Blonde Schokolade Vol.1. Glen Cassiel
ich nicht bringen! Da mache ich mich doch zum Volldepp!
Die Pause muss gerade beendet worden sein, nehme ich an, denn egal, wohin ich meinen Blick wende, alles ist wie ausgestorben. Wie der Zufall es will, kommt ein Typ die Treppe herunter. Sieht aus wie ein Schüler, relativ jung, dunkle Haare und eine Joggingbuxe an. Ich halte die Rose in der Hand, ich sehe ihn, doch bevor ich fragen kann, fragt er: „Ist die für mich?“
Ich grinse, erwidere: „Nur, wenn du eine Malena kennst. Eine kleine hübsche Blondine, ca. 1,60 m groß.“
„Ja, die kenn ich, die sitzt im zweiten Stock. Du musst die Treppe rauf, erste Tür rechts“, sagt er lachend.
„Korrekt, besten Dank, Alter!“
Und so ziehe ich schnurstracks an ihm vorbei, nehme dabei immer zwei Stufen auf einmal. Und da bin ich nun, stehe vor einer hellgrauen, alten Holztür mit Verzierungen. Ich halte ein Ohr an das Türblatt, lausche, ob da überhaupt Unterricht stattfindet. Ich weiß ja nicht, ob der Typ mich nicht verarschen wollte! Ich beginne zu zittern, die Hände werden unruhig, mein Magen dreht sich. Die Gedanken spielen verrückt. Ehrlich gesagt, bin ich so nervös, dass ich abhauen will. Dann denke ich nur noch: Wenn du da jetzt nicht reingehst, wirst du es dein Leben lang bereuen! Los gehts, eins, zwei, drei … In der linken Hand die Rose, die rechte balle ich zur Faust, hebe sie, will gerade mit meinen Handknöcheln gegen die Tür klopfen – da geht plötzlich links von mir eine Tür nach außen auf. Ich bin in diesem Moment wie erstarrt, sehe zur Tür. Eine junge Frau kommt heraus. Ich weiß gar nicht mehr, wie sie aussah. Sie blickt mich mit einem Lächeln an, sagt nichts und verschwindet hinter meinem Rücken die Treppe hinunter. Die Schweißperlen auf meiner Stirn werden noch größer. Ich trete wieder einen Schritt zurück, atme tief durch, reiße mich zusammen, sage mir: „Scheiß drauf, geh jetzt da rein, entweder ist sie da drin oder halt nicht!“ Mein Puls ist, glaube ich, auf 280, so kurz vor der dem Überdrehen. Wenn ich noch länger warte, falle ich um vor Nervosität.
Ich lausche wieder an der Tür, auf einmal ist es da drin sehr laut, was mich auch nicht ruhiger macht. Dann geht alles ganz schnell: Ich klopfe dreimal schnell an der Tür, packe mit einem Ruck die Türklinke und reiße die Tür auf, gehe durch in den Raum und begrüße die Klasse mit einem lachenden „Guten Morgen zusammen, Blumendienst! Ist hier eine Malena?“.
Mein erster Blick richtet sich nach vorne, wo die Lehrerin gerade etwas erklärt. Ich meine, sie hat so eine Art Knochen in der Hand. Neben ihr ist eine Massageliege aufgebaut. Ich komme mir echt komisch vor, aber egal, ich muss jetzt liefern und die Aktion durchziehen. Als sie mich erblickt, verstummt sie schlagartig, sieht mich mit einem Lächeln an und erwidert mein „Guten Morgen“.
Zu meiner Linken sitzen die Schüler, es sind so etwa fünfzehn. Allesamt mucksmäuschenstill, die Augen und Münder aufgerissen. Meine Augen scannen alle Gesichter. Die Erste, die etwas sagt, ist die Lehrerin: „Ach, wie süß.“
In der zweiten Reihe werde ich fündig, ein breites Grinsen, das Gesicht knallrot angelaufen, schlägt sie die Hände vor den Mund, als ob sie niesen müsste. Schüttelt leicht den Kopf. Ich lache sie an, tue so, als ob ich ein einfacher Blumenlieferant wäre. Doch Malena steht wie in Zeitlupe auf, fragt die Lehrerin, ob sie kurz mit hinaus könne. Sie kommt mir entgegen und ich übergebe ihr die Rose, dabei halte ich mich an der Tür fest, um nicht umzukippen. Wir gehen gemeinsam auf den Flur. Ich wende mich mit einem Lachen noch mal der Klasse zu, da fangen alle an zu klatschen. Das ist echt schön, finde ich, richtig cool von ihnen.
Ich schließe die Tür und da meint sie nur zu mir: „Damit habe ich absolut nicht gerechnet, du bist echt verrückt!“ So, wie sie es sagt, ist das wie Schokolade, einfach zuckersüß, meine Blonde Schokolade .
Wir unterhalten uns nur kurz. Ich bin nur am Grinsen und sie ist sichtlich geschockt, aber positiv. Nach ein paar Minuten verabreden wir uns für die nächste Pause. Diesmal öffnet sie die Tür. Sie ist nicht einmal ganz drin im Raum, da fangen ihre Klassenkameraden wieder an zu klatschen. Als sich die Tür schließt, bin ich einfach nur happy. Ich könnte die ganze Welt umarmen! Es dauert noch einen Augenblick, bis ich mich von der Tür abwende und zum Auto gehe. Nach ca. 40 Minuten höre ich den Schulgong, springe aus dem Auto und laufe Richtung Schule.
Wir treffen uns im Flur, gehen gemeinsam in so einen Gruppenraum oder Aufenthaltsraum im Keller. Er ist mit älteren Ledersesseln im englischen Stil und einfachen Tischen bestückt. Wir setzen uns und sie fängt direkt an zu erzählen, aber ich bekomme kaum etwas mit, weil ich sie erst mal von oben bis unten mustere. Sie trägt eine sportliche, etwas weitere beige Hose, dazu schwarz-weiße Puma-Schuhe und ein weißes Oberteil. Darüber hält sie eine schwarze Daunenjacke warm. Es ist schließlich noch Winter. Wenn man mich dagegen ansieht, sehe ich aus wie ein Sommeridiot, Shirt und eine einfache, hellblaue, zerrissene Jeansjacke mit passender Jeanshose und weiße Sneakers. Aber ich glühe so sehr, dass ich schon fast schwitze. Die Kälte nehme ich gar nicht wahr. Doch zurück zu Malena. Die goldenen Haare sind zu einem Zopf gebunden, das Gesicht ist ungeschminkt und der Duft wieder so süß, aber diesmal empfinde ich es noch intensiver. Ich schaue sie einfach nur an, dabei kann ich nicht fassen, wie hübsch sie ist.
Während der Pause unterhalten wir uns weiter, und als ich sie frage, wie lange sie denn noch Unterricht habe, meint sie glücklich: „Dank dir habe ich eine Stunde eher frei. Ich soll dir von meiner Lehrerin ausrichten, dass du ein ganz Süßer bist!“
Als ich das höre, werde ich ein wenig verlegen und schäme mich, aber es schmeichelt mir auch. Ziel erreicht, denke ich mir. Ich bin so froh, das alles getan zu haben.
Da läutet der Schulgong, der Unterricht fängt wieder an. Sie geht hoch.
Ich gehe zum Bäcker und gönne mir in Ruhe einen Kaffee und ein Brötchen. Die letzte Wartestunde vergeht wie im Flug. Ich sitze bereits im Auto, als sie herauskommt. Ich gehe ihr sofort entgegen, nehme ihr die Sporttasche ab und lege sie auf die Rückbank. Die Rose aber hält sie die ganze Zeit in der Hand. Als ich sie frage, ob sie die Blume nicht auch nach hinten legen wolle, verneint sie nur kurz und hält sie die ganze Fahrt über fest. Bevor wir losfahren, soll ich, so trägt mir Malena auf, der Lehrerin ein Zeichen geben, dass alles in Ordnung sei. Also hupe ich ein paarmal und wir fahren los Richtung Heimat.
Auf der zweistündigen Heimfahrt unterhalten wir uns gut, lernen einiges voneinander kennen. Ich empfinde die gesamte Fahrt als sehr entspannt, dabei fällt mir auf, dass wir sehr viel lachen. Ich fahre absichtlich langsamer, ich würde am liebsten einfach weiter und weiter fahren. Für mich müsste dieser Tag niemals enden. An der Haustür angekommen, bedankt sie sich noch mal bei mir für die Überraschung, die Fahrt und den ganzen Tag. Meine Sinne sind monopolisiert, alle Gedanken drehen sich nur um sie, während der ganzen Fahrt habe ich versucht, alle Eindrücke und Bewegungen, ihre Ausstrahlung, Mimik und ihr ganzes Wesen aufzusaugen, um in der nächsten Zeit davon zu zehren. Polaroidbilder schieße ich mit meinen Augen, das entwickelte Bild wird sofort im Hirn gespeichert. So kann ich, wann immer ich will, in meinem geistigen Fotoalbum stöbern und mich an diesen gelungenen Tag erinnern.
Es war so gegen 16.30 Uhr, als ich zu Hause ankam, meine Mutter wunderte sich, warum ich schon so früh da war, denn normalerweise gingen meine Vorlesungen bis 18:00 Uhr. Ich konnte nicht an mich halten und musste ihr von Malena und diesem Tag erzählen, zwar nicht alle Details, aber schon einiges. Sie hielt mich auf für total bekloppt und schüttelte nur den Kopf. Ich muss gestehen, dass ich wirklich dankbar dafür bin, dass ich mit meiner Mutter über viele Themen sprechen kann. So nahm ich ihre Reaktion mit einem Lachen entgegen, was sollte ich denn auch sonst machen? An diesem Tag hätte mich nichts aus der Bahn werfen können.
Gegen Abend schrieb ich Malena eine SMS, doch sie reagierte nicht. Lange Stunden des Wartens folgten, aber mein Handy rührte sich nicht. Vielleicht hätte ich doch nicht schreiben sollen? Vielleicht war auch etwas passiert? Komisch fand ich das schon, aber ich wollte sie nicht stalken, und so entschloss ich mich, nichts weiter zu unternehmen. Am darauffolgenden Tag, kurz vor dem Abend, kam eine Nachricht von Malena. Sie hatte einen Autounfall, es war aber nur ein harmloser Bagatellschaden, schrieb sie. Ich fragte nach einem Treffen, doch sie war schon mit einer Freundin verabredet. Nun gut, es ist, wie es ist, dachte ich mir. Dennoch fand ich die ganze Situation etwas eigenartig. Ich erzählte Emilio davon,