Knochen der Masse, der Robustheit und der Wucht des BMW nichts entgegenzusetzen hatten. Beinahe glaubte sie schon jetzt, die Schmerzen spüren zu können, die sie unweigerlich haben würde, wenn ihre Knochen unter dem heftigen Aufprall zerbrachen und ihr Körper aufgerissen wurde.

      Es war der letzte bewusste Gedanke, den Elisabeth Moritz in ihrem Leben hatte, das nach beinahe 68 Jahren auf dieser Straße enden würde, denn nicht einmal 0,6 Sekunden später riss ihr die Front des Fahrzeugs die Beine unter dem Körper weg, deren Knochen wie morsche Äste an mehreren Stellen brachen. Doch entgegen ihrer Vorstellung spürte sie keine Schmerzen, als sie auf die Motorhaube krachte und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe knallte, was unweigerlich weitere Knochenbrüche zur Folge hatte, unter anderem einen mehrfachen, schweren Schädelbruch.

      Für den Bruchteil einer Sekunde lag sie völlig reglos auf der Motorhaube des fahrenden Wagens, ihre linke Wange gegen die Windschutzscheibe gepresst. Aus dieser Nähe hätte sie vermutlich sogar einen Blick durch die Scheibe auf den Fahrer werfen können. Doch in ihrer misslichen Lage kam sie nicht einmal auf den Gedanken, so etwas zu tun. Außerdem war der Augenblick zu kurz, denn schon wurde sie von den erbarmungslosen Kräften, die auf ihren wehr- und hilflosen Körper einwirkten, wie eine Gliederpuppe über das Wagendach geschleudert. Sie landete mehrere Meter hinter dem Wagen auf der Straße, die sie hatte überqueren wollen, während der BMW nicht etwa anhielt, sondern im Gegenteil rasant beschleunigt wurde und davonfuhr. Doch davon bekam Elisabeth Moritz schon nichts mehr mit. Ebenso wenig von der Tatsache, dass der mörderische Aufprall auf dem Asphalt nahezu sämtliche anderen bis dahin unversehrt gebliebenen Knochen in ihrem toten Körper zerschmetterte.

      »Beeil dich! Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.«

      Lisa Bernert hatte die Worte noch immer im Ohr, obwohl es nun schon beinahe zehn Minuten her war, dass Norbert sie am Telefon zu ihr gesagt hatte.

      Und sie hatte sich in der Tat beeilt. So schnell hatte sie nach dem Ende des Telefonats ihre Schuhe noch nie angezogen. Danach war sie in Rekordzeit die Stufen des Mietshauses, in dessen drittem Stock ihre kleine Wohnung lag, nach unten geeilt, wo ihr roter Daihatsu Cuore stand, hinter dessen Steuer sie nun saß und hoch konzentriert auf die schmale Landstraße starrte, die sich vor ihr zwischen abgeernteten Feldern wand und zeitweise durch kleine Waldstücke schlängelte.

      Nach dem Losfahren hatte sie kurz überlegt, die längere Strecke zu nehmen, die über die wesentlich breitere und geradere Bundesstraße führte und die sie entschieden lieber fuhr als die enge, kurvige Landstraße über die Dörfer. Doch dann hatte sie sich dagegen entschieden, denn sonst hätte sie mindestens doppelt so lange gebraucht, um zu Norberts Haus zu kommen. Und das nicht nur, weil Norbert ihr am Telefon gesagt hatte, dass sie unbedingt die kürzere Strecke nehmen sollte. Nein, sie selbst wollte so wenig Zeit wie möglich verlieren und so schnell wie möglich bei ihm sein.

      Lisa umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Fingerknöchel ganz blutleer waren und aussahen, als wären sie aus Elfenbein geschnitzt. Sie wagte es auch kaum, ihren Blick von der Straße vor ihr zu nehmen, und schaute nur gelegentlich in den Rückspiegel, um zu sehen, ob jemand hinter ihr fuhr. Denn das mochte sie überhaupt nicht. Dass ein anderer Autofahrer ihr auf dieser Strecke im Nacken saß, weil er ohne ihren Kleinwagen vor sich viel schneller fahren konnte, aufgrund der teilweise sehr engen Straße und der vielen unübersichtlichen Kurven aber nicht in der Lage war, sie zu überholen. Sie fühlte sich dann immer dazu gedrängt, schneller zu fahren, als ihr lieb war, weil sie niemanden aufhalten wollte und den Unmut der anderen über ihre vorsichtige und langsame Fahrweise beinahe körperlich spüren konnte. Es kam ihr dann vor, als würde der andere Fahrer sie vor sich herjagen. Und wenn sie dann schneller und schneller fuhr, begann sie sich immer unsicherer zu fühlen, sodass ihr der Schweiß ausbrach und ihr Herz rasend schnell schlug, weil sie Angst hatte, einen Fehler zu machen.

      Hätte ich nur die andere Strecke genommen!, dachte sie und riskierte einen kurzen Blick in den Innenspiegel. Doch hinter ihr war zum Glück kein anderes Auto zu sehen. Wenigstens etwas!

      Es würde schon nichts passieren. Sie war die Strecke erst einmal gefahren und hatte danach immer den längeren Weg über die Bundesstraße genommen, doch damals war auch alles gut gegangen.

      Da es ein Stück geradeaus ging, wagte es Lisa, die rechte Hand vom Lenkrad zu nehmen und sich eine vorwitzige


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