3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT. Eberhard Weidner

3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT - Eberhard Weidner


Скачать книгу
und schlank. Sie hatte leuchtend hellgrüne Augen und ein hübsches herzförmiges Koboldgesicht mit hohen Wangenknochen und einem vorwitzig spitzen Kinn. Die Brille mit der schwarzbraunen Kunststofffassung und den schmalen, ovalen Gläsern trug sie nur zum Autofahren und zum Fernsehen. Sie war ein fröhlicher Mensch, der gern und viel lachte, doch im Augenblick blickte sie in tödlichem Ernst und mit gerunzelter Stirn hochkonzentriert auf die Straße, die vor ihr lag.

      Lisa studierte Design an der Fachhochschule München, hatte heute aber vorlesungsfrei. Norberts Anruf war für sie überraschend gekommen, denn sie hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass er sich noch einmal bei ihr melden würde. Sie hatten sich vor einem Dreivierteljahr kennengelernt, als sie mehrere Grafikdesigner in der Umgebung abgeklappert hatte, um einen Praktikumsplatz zu bekommen. Norbert hatte ihr nicht helfen können, da er allein in einem Büro in seinem Wohnhaus arbeitete und keine Zeit hatte, sich auch noch um eine Praktikantin zu kümmern. Außerdem würde, so sagte er damals, seine Frau Karin bestimmt eifersüchtig werden, wenn er eine so hübsche Praktikantin beschäftigte. Lisa hatte dann zum Glück woanders einen Praktikumsplatz bekommen, doch Norbert war ihr danach nicht mehr aus dem Kopf gegangen, sodass sie sich irgendwann eingestehen musste, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Dumm nur, dass er verheiratet und Vater zweier Kinder war. Also hatte sie sich bemüht, ihn wieder zu vergessen. Doch wie der Zufall es wollte, traf sie ihn wenige Tage später beim Einkaufen im Supermarkt. Sie unterhielten sich in der Kühlabteilung zwischen Fertigpizzen und gefrorenen Hähnchenschenkeln sehr angeregt und vergaßen dabei die Zeit, sodass Lisa am nächsten Tag einen leichten Schnupfen hatte. Allerdings hatte diese Begegnung nicht nur unangenehme Folgen, denn sie verabredeten sich am darauffolgenden Nachmittag in einem Café. Dort gestand Norbert ihr, dass er sich in sie verliebt habe. Vom Café ging es daher direkt in ihre Wohnung, wo sie sich, kaum dass die Tür hinter ihnen zugefallen war, sofort gegenseitig die Kleider vom Leib rissen und es gerade noch ins Bett schafften, wo sie sich so leidenschaftlich liebten, wie Lisa es vorher noch nie erlebt hatte. Seitdem trafen sie sich mehr oder weniger regelmäßig und hatten eine Beziehung, die man vermutlich als Verhältnis, Affäre oder Liebschaft bezeichnen musste. Lisa drängte Norbert nie dazu, seine Frau und seine Kinder zu verlassen. Sie ahnte, dass sie dadurch auch das Gegenteil erreichen und ihn verlieren konnte, und das wollte sie nicht, weil sie ihn über alles liebte. Sie hoffte allerdings, dass er mit der Zeit von allein die richtige Wahl treffen und sich für sie entscheiden würde. Doch das geschah nicht. Es sah beinahe so aus, als hätte Norbert sich mit der Situation arrangiert und wäre mit ihr zufrieden. Im Gegensatz zu Lisa, die ihn nur ungern mit einer anderen Frau teilte, aber nicht wusste, wie sie das ändern sollte, ohne ihn zu vergraulen. Norbert hingegen schien es zu genießen, sowohl die Annehmlichkeiten einer Ehe und des Familienlebens als auch die einer heimlichen Geliebten zu haben, obwohl er ihr stets aufs Neue versicherte, dass er nur sie lieben würde, aber seine Frau momentan wegen der Kinder nicht verlassen könne. Doch dann, vor drei Wochen, veränderte sich die Situation schlagartig, als Lisa erfuhr, dass sie schwanger war.

      Sie schreckte hoch und stellte fest, dass sie eine ganze Weile in Gedanken versunken gewesen und völlig unbewusst gefahren war. Es war nichts passiert, dennoch hatte es ihr einen Schrecken eingejagt, und ihr Herz klopfte rasend schnell. Sie verringerte die ohnehin nicht sehr hohe Geschwindigkeit noch mehr, als eine weitere enge Kehre kam, und lenkte den Daihatsu mit beiden schweißfeuchten Händen am Lenkrad hinein. Sie atmete auf, als sie den Scheitelpunkt passierte, ohne dass ihr ein anderes Fahrzeug entgegengekommen wäre – ein weiterer Albtraum auf dieser Strecke –, und es wieder ein Stück geradeaus ging.

      Sie nahm eine Hand vom Steuer und wischte sich mit dem Ärmel ihres hellgrauen Kapuzenpullis den Schweiß von der Stirn. Außer dem Pulli trug sie hellblaue Jeans und weiße Turnschuhe. Bequeme, zweckmäßige Kleidung, die sie nicht nur in ihrer Freizeit, sondern ständig trug. Sie hielt nichts davon, sich aufzustylen und herauszuputzen, um möglicherweise wie jemand auszusehen, der sie gar nicht sein wollte. Deshalb schminkte sie sich auch nur dezent und trug allenfalls ein bisschen Lippenstift und Eyeliner auf.

      Der Gedanke an ein Kind hatte in Lisas Überlegungen bis vor Kurzem kaum eine Rolle gespielt. Natürlich wollte sie irgendwann Kinder, aber auf keinen Fall jetzt, bevor sie ihr Studium abgeschlossen und im Berufsleben Fuß gefasst hatte. Der Schock war deshalb groß, als ihre Frauenärztin ihr mitteilte, sie sei in der 6. Woche schwanger. Sie hatte zwar schon davor Anzeichen festgestellt, die auf eine Schwangerschaft hindeuteten – ihre Regelblutung war ausgeblieben, ihre Brüste spannten unangenehm, sie spürte ein Ziehen im Unterleib, war oft müde und hatte unerklärliche Stimmungsschwankungen –, doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Bis ihr Dr. Beckmann breit lächelnd verkündete: »Herzlichen Glückwunsch, Frau Bernert, Sie sind schwanger.«

      Schwanger!

      Das Wort hallte danach noch stundenlang wie das Läuten einer Totenglocke in ihrem Verstand wider.

      Schwanger!

      Was sollte sie jetzt tun? Abtreiben kam für sie nicht infrage. Es war schließlich ihr Kind, ihr Fleisch und Blut. Und natürlich das Kind des Mannes, den sie liebte. Doch wie sollte es jetzt weitergehen? Auf dem Weg von der Praxis nach Hause wurde ihr allmählich klar, dass sich damit die Grundlage ihrer Beziehung zu Norbert entscheidend verändert hatte. So wie bisher konnte es nicht mehr weitergehen. Norbert musste Verantwortung für das Kind übernehmen. Und nicht nur das. Er musste sich endlich entscheiden, für oder gegen Lisa und das Kind. Denn jetzt konnte er die beiden Kinder mit seiner Ehefrau nicht länger als Ausrede benutzen, warum er Karin nicht verlassen konnte, weil es ein weiteres Kind gab, auch wenn es noch gar nicht auf der Welt war.

      Nachdem Lisa nach dem Arztbesuch in ihre Wohnung zurückgekehrt war, wobei sie sich kaum an den Nachhauseweg erinnern konnte, weil sie ihn wie eine Schlafwandlerin zurückgelegt hatte, rief sie ihn sofort an. Sie wusste, dass er um diese Zeit allein zu Hause war und keine Gefahr bestand, dass seine Frau oder die Kinder ans Telefon gehen könnten.

      »Hallo, ich bin’s«, meldete sie sich, ohne ihren Namen zu nennen. Schließlich konnte Karin oder eines der Kinder krank geworden und deshalb zu Hause sein und möglicherweise mithören. Daher hatte Norbert verlangt, dass sie sich nie namentlich meldete, wenn sie bei ihm zu Hause anrief. »Bist du allein?«

      »Ja. Was ist los, Spatzi? Wieso rufst du an? Wir sehen uns doch ohnehin morgen Vormittag.«

      »Vielleicht.«

      »Was heißt hier vielleicht? Wir haben das doch schon ausgemacht. Außerdem muss ich dich unbedingt sehen, Spatzi. Ich kann an nichts anderes denken als an deinen wunderschönen nackten Körper. Das macht mich noch ganz wahnsinnig. Schon allein deshalb müssen wir uns morgen treffen!«

      »Mal sehen.«

      »Was ist los mit dir? Bist du betrunken?«

      »Schön wär’s. Aber es ist …« Sie seufzte. »… etwas anderes.«

      »Wovon redest du, Lisa? Allmählich machst du mir Angst. Steckt etwa ein anderer Mann dahinter? Hast du jemanden kennengelernt? Tu mir das bitte nicht an, Lisa!«

      »Nein, das ist es auch nicht.«

      »Was dann? Jetzt rede endlich!«

      »Ich … ich bin schwanger.«

      Für eine Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, herrschte Stille. Keiner von ihnen sagte etwas. Es schien sogar, als hielten beide die Luft an. Lisa kam die Stille unheilvoll vor. Ein düsteres Vorzeichen dessen möglicherweise, was noch folgen würde. Und irgendwie hatte sie schon jetzt das Gefühl, dass es nichts Angenehmes sein würde.

      »Schwanger? Aber wie konnte das denn passieren, Herrgott noch mal? Du nimmst doch die beschissene Pille.«

      Lisa atmete einmal ganz tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. »So was kann trotzdem passieren, Norbert. Freust du dich denn gar nicht?«

      »Freuen?« Norbert lachte. Doch es war kein fröhliches Lachen, wie sie es von ihm gewohnt war, sondern eins, aus dem Verzweiflung herauszuhören war. »Wieso sollte mich das freuen, Lisa? Ich hab schon zwei Kinder. Ich kann ums Verrecken nicht noch eins gebrauchen!«

      »Aber das ist unser Kind, Norbert! Deins und meins!«

      Er


Скачать книгу