Blonde Schokolade Vol.1. Glen Cassiel

Blonde Schokolade Vol.1 - Glen Cassiel


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weitere Formen zum Vorschein kommen. Mein Blick geht zur Decke und ich bedanke mich beim lieben Gott, dass er so einen guten Geschmack hat. Ich stelle fest, dass der Blick nach oben doch für Aufmerksamkeit sorgt, da sich einige Personen, die an mir vorbeilaufen, umdrehen und auch nach oben schauen, als ob dort etwas hängen würde. Ich fange mich wieder und blicke auf das perfekte Abbild einer Frau. Wir stehen einige Meter von ihr entfernt. Mein „Zwilling“ besorgt gerade die nächsten Getränke an der Bar. Mit dem Rücken zu mir gedreht, sieht er nicht, wie ich sie mustere. Dann kommen meine Ellenbogen in Spiel, man könnte fast meinen, dass mein Kumpel am nächsten Tag den Arm voller blauer Flecken haben wird, weil ich ihn ständig anstupse, nur um ihm zu signalisieren: Da ist jemand, den man mit Worten nicht beschreiben kann. Mein Kopf wird von einem Gedanken-Tsunami überschwemmt und immer verrücktere „Bagger-Sprüche“ durchlaufen das Gehirn, aber nichts scheint passend für diese Frau. Was soll ich tun?

      Wir ziehen Richtung Tanzfläche, um die Blicke auf uns zu ziehen. Da die Tanzebene noch relativ leer ist und alle drumherum stehen und warten, bis die Ersten den Tanz eröffnen, entschließen wir uns, genau das zu tun. Eigentlich habe ich dabei keine Scheu und etwas Rhythmusgefühl habe ich auch, aber an diesem Abend machen meine Beine, was sie wollen, sie tanzen in Richtung der Blonden, mein Inneres sträubt sich dagegen, aber ich bin machtlos. Dazu kommt noch die Lieblingsmusik ins Spiel, bei der ich auf keinen Fall aufhören kann zu tanzen. Wir hören am liebsten R’n’B. Der Abstand zwischen der Blonden und mir wird immer kleiner, meine Augen starren sie an und vergeblich hoffen sie, auch von ihren Augen gesehen zu werden. Sie scheint aber ganz aufs Feiern konzentriert zu sein, kein Blick, der zur Männerfront geht. Sie hört einfach der Musik zu, lässt den Kopf unten und schaukelt nach links und rechts. Sieht eigentlich ein wenig komisch aus, aber egal. Sie bleibt weiter sitzen und wippt mit dem Fuß. Enttäuschung kommt in mir auf, ich rede mir ein, dass sie zu hübsch für jemanden wie mich ist. Oder steht sie vielleicht auf Frauen?! Hätte ich nicht so gute Freunde, die mich anspornen, die Blonde weiter anzubaggern. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, gehe mit schnellen Schritten auf sie zu. Mit jedem Schritt, mit dem ich ihr näherkomme, wächst auf einmal meine Schüchternheit so an, dass ich ungefähr einen Meter vorm Ziel stehen bleibe, mich zur Seite drehe – und an ihr vorbeigehe. Als ob ich eine Grenze passieren würde. Schön peinlich, meinen Kumpel im Nacken, der alles mit angesehen hat und sich sichtlich über mich amüsiert. Was für eine Blamage, sonst so cool und nun ein kleiner Feigling. Das hätte auch eine Szene aus einer schlechten Komödie sein können.

      Der Weg endet wieder an der Theke und weiterer Nachschub wird besorgt. Die Verzehrkarte wird dabei munter durch die Barkeeper gelocht. Wie viel zu zahlen ist, weiß ich gar nicht. Ist aber auch irrelevant, der Abend ist noch jung. Mut muss ich mir antrinken, so mein Gedanke. Ein Glas auf ex und die anderen bringe ich meinem Kumpel mit. Also, was tun?

      Es wird wieder das Tanzbein geschwungen. Die Fläche um mich herum wird deutlich kleiner, immer mehr bewegen ihre Körper zu Puff Daddy und Co. Na ja, manche versuchen es zumindest. Das Lachen können wir uns nicht immer verkneifen, besonders komisch ist es, wenn Frauen ihre Arme und Beine nicht ganz unter Kontrolle halten können. Aber na ja, was soll man machen? Manche Männer sind auch nicht besser. Ich versuche, meine Aufmerksamkeit wieder der Blonden zu widmen, aber sie ist weg. Ich suche vergebens den Raum nach ihr ab. Laufe hin und her, aber keine Spur von ihr. Niedergeschlagen gehe ich wieder zur Bar, bestelle bei einer nett aussehenden Brünetten weitere Drinks, mein Blick geht etwas nach links, da sehe ich in der Mitte der Bar einen kleinen Durchgang. Helles Licht scheint heraus. Sieht aus wie ein Getränkelager. Mit einem Blick entdecke ich die blonde Mähne, gebunden zu einem Zopf. Sie wirkt hektisch und verärgert, ich wende mich zu der Tür. Ich erkenne zwar, dass sie mit irgendjemandem diskutiert, kann aufgrund der Geräuschkulisse jedoch nichts hören. Aus meiner Position kann ich nur sie sehen. Kurz darauf stürmt sie heraus und geht hinter der Theke entlang zum Durchgang. Ein Typ kommt hinter ihr her. So ein Kanisterkopf mit breiten Schultern, ca. 1,90 m groß und mit ordentlich Wut im Gesicht. Die Haare wie bei einem Schaf auf zwei Millimeter geschoren, das Shirt zu eng, es ist deutlich zu erkennen, dass er nur auf Masse trainiert. Er packt sie am Arm, reißt sie zu sich herum und schreit sie an. Ihr ist anzumerken, wie unangenehm ihr diese Situation ist. Doch niemand unternimmt etwas. Selbst ich beobachte das Ganze nur aus der Ferne. Dieses Schauspiel geht eine kurze Zeit so weiter, bis sie sich schließlich aus seinem Griff befreit und entnervt weiterzieht. Meister Propper geht in die entgegengesetzte Richtung und so trennen sich ihre Wege. Sieht so aus, als ob das ihr Freund wäre, denke ich mir. Nun ja, dann weiß ich Bescheid. Es wird nicht leicht, sie kennenzulernen. Ich erkenne das Problem, habe aber noch keine Lösung parat. Ich will den Abend aber auch nicht so enden lassen.

      Im Verlauf des Abends kommen noch andere Freunde vorbei und ich beschließe, mich mit ihnen in die Menge zu werfen, getreu dem Motto „Schwitzen mit Freunden und Fremden“. Irgendwann bin ich genauso voll wie meine Verzehrkarte – oder umgekehrt. Gefühlt hat der Abend in diesem dunklen Raum zwei Stunden gedauert, doch als ich nach Hause komme, ist es 5:30 Uhr am Morgen.

      Im Bett fing das Karussell an sich zu drehen. Wer hat noch nicht, wer will noch mal, sagte meine innere Ansagerstimme. Der Schädel pochte und es gelang mir nicht einzuschlafen. Mal hatte ich Gedanken ans Kotzen, mal an die Blonde. Doch zu guter Letzt schlief ich doch über der Kloschüssel ein. Ließ mir mehrmals alles durch den Kopf gehen und dehnte so meinen Ausnüchterungsschlaf bis 16:00 Uhr aus, mein Vater war so freundlich und hievte mich irgendwann morgens vom Klo in mein Bett. Der Tag war gelaufen.

      Erst nach 17:00 Uhr war ich wieder halbwegs unter den Lebenden und rief Emilio an. Ihm ging es nicht besser, was mich zum Lachen brachte. Wir schafften es, uns gegen 20:00 Uhr zu treffen und fuhren auf einen Burger. Wir saßen eine Weile im Laden, ließen den vergangenen Abend Revue passieren. Nun ja, viel wussten wir nicht mehr, aber das Wichtigste war die Blonde, die hatte ich nicht vergessen. Alles andere war Nebensache. Wir diskutierten – Fragen über Fragen, jedoch keine Antworten. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf den nächsten Samstag zu warten und zu hoffen, sie wiederzusehen. Der Montag war zum Greifen nah und die Woche startete schon kurz darauf wieder durch.

      Die fünf Tage vergingen sehr zäh, wartend, dass der Samstagabend anbricht, mit der Hoffnung, sie wiederzusehen. Die Sehnsucht wurde so groß, dass ich schon ein paar Tage vorher darüber nachgrübelte, wie sie wohl heißen mochte. Anna, Eva, Klaudia? Doch kein Name schien mir passend. Deshalb blieb sie die erste Zeit „die Blonde“ für mich. War jetzt nicht der Knaller, mir fiel aber nichts anderes ein.

      Endlich war der Samstag da. Nach dem Einlass in die Disco machten wir uns gleich an die Haupttheke, um etwas zu bestellen. Siehe da: Es stellte sich heraus, dass sie in der Disco als Barfrau arbeitete! Also versuchte ich, nur noch bei ihr zu bestellen, klappte nicht immer, aber ich versuchte jedes Mal, dabei mit ihr ins Gespräch zu kommen, doch bei meinem Glück kam es höchsten zur Bestellung der Getränke. Nun ja, die Erfolgsquote war nicht sonderlich hoch.

      Es vergingen zwei lange, sehr lange, wirklich unendlich lange, sagenhafte zwei Jahre, die ich so verbrachte, stets in der Hoffnung, sie irgendwie kennenzulernen. Aber es geschah: nichts. Und so machte ich mir ernsthaft Gedanken, nach etlichen abgespulten Kopffilmen verließ mich der Glaube und die Hoffnung, mich ihr zu nähern, herauszufinden, wer und was sie war. An dieses Gefühl musste ich mich erst gewöhnen, musste auch die Gewohnheit ablegen, ständig dort hinzugehen. Mein Kumpel und ich hatten nach so langer Zeit auch langsam die Schnauze voll von all den Gesichtern, die wir jedes Wochenende dort sahen – schon paradox, dass man keinen davon wirklich kannte. Wir verbrachten so viel Zeit mit diesen Fremden, dass wir sogar erkannten, wer schon wieder die gleichen Klamotten anhatte. Eigentlich bekloppt, oder?!

      Also erkundeten wir neue dunkle Räume mit lauter Musik. War auch zwischenzeitig sehr witzig und cool, Neues zu sehen. Hin und wieder fiel der Name Pilsudski, jedoch ging es dabei nicht um den Staatsmann, sondern um die Disco, in der die Blonde arbeitete. Ab und an dachten wir daran, mal wieder dort hinzugehen, hielten uns aber doch eine Weile zurück, diesen Schritt zu tun. So bereisten wir im Umkreis von 200 km alle Disco-Sehenswürdigkeiten, ich glaube, wir haben keine ausgelassen. Doch es kam, wie es kommen musste, und wir landeten wieder da, wo das Spiel begonnen hatte.

      Natürlich geht der erste Blick wieder an die Bar, doch sie ist nicht da. Einerseits bin ich erleichtert, andererseits kommen gewisse Stimmen in mir hoch


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