Blonde Schokolade Vol.1. Glen Cassiel

Blonde Schokolade Vol.1 - Glen Cassiel


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mir. Schlagartig geht es mir gut, gleichzeitig kehrt die Sehnsucht zurück, sie kennenzulernen. Ich mustere sie von Kopf bis Fuß. Blaue, enge Jeans, ein weißes, ärmelloses Top. Die leicht gebräunte Haut glänzt, die Farben der Discokugel spiegeln sich in ihrer Kleidung und dem blonden Haar. Sie scheint glücklich und gelöst zu sein, tanzt ausgelassen mit ihren Freundinnen. Keine Ahnung, wie es geschieht, aber irgendwie tanzt sie direkt neben mir. Ich atme ihren Duft ein. Ich würde ihn am liebsten konservieren und nie wieder verfliegen lassen, wie der bekloppte Typ aus dem Buch Das Parfum . Leicht süßlich, mit einer Kopfnote, die sofort in der Nase hängen bleibt. Unsere Blicke treffen sich ab und an, doch eher unbewusst ihrerseits. Meine hingegen sind schon mehr als gezielt. Ich beobachte ihren Tanzstil, nach einigen Schritten können mein Kumpel und ich ihn nachtanzen. Im Rhythmus eingetaucht, machen wir eine Weile mit. Das kommt gut an, denn sie und ihre Freundin lächeln uns zu. Es läuft Hot In Here von Nelly, unsere Blicke werden immer tiefer und wiederholen sich in immer kürzeren Abständen, sodass wir die Hälfte des Liedes einander zugewandt sind. Ich muss sie ansprechen, komme, was wolle. Diesmal muss ich mich trauen! Aber wiederum: wie??? Ich habe nichts zu verlieren. Die Chance meines Lebens, also trete ich einen Schritt näher … und näher …, bis ich direkt vor ihr tanze.

      Alle möglichen Satzanfänge gehen mir durch den Kopf – und dann das: „Hi, wie heißt du?“ Mir fällt spontan nichts anderes ein. Da die Musik so laut ist, muss ich ganz nah an sie heran, um zu fragen, und sie natürlich auch wieder ganz nah an mich heran, um zu antworten. Sie wirft mir kurz einen zögernden Blick zu und sagt mit einer hohen und zarten Stimme: „Malena.“

      Da ist er nun, der Name. Erlösend speichert er sich sofort im Hippocampus ein, und von da an ist es nicht mehr einfach nur „die Blonde“. Wir kommen ins Gespräch, Fragen meinerseits und ihrerseits werden gestellt und beantwortet. Alles ist zu schön, um wahr zu sein, der Abend kann nicht übertroffen werden. Doch schon kurze Zeit später platzt die Seifenblase, ein großer Kerl in dunkler Tarnjacke wirft seinen Schatten über uns. Dieser Gesichtselfmeter scheint nicht gerade glücklich zu sein, er schaut mich mit grimmigem Gesichtsausdruck an und schiebt sich direkt in mein Sichtfeld. Packt sie am Arm, schleppt sie zur Seite und schubst mich dabei weg. Da er ca. einen halben Meter größer ist als ich, neigt er nur seinen Kopf zu mir, droht mir mit Schlägen und verschwindet mit ihr von der Tanzfläche. Ihr Blick wendet sich von mir weg. Sie dreht sich zum Gang und geht vor ihm her. Schlagartig ist das gute Gefühl weg. Was soll ich machen? Mich mit dem Typen anlegen? Nun ja, er ist einer der Türsteher, und davon gibt es ein paar in diesem Laden. Ich habe sie schon mehrmals in Aktion gesehen. Alle Pros und Kontras gehen mir durch den Kopf, doch bevor ich überhaupt reagieren kann, sind sie schon weg. Perplex stehe ich da, verstehe kurz die Welt nicht mehr und mache mich vor lauter Frust auf den Weg zur Theke. Ehrlich gesagt bin ich immer noch schockiert. Mit dieser Situation habe ich gar nicht gerechnet. Was ist sie, etwa sein persönliches Eigentum?! Wie kann sie das nur zulassen? An dieser Stelle zweifele ich an ihrer Charakterstärke, aber auch an meiner, denn wirklich was unternommen habe ich nicht. Hätte ich mich doch bloß auf die Schlägerei eingelassen.

      Ich stehe eine ganze Weile an der Theke, will unbedingt bei ihr bestellen, doch sie ist mit anderen Kunden beschäftigt. Stur ignoriert sie mich, als ob ich der Schuldige für die eben abgelaufene Szene wäre. In der Zwischenzeit fragen mich einige andere Barkeeper, was ich möchte, ich bedanke mich und behaupte, dass ich schon bestellt habe. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie mich ebenfalls beobachtet. Nach einiger Zeit kommt sie auf mich zu und fragt, was ich haben will. Mir geht nur eine einzige Antwort durch den Kopf: „Dich!“ Doch alles, was ich sage, ist: „Was war das da gerade?“ Sie erwidert, dass sie mit dem Bruder von diesem Türsteher zusammen sei. Ein Schlag auf die Nase ist nichts dagegen. Alter, tut das weh! Frust kommt in mir hoch. Um kein Aufsehen zu erregen, bestelle ich nur noch einen Wodka Red Bull. Sie sieht die Enttäuschung in meinem Gesicht, wendete sich ab, macht mir den Drink, doch bei der Übergabe der Verzehrkarte berührt sie meine Hand mit einem Streicheln. Der Tacker durchbohrt die Karte, sie gibt sie zurück und sagt: „ Sorry!“ Beim Blick auf die Karte bemerke ich, dass sie gar nicht richtig gelocht hat. Das ist dann wohl ein Wiedergutmachungsdrink?! Aber wieder gut wird an diesem Abend gar nichts mehr …

      Ich musste irgendwie all die Fragen, die in mir aufkamen, bewältigen. Wieso hat sie überhaupt mit mir getanzt und mir ihren Namen verraten? Doch eine Antwort fand ich nicht. Eine Zeit lang blieb es zwischen uns bei einem einfachen „Hallo“. Aber ein Virus hatte mich infiziert. Sie ging mir ständig durch alle Hirnwindungen und Nervenzellen. Eine Aussicht auf Heilung gab es nicht. Während des normalen Alltags lief sie mir vor meinem inneren Auge entgegen. Oft erwischte ich mich dabei, wie ich darüber nachdachte, was sie den Tag über machte oder welchen Beruf sie ausübte. Dabei blieb auch der Gedanke nicht aus, dass sie mit diesem Typen zusammen war. Ich redete mir ein, dass sie mit ihm nicht glücklich sein konnte, wenn sie doch mit mir getanzt hat und sich auch so eindeutig für mich interessierte. Das ist zumindest meine Einschätzung. Doch ich war zu schüchtern, um noch mal auf sie zuzugehen, wenn wir uns sahen. Noch nie hatte mir ein Mädel so den Kopf verdreht, ich verstand nicht, was da mit mir passiert ist an jenem Abend. Meine Kumpels sagten, dass ich mich verschossen hätte! Aber wie soll das gehen, wenn man die Person gar nicht kennt? L**** auf den ersten Blick? Nee, daran glaubte ich nicht!

      Einige Wochen später sind wir wieder einmal in dem Club. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, wir feiern ausgelassen und im Bruchteil einer Sekunde steht sie in meiner Nähe. Sie sieht mich an, kommt herüber. Streckt mir ihre Hand entgegen und fragt: „Wie gehts?“ Ich erwidere nur: „Gut, aber wo ist denn dein Bodyguard?“ Der hat seinen freien Tag, erfahre ich, und so kommen wir diesmal ungestört miteinander ins Gespräch. Wir verstehen uns auf Anhieb. Es folgen die üblichen Fragen wie „Was machst du so beruflich? Woher kommst du?“ usw.

      „Physiotherapeutin“, antwortet sie, sie ist noch in der Ausbildung. Da sie leider nicht in Dortmund, ihrer Heimatstadt, angenommen wurde, besucht sie nun die Schule in Minden. Dort wohnt sie auch die Woche über, am Wochenende ist sie zu Hause und arbeitet nebenbei in der Disco. Spaßeshalber meine ich zu ihr, dass ich sie in Minden besuchen komme. Daraufhin gibt sie mir ihre Handynummer und die Adresse der Schule.

      Ich muss meine Wahrnehmung glätten, nüchtern, sachlich die Ereignisse sacken lassen und erst mal verstehen, was gerade passiert. Es ist surreal – aber da ich große Sprüche gemacht habe, muss ich auch Wort halten. Was mir nichts ausmacht, im Gegenteil. Ich freue mich tierisch. Als ich den Zettel mit der Nummer und der Adresse in der Hand halte, kann ich es gar nicht fassen. Es ist, als ob ich einen Test bestanden und als Belohnung ein Zertifikat erhalten hätte! Eine Welle von Glück, Freude und allem, was man so fühlt, wenn einem so etwas passiert, überschwemmt mich. Zu meinem inneren Jubel kommt eine flammende und eiserne Entschlossenheit, sie tatsächlich zu besuchen, sie näher kennenzulernen.

      Einige Tage später saß ich bei Emilio und wir zerbrachen uns den Kopf, was ich machen könnte, damit sie unser erstes Date nicht vergessen würde. Meine Gedanken stolperten übereinander, doch nach einer Weile stand fest, was wir tun.

      Nun ja, zunächst habe ich mich aber die ganze Woche über nicht bei ihr gemeldet. Das war Schritt eins des Plans. Der zweite Schritt folgte am Freitag: Das war der Tag, auf den ich seit zwei Jahren wartete.

      Anstatt zur Uni zu fahren und mir Mathe reinzuziehen, fahre ich morgens um 8:00 Uhr nach Minden. Schließlich liegen ca. 190 km vor mir und ich will nicht zu spät ankommen. Es ist gegen 9:30 Uhr, als ich da bin. Mit leeren Händen will ich sie nicht besuchen, das macht man einfach nicht, also halte ich nach einem Blumengeschäft Ausschau. In der Altstadt finde ich einen kleinen Laden, der Gott sei Dank bereits geöffnet hat. Die freundliche Dame verkauft mir eine rote Rose, die sie in Klarsichtfolie einhüllt. Ich glaube, sie weiß, dass es ein kleines Geschenk sein soll. Anschließend fahre ich zur Schule, stelle den Wagen in einer Parkbucht vor dem Gebäude ab – und warte.

      Ich bin in diesem Moment das Musterbeispiel eines Paradoxexemplars. Auf der einen Seite fühle ich mich lebendig, glücklich, über das ganze Gesicht strahlend, und auf der anderen Seite zerfällt mein Inneres in tausend Stücke, ach, es verflüssigt sich alles in mir. Doch nun nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, steige aus dem Wagen und bewege mich auf den Haupteingang der Schule zu. Dort angekommen, gehe ich einen langen, breiten Flur entlang. Doch ich stehe vor


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