3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT. Eberhard Weidner

3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT - Eberhard Weidner


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die Kurve auch schon. Michi durchfuhr sie vorsichtig und starrte angestrengt ins Dunkel, das vor ihm lag.

      Michael Bergmoser, der von allen nur Michi genannt wurde, war fünfzehn Jahre alt und ging in die 10. Klasse des Gymnasiums. Er war für sein Alter recht groß – bei der letzten Messung eins vierundachtzig – und schlank. Er hatte kurzes hellbraunes Haar, braune Augen und bis auf ein paar Härchen auf der Oberlippe noch keinen nennenswerten Bartwuchs. Michi lebte mit seiner Mutter im – wie er es nannte – allerletzten Kuhkaff. Deshalb war er froh gewesen, als er endlich den Mofa-Führerschein machen und sich von seinen Ersparnissen den gebrauchten Motorroller kaufen konnte, denn damit wurde er endlich unabhängig von der Gnade seiner Mutter, die ihn zu seinem Leidwesen nicht immer dorthin gebracht hatte, wo er hingewollt hatte. Aber die Zeiten, in denen er sie anbetteln oder Hausarbeiten gegen Chauffeurdienste verrichten musste, waren zum Glück vorbei.

      Allerdings würde sie heute Abend wieder einmal besonders angepisst sein, weil er erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam und sein Handy ausgeschaltet hatte. Michi zuckte mit den Schultern. Seit sein Vater sie verlassen hatte und mit einer wesentlich jüngeren Frau zusammengezogen war, kannte seine Mutter ohnehin nur drei Gemütszustände: ärgerlich, wütend und fuchsteufelswild. Er tippte darauf, dass heute wieder einmal fuchsteufelswild an der Reihe war. Also würde er ihre Schimpftirade schweigend über sich ergehen lassen, schließlich sah er ausnahmsweise sogar ein, dass er sie verdient hatte, und sich reumütig zeigen, bis sie sich allmählich wieder beruhigte und nur noch ärgerlich war. Am Ende würde sie ihn fragen: »Hast du deine Hausaufgaben überhaupt schon gemacht?« Und er würde lügen und sagen, dass er es getan habe. Und dann wäre er entlassen und könnte in sein Zimmer gehen, während Mutter sich wieder auf die Couch im Wohnzimmer zurückzog, irgendeinen Scheiß im Fernsehen ansah und eine Flasche Wein, Hugo oder was auch immer leerte. Immer das Gleiche!

      Michi fuhr behutsam um die nächste Kurve, um im Kies nicht auszurutschen, und atmete erleichtert auf, als er endlich das Ende des Waldstücks vor sich sah. Wenn er den Wald erst hinter sich hatte, konnte er auch wieder schneller fahren. In spätestens fünfzehn Minuten wäre er dann zu Hause. Er gab schon jetzt wieder etwas mehr Gas, da er sehen konnte, dass es zwischen ihm und dem Waldrand keine Hindernisse gab, weder umgekippte Baumstämme noch lebende nachtaktive Tiere. Dann hatte er es endlich geschafft und fuhr aus dem Wald. Der Weg machte einen scharfen Rechtsknick und führte zunächst ein kleines Stück am Waldrand entlang. Dann ging es nach links, und an dem einsamen Ahornbaum, der an einer Gabelung stand, musste er nach rechts abbiegen.

      Er fuhr durch die Biegung und gab anschließend Gas.

      Da sah er das Feuer.

      Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde der ganze Ahornbaum in Flammen stehen. Hören konnte Michi jedoch nichts, da der Helm, den er trug, die Geräusche seiner Umgebung dämpfte. Er fuhr unwillkürlich schneller, während sein Blick weiterhin auf den Flammen ruhte, die am Fuß des großen Baumes loderten. Zuerst vermutete er, betrunkene Jugendliche hätten sich einen Scherz erlaubt oder ein Lagerfeuer gemacht, das dann außer Kontrolle geraten war. Doch er sah niemanden in der Nähe des Feuers. Er ließ seinen Blick umherschweifen auf der Suche nach denjenigen, die für das Feuer verantwortlich sein mussten. Dabei sah er ein Auto, das ohne Licht fuhr und schon im nächsten Augenblick in der Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises, den die lodernden Flammen schufen, verschwand, als hätte es nie existiert.

      Michi folgte dem Kiesweg, der sich vom Wald entfernte und direkt auf den Ahornbaum zuführte. Er konnte jetzt besser sehen, was sich unter den ausladenden Ästen des Baumes befand, und erkannte ein Auto. Es war gegen den Stamm geprallt und stand lichterloh in Flammen.

      Was ist denn hier passiert?, fragte er sich und versuchte, sich ein Szenario vorzustellen, bei dem zwei Autos und ein Ahornbaum eine Rolle spielten und eines der Autos gegen den Baum prallte und in Flammen aufging. Es gelang ihm allerdings nicht. Diese Gegend war viel zu abgeschieden. Er hatte hier draußen noch nie auch nur ein einziges Auto gesehen, sondern immer nur Traktoren, Mähdrescher und Fahrräder. Außerdem war der Feldweg viel zu schlecht für Autos und zu schmal, um darauf Rennen zu fahren.

      Michi stoppte den Motorroller in ausreichendem Abstand zum brennenden Fahrzeug. Er hatte im Fernsehen genug explodierende Autos gesehen, um seinen kostbaren Roller besser keinem Risiko auszusetzen. Ohne den Blick von den Flammen zu nehmen, schaltete er den Motor aus und bockte den Roller auf. Dann ging er langsam auf das Feuer zu, behielt dabei aber sicherheitshalber den Helm auf.

      Das Innere des Fahrzeugs, das er hinter den Scheiben sehen konnte, war bereits ein einziges Flammenmeer. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis das Glas aufgrund der Hitze zersprang. Aber auch über die Motorhaube, das Dach und den Kofferraum leckten schon gierige Feuerzungen, sodass der schwarze Lack Blasen warf. Manche Flammen züngelten sogar schon an der Rinde des Baumstamms empor.

      Michi erkannte, dass es sich bei dem Auto um einen BMW handelte. Da er sich von der Beifahrerseite her näherte, umrundete er das Fahrzeug, hielt jedoch einen ausreichenden Sicherheitsabstand. Nicht nur die Angst, der Wagen könnte explodieren, hielt ihn auf Abstand, sondern auch die Hitze, die sogar mehrere Meter vom Brandherd entfernt enorm war. Obwohl er nur Jeans und einen dünnen Pulli trug, brach ihm der Schweiß aus.

      Als er auf der Fahrerseite angekommen war, sah er, dass die vordere Seitenscheibe offen war. Die Flammen schlugen nach draußen und leckten am Rahmen. Mittlerweile konnte er trotz des Helms auch das Prasseln und Tosen des Feuers hören.

      Er überlegte, was er tun sollte. Natürlich musste er umgehend die Feuerwehr rufen. Aber was, wenn sich jemand im Inneren befand? Musste er das den Rettungskräften nicht mitteilen?

      Da ist keiner mehr drin!, sagte sich Michi. Er wusste jedoch nicht, woher er die Überzeugung dafür nahm. Vermutlich war es nur die Hoffnung, dass keiner mehr im Wagen gewesen war, als dieses Feuer angefangen hatte, denn den Hochofen, in den sich das Fahrzeuginnere mittlerweile verwandelt hatte, konnte niemand überlebt haben.

      Er dachte an das Fahrzeug, das sich entfernt hatte, ohne das Licht anzuschalten. Wer immer das gewesen war, hatte anscheinend etwas zu verbergen. Michi stellte sich Bankräuber vor, die ihren Fluchtwagen angezündet hatten, um alle Spuren, die sie möglicherweise hinterlassen hatten, zu vernichten. Aber wieso waren sie mit dem BMW dann auch noch gegen den Ahornbaum gerast? Das ergab doch keinen Sinn!

      Michi wollte sich schon abwenden, um sein Handy herauszuholen und die Feuerwehr zu rufen, als er eine Bewegung im Fahrzeuginneren sah. Er glaubte, sein Herz würde aufhören zu schlagen und sich dann nie mehr in Gang setzen lassen.

      Das kann nicht sein!

      Dennoch sah er es ganz deutlich. Ein dunkler Umriss neigte sich in Richtung des offenen Fensters. Michi erschauderte. Als seine Fantasie ihm eine Vorschau dessen lieferte, was gleich geschehen würde, sah er darin eine verkohlte Leiche, die die Fahrertür öffnete, aus dem Wagen stieg und steifbeinig auf ihn zu stakste, während die Flammen sie noch immer wie ein lebender Umhang umhüllten. Im Nachhinein hätte er sich nicht einmal gewundert, wenn er sich in diesem entsetzlichen Moment in die Hose gemacht hätte. Aber zum Glück blieb ihm diese Schmach erspart.

      Die Bewegung, sofern es eine solche überhaupt gegeben hatte, kam zum Stillstand. Dann fuhr ein leichter Windstoß durch das offene Fenster ins Feuer, sodass sich für einen Augenblick eine Lücke im dichten Flammenvorhang auftat, durch die Michi einen Blick auf die geschwärzte, unmenschlich wirkende Gestalt auf dem Fahrersitz werfen konnte.

      Hinterher konnte er sich an keine Einzelheiten mehr erinnern, wofür er dankbar war. Er wusste nur noch, dass ihm in diesem Moment klar wurde, dass die Person im Inneren des Wagens mausetot sein musste und gar nicht mehr in der Lage sein konnte, sich zu bewegen. Vermutlich waren nur ihre Muskeln und Sehnen unter dem Einfluss der mörderischen Hitze geschrumpft, sodass sich der verkohlte Schädel in Richtung Fenster geneigt hatte. Und obwohl Michi das erkannte, hatte er dennoch das Gefühl, der Leichnam hätte ihm grüßend zugenickt.

      Als sich der lodernde Vorhang wieder schloss und ihm die Sicht verwehrte, wurde Michi sich endlich wieder bewusst, dass er einen Körper hatte und sich bewegen konnte. Außerdem wurde ihm so übel wie noch nie in seinem fünfzehnjährigen Leben. Er wirbelte herum, lief ein paar Schritte,


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