Die Rückkehr des Wanderers. Wolfe Eldritch

Die Rückkehr des Wanderers - Wolfe Eldritch


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in ihrer alten, unheimlichen Hütte zu schlafen ganz zu schweigen. Sie hatten noch nie wo anders geschlafen als bei ihren Eltern oder dem einen oder anderen Nachbarskind im Dorf. Im Wald zu bleiben und zu verhungern oder gefressen zu werden war allerdings eine noch schlimmere Vorstellung. »In Ordnung, wenn es nicht anders geht. Danke, dass du uns hilfst, Mama und Papa werden sie Suppe auch bestimmt bezahlen«, sagte das kleine Mädchen schließlich und machte einen Schritt auf die alte Frau zu. Die Greisin lachte, ein Geräusch, als zerfalle altes Laub.

      »Mach dir darüber keine Gedanken, Clara. Und dein Bruder ist Tom? Thomas, ah ich erinnere mich. Die Kinder von Bertha und Greg seid ihr beiden. Na los schon, lasst uns gehen, ich werde zu langsam für euch sein, aber reißt euch zusammen und bleibt hinter mir. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn mir jemand vor den Füßen herumläuft.«

      Thomas folgte der alten Frau, die sich humpelnd in Bewegung setzte, Claras Hand fest in der seinen. Er hoffte inständig, dass er nach dieser Sache nie wieder im Wald herumlaufen musste. Jetzt stand ihnen ein langer und trostloser Weg bevor. Aber alles war besser als die nagende, ständig wachsende Angst der letzten Stunden. Es wurde zunehmend dunkler, während sie hinter der alten Frau hergingen. Sie kam wirklich nur sehr langsam voran, viel langsamer, als die Kinder hätten laufen können. Angst und Erschöpfung nach einem ganzen Tag im Wald hielten die beiden jedoch im Zaum und sie überholten sie nie.

      In der langen Abenddämmerung wurden die Schatten des Waldes allmählich lebendig, nicht nur für Kinderaugen. Die beiden konnten kaum noch etwas sehen, als sie die Hütte erreichten. Es war ein klobiger, verwinkelter Holzbau, im Laufe der Jahre verwittert und immer wieder geflickt und übergestrichen. Im düsteren Licht des sterbenden Tages schien das Holz durch die vielen Schichten Teerfarbe völlig schwarz zu sein.

      »Ah«, seufzte Dedra auf, »endlich zu Hause. Ich muss besser aufpassen mit meinen Ausflügen, sonst schaffe ich es irgendwann nicht mehr, vor Einbruch der Dunkelheit zurückzukommen. Kommt Kinder, und erschreckt meine Grumpel nicht, falls sie euch über den Weg läuft. Sie hat nichts gegen Leute, aber sie ist hier in ihrem Zuhause nicht an Fremde gewöhnt. Wenn sie kommt, macht keinen Krach, sie will nur ihre Ruhe. Sie ist alt und verbraucht, genau wie ich.«

      Die Katze blieb tatsächlich verschwunden, was den Kindern nur recht war. Sie hatten das Tier nie gesehen, aber im Dorf erzählte man sich unter den Kindern, dass eine uralte Gespensterkatze bei der Kräuterfrau im Wald hauste. Angeblich war das Tier vor über fünfzig Jahren schon mit ihr hierhergekommen. Als sie die Hütte betreten hatten, standen sie in einem schmalen Gang, der das Gebäude in voller Länge teilte. An beiden Enden befanden sich Türen, ebenso wie in der Mitte des Ganges. Auf eine dieser beiden gegenüberliegenden Türen, dünnen Dingern aus dunkel getränktem Pinienholz, ging Dedra nun zu. Es schien so, als könne sie sich kaum noch auf den Beinen halten und ihr Stock schlug schwer auf den alten Holzboden, während sie vorwärtshumpelte.

      »Kommt schon«, murrte sie, »das Feuer sollte zumindest noch Glut haben und die Suppe warm sein. Ich lasse immer irgendwas im Kessel köcheln, wenn ich mich morgens auf den Weg mache.«

      Die Kinder folgten ihr in einen Raum, der so groß war wie das Schlafzimmer und die Wohnstube des kleinen Hauses ihrer Eltern zusammen. Die Zimmer dort waren allerdings nur spärlich möbliert, wovon hier keine Rede sein konnte. Die Wände wurden bis zur Decke hinauf mit völlig überladenen Regalen bedeckt. Bücher, Töpfe, Bündel, Stofflappen, Krüge und Kleidungsstücke. Eimer und Taschen, Figuren, Kästchen und Kisten stapelten sich auf durchhängenden Böden. Aller mögliche und unmögliche Krimskrams, hundert Dinge mit einem Dutzend oder gar keiner Funktion. Einige kleine Schätze und ungezählter Plunder, zusammengetragen in vielen Jahrzehnten, um dann größtenteils in Vergessenheit zu geraten.

      An der von der Tür aus rechten Wand befand sich ein freistehender, in den Raum hineingemauerter Kamin. Er war fast groß genug, dass sich die alte Frau hätte hineinstellen können. Über der Feuerstelle in diesem Ungetüm aus dunklem Stein hing ein kleiner Kessel, in dem eine dunkle Flüssigkeit brodelte.

      Die Alte nahm ein Holzscheit von dem Stapel, der lose neben dem Kamin lag, und legte ihn auf die dunkelrote Glut. Dann richtete sie sich schnaufend auf und deutete auf einen kleinen Tisch, an dem zwei Hocker standen.

      »Setzt euch, setzt euch. Fasst nichts an und macht keine Dummheiten. Ich hoffe doch, ihr seid Müde genug, um nach dem Essen zu schlafen. Morgen früh werden wir, sobald es hell genug ist, zum Dorf aufbrechen. Eure Eltern werden ja schon außer sich sein vor Sorge.«

      Bei der Erwähnung ihrer Eltern zuckten die Kinder zusammen, senkten die Köpfe und setzten sich wortlos an den Tisch. Es dauerte eine Weile, bis Dedra zwei hölzerne Schalen mit Suppe gefüllt und den Kindern hingestellt hatte.

      »So«, seufzte sie, als sie neben jede Schale einen Holzlöffel gelegt hatte, »nun esst, ihr müsst hungrig sein. Und schaut es nicht so misstrauisch an, es ist einfach nur Wurzelsuppe. Ein paar Zwiebeln sind drin und ein halbes Huhn aus den Ställen eures Dorfes, keine unheimlichen Dinge aus dem Wald.«

      Die Kinder probierten vorsichtig, aßen dann aber mit Heißhunger. Die Suppe war etwas dünn und mit Kräutern gewürzt, die sie nie zuvor gegessen hatten. Nach einem ganzen Tag ohne Essen waren sie jedoch hungrig genug, um jeder noch eine zweite Schale zu leeren.

      »Im Gang liegen ein paar Decken, nehmt euch jeder eine und legt euch hier vors Feuer. Ich werde nebenan in dem anderen Raum schlafen und rate euch, mich bis morgen früh in Ruhe zu lassen. Wenn ihr irgendwas müsst, geht durch die hintere Tür. Ein paar Meter vom Haus weg ist ein Donnerbalken, einfach immer dem Geruch nach gehen. Das Häuschen drumrum ist schon lange auseinandergefallen, aber außer den Eichhörnchen guckt euch hier draußen keiner zu, also keine falsche Scheu.«

      Als sich die Kinder wenig später vor dem Feuer in die alten, stinkenden Decken gewickelt hatten, glaube keines von ihnen hier schlafen zu können. Wenige Augenblicke später taten sie es, tief und traumlos. Im Gegensatz zu den beiden streifte Dedra noch lange um die Hütte herum. Sie fand keinen Schlaf, weil sie Grumpel nicht finden konnte. Die Katze kam spätestens zur Nacht immer nach Hause, das hatte sie selbst dann getan, als sie noch jung gewesen war. Sie schlief seit ihren frühen Tagen als Kätzchen bei ihr im Bett und nirgendwo sonst.

      Dedra sank schließlich für wenige, unruhige Stunden in einen Dämmerzustand, der nur wenig mit dem erholsamen Kinderschlaf ihrer Gäste gemeinsam hatte.

      Als Clara und Thomas erwachten, war der graue, kühle Tag bereits angebrochen. Die beiden waren gleichzeitig wach geworden, wussten aber im ersten Moment nicht genau wovon. Dann drang die Stimme wieder an ihre Ohren. Es war die alte Frau, ohne Zweifel, aber etwas am Klang ihrer Stimme ließ die Kinder erschaudern.

      »Oh meine liebe, meine arme Kleine.«

      Eine einzelne Träne rann wie eine dunkle Perle über Dedras weiße, zerfurchte Wange. Grumpel lag vor ihr in einer Ecke der Veranda. Sie lag ausgestreckt auf dem Boden, wimmerte leise und atmete in flachen, schnellen Stößen. Die Katze sah aus wie ein Kadaver, klapperdürr, mit tief eingefallenen Flanken und einem Fell, das wie von Motten zerfressen wirkte. Außerdem war das Eisgrau verdreckt und mit Blut verschmiert. Das Tier bewegte sich kaum, nur seine Augen waren lebendig. Sie sahen direkt in die von Dedra und die Greisin sah den Schmerz und das Entsetzen in dem Blick der uralten Katze.

      »Was ist bloß mit dir passiert, mein kleiner Schatz? Was haben sie nur mit dir gemacht?«

      Dedra hatte sich unruhig hin und her gewälzt und schließlich in ihrem Schaukelstuhl auf den Morgen gewartet. Als sie, mit unsicheren Schritten und tauben Beinen vom Abort gekommen war, wieder einmal Blut, vielen Dank auch, hatte sie Grumpel gesehen. Die Katze hatte sich mit den Vorderpfoten die letzte Stufe zur Veranda hochgezogen. Dann hatte das Tier seine Herrin bemerkt und war mit einem kläglichen Miauen liegengeblieben.

      Dedra ignorierte den Schmerz, der wie ein Blitzschlag in ihren Knien aufloderte, und kniete sich neben Grumpel. Die Katze war mehr als nur alt und Dedra hatte gewusst, dass das Ende nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Aber in den letzten Tagen war es ihr besser gegangen. Sie war sogar wieder ein wenig in der Gegend um die Hütte herumgestreift. Nun schaute Dedra in die blassgoldenen, vom Alter verwaschenen Augen des Tieres, dass über die


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