Die Rückkehr des Wanderers. Wolfe Eldritch

Die Rückkehr des Wanderers - Wolfe Eldritch


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also, getreu seinem Naturell, den einfachsten und am bequemsten gangbaren Weg.

      Baldric wurde ins Noviziat der Kirche geschickt, für einen ältesten Nachkommen eine ungewöhnliche Vorgehensweise, aber eine im Rahmen des königlichen Rechtes. Es war, obschon meist im Falle jüngerer Söhne, eine gängige Praxis, das eine oder andere Kind der Kirche oder dem Orden zu überantworten. In Baldrics Alter, er war damals keine neun Jahre alt, war dieser Eintritt allerdings nur bedingt bindend, wie sein Vater sehr wohl bedacht hatte. Faul und feige mochte der alte Eadred gewesen sein, bequem und schwach ebenso, dumm jedoch ganz gewiss nicht. Ein Novize wurde im Alter von zwölf Jahren vor die Wahl gestellt, Profess abzulegen und in den Stand eines Diakons erhoben zu werden, oder aber die Kirche zu verlassen. Und selbst danach war es noch möglich, dem Dienst im Namen des Herrn den Rücken zu kehren. Somit war Baldric aus dem Blickfeld und Einflussbereich der Baronin verschwunden, blieb Eadred jedoch als möglicher Erbe erhalten. Nur für den Fall, dass dem kleinen Eadred IV etwas zustoßen mochte.

      Dann aber war der Baron plötzlich gestorben. Gelbfieber sagten die Quacksalber. Unter den Menschen bei Hofe gab es unterschiedliche Meinungen. Er habe sich die Leber schließlich doch zu Brei gesoffen, meinten die einen. Die Gedärme des Alten seien nach den vielen Lustknaben ganz einfach kaputtgevögelt gewesen, mutmaßten die anderen.

      Wie sich der Tod des Barons auch zugetragen haben mochte, brachte sein Ableben der Baronin sowohl Freude wie Sorge. Zum einen war ihr leibliches Kind nun der rechtmäßige Titelträger des Baronates von Dunstan. Auf der anderen Seite hatte sie unter diesen Umständen erneut Grund, Baldrics Anspruch zu fürchten. Der Junge entging jedoch möglicher Intrige und Verfolgung durch seine Eskapaden und dem daraus folgenden, nicht ganz freiwilligen, Eintritt in die Reihen der Templer.

      Im Gegensatz zu den großzügigen Regelungen des Kirchendienstes war der Ordenseid bindend bis zum Tode. Im Orden spielte es keine Rolle, wer man war oder woher man kam, ob ehelich geboren oder als Bastard. Man war Anwärter, Halbbruder, Ritterbruder, und wenn man aufrecht und tapfer diente, vielleicht eines Tages Marschall, oder gar Landmeister einer der Marken.

      Baldric erfuhr erst Jahre später von der Entwicklung in Dunstan, als für ihn längst nur noch die Belange innerhalb des Ordens zählten. Er legte weder Wert auf Kontakt zu seiner leiblichen Mutter noch zum Rest der Blutsverwandtschaft oder irgendwelche Adelstitel. Seine Familie war die Bruderschaft.

      Auch hier war er zu Beginn ob seines bösartigen Temperamentes hin und wieder angeeckt. Trotzdem hatte er von Anfang an gespürt, dass der Orden der Ort war, an den er gehörte. Zwar hatte seine Gelehrsamkeit hier nicht mehr so viel Gewicht, dafür aber war sein Jähzorn nicht so fatal wie in der gewaltfreien Gesellschaft der Kirche. Natürlich wurde auch hier die Fortbildung des Geistes weitergeführt. Das Hauptaugenmerk lag jedoch auf dem physischen Training. Wie sich zeigte, war das erbarmungslose und oft brutale Kampftraining genau das, was der junge Baldric brauchte. Durch die völlige Verausgabung, die eiserne Disziplin innerhalb des Ordens und die kompromisslose Härte der Ausbilder lernte er zum ersten Mal im Leben, seinen Jähzorn zu beherrschen. Schmerz und Erniedrigung stachelten ihn an und schliffen ihn. Das Training gab ihm die Möglichkeit, seinen inneren Dämon zu zähmen. Diesen unbändigen Zorn kontrollieren zu lernen, um ihn dann im Kampf gezielt gegen den Gegner zu lenken, war eine wunderbare Erfahrung.

      Baldric entwickelte sich mit der Zeit zu einem Beispiel an Hingabe und Tapferkeit für seine Brüder. Er trainierte härter als jeder andere und nahm an mehr Messen und Gebeten teil, als von ihm erwartet wurde. Er unterwarf sich bedingungslos, ja beinahe begeistert, dem Reglement des Ordens. Instinktiv spürte er, dass er diese Dogmen brauchte, um seinem Leben Struktur zu geben. Nur so kam er mit sich selbst zurecht. Im Laufe der Jahre verschwand das jähzornige und gewalttätige Kind. Aus ihm wurde ein disziplinierter junger Mann von gewaltiger Kraft und mit einem hellen Kopf. Ein Ordensbruder von der Sorte, der im Kampf einen heiligen Zorn entwickelte konnte. Aber auch einer, der ein respektables Mitglied der verschworenen Gemeinschaft von Kameraden war.

      Mit sechzehn Jahren wurde er zum Halbbruder ernannt und in das Ordenshauptquartier Wachtstein nahe der Hauptstadt des Reiches versetzt. Dort wurden unter anderem die vielversprechendsten jungen Männer ausgebildet, über die der Orden verfügte. Es war die Schmiede für die Elite der Templer und der Sitz des Hochmeisters selbst. Die mächtige Ordensburg bildete, mit dem Schloss des Königs an der Grenze der Stadt und dem großen Tempel des Lichtbringers im Stadtinneren, das Dreigestirn der Macht des Reiches. Diese Zeit war eine zwiespältige für Baldric, eine Epoche seines Lebens, die er heute zumeist zu verdrängen suchte. Sie lehrte ihn etwas über sich selbst, das er wissen musste, um weiterleben zu können, und sie kostete ihn fast alles.

      Wie zuvor erregten seine Tugenden die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten. Er arbeitete nach wie vor hart, gleichermaßen an Körper und Geist. Das physische Training war wichtig, weil es ihn erschöpfte und ihm überschüssige Kraft nahm. Aber auch die geistige Lehre war hilfreich, denn sie trainierte Selbstbeherrschung und Geduld. Dass die glühende Hingabe des jungen Mannes nur persönlichen Notwendigkeiten entsprach, ahnte außer ihm selbst niemand. Ebenso verstand er es, seine Gleichgültigkeit gegenüber dem spirituellen Teil der Ordensideologie zu verbergen. Religion an sich bedeute ihm schon damals nichts. Er fügte sich der Obrigkeit einzig aus dem Grund, dass diese Fügsamkeit der Preis für die Ordnung in seinem Leben war. Baldric hatte schon früh erkannt, dass er, auf sich allein gestellt, nicht in der Welt zurechtkommen würde.

      Die neue Umgebung barg jedoch auch Gefahren. Für ihn negative Einflüsse, vor denen ihn der Schutz von Kirche und Orden bis dahin bewahrt hatte. Wachtstein lag nur wenig außerhalb der Stadt und die Ordensbrüder verfügten über ein bescheidenes Maß an Freizeit. Für den jungen Baldric bedeutete das zum ersten Mal in seinem Leben ein anderes soziales Umfeld, als das klosterartige Dasein in Kirche und Orden. Es bedeute auch zum ersten Mal seit seiner frühen Kindheit den Umgang mit Frauen und Kindern. Hier offenbarte sich ihm bald, dass neben seinem Jähzorn offenbar noch ein weiterer Dämon in ihm wohnte. Es mochte auch eine Spielart desselben sein, die hier erstmals zutage trat, weil sich die Gelegenheit dazu bot.

      Für Mitglieder des Ordens bis zum Range des Halbbruders war es nicht ungewöhnlich oder gar verboten, gelegentliche sexuelle Kontakte zu pflegen. Die Unterdrückung des geschlechtlichen Triebes hatte in der militärischen Ausbildung junger Männer eine lange Tradition. Daher wusste man aber auch, dass eine völlige Enthaltsamkeit langfristig doch zu Problemen führte. So war es geduldet, wenn die jüngeren Brüder sich ab und an ein wenig austobten. Eine Möglichkeit, von der natürlich gerne und reichlich gebraucht gemacht wurde.

      Einige Kameraden hatten Baldric zu seinem siebzehnten Geburtstag mit einem Besuch in einem der Freudenhäuser der Stadt überrascht. In seiner Jugend im Orden hatte er noch kumpelhafte Freunde. Später lernte er, zu allen Menschen eine gewisse Distanz aufzubauen. In den Jahren nach der Sache in Wachtstein brachte er sich selbst bei, eine Maske über sein wahres Wesen zu ziehen. Dieses Ding zu verbergen, das ihn auf so mannigfaltige Art und Weise in Schwierigkeiten zu bringen vermochte.

      Baldric war im Umgang mit Frauen unerfahren, aber nicht sonderlich ängstlich. Er merkte früh, dass die Weiblichkeit ihn anziehend fand, ohne dieser Tatsache viel Aufmerksamkeit zu schenken. Auch war sich bewusst, dass er größer, stärker und damit wohl attraktiver war als die meisten der Mitbrüder. An diesem Tag erfuhr er zum ersten Mal im Leben echte Lust und erkannte zugleich, was Lust für seinen Dämon bedeutete.

      Das Freudenmädchen, das er sich hatte aussuchen dürfen, war dreizehn Jahre alt gewesen. Ein kleines, mageres Ding mit großen braunen Augen, halblangem dunkelblondem Haar und einem beinahe knabenhaften Körper. Sie hatte jünger gewirkt, als sie war, kindlich und sehr verletzlich. Das alles hatte ihn tief in seinem Inneren berührt und zu ihr hingezogen.

      Der Baldric der Gegenwart, über einsneunzig groß und fast zweihundert Pfund schwer, durchschritt eine mit Eisen beschlagene Tür aus dunklem, grob gemasertem Holz. Er trat auf einen der Wehrgänge hinaus in die kühle, graue Luft und legte die Handflächen auf den Stein der Außenmauer. Er fühlte, wie die raue Oberfläche hart und kalt unter seinen Händen lag. Ganz so, wie es das Mädchen damals glatt und warm getan hatte. Am Anfang jedenfalls. Diese viele Jahre zurückliegende Nacht war sowohl eine Katastrophe wie eine Befreiung gewesen. Beinahe sein Ende und doch in gewisser Weise ein Neuanfang.


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