Die Rückkehr des Wanderers. Wolfe Eldritch

Die Rückkehr des Wanderers - Wolfe Eldritch


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alte Vettel mehr oder weniger gab, war ebenfalls eine Tatsache.

      Dedra war beständig in ihrer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, und da außer ihr kein Heiler verfügbar war, kamen auch die Misstrauischen und Feindseeligen schließlich zu ihr. Früher oder später wurde jeder krank, und wenn nicht, hatte man als Hexe Möglichkeiten, dafür zu sorgen. Auf diese Weise konnte sie das Problem langsam aber nachhaltig lösen.

      Dedra wusste genau, welche der Dorfbewohner ihr misstrauten. Sie kannte bald jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. Sie wusste, wer sich vor ihr ängstige, ebenso wie sie einzuschätzen vermochte, wer ihr regelrecht feindselig gegenüberstand. Die Ängstlichen ließen sich meist mit behutsamer Freundlichkeit, Können oder Glamour überzeugen. Bei einigen aber war jede Liebesmüh vergebens. Es gab immer ein paar dieser Sorte, wohin man auch kam. Deshalb wurden manche Menschen nach ihrer Behandlung gesund und andere starben kurz darauf. So war das nun einmal in der Welt. Krankheiten waren tückisch und oft unberechenbar, Kinder ertranken beim Spielen am Fluss oder brachen sich die Knochen, wenn sie von einem erkletterten Baum fielen. Es gab so vieles, was im dörflichen Alltag passieren mochte, und auch die beste Kräuterfrau konnte nicht überall sein und jedes Leben retten. Auf einen der starb kamen neun oder mehr, die durch Dedras Hilfe wieder gesund wurden. Die Dörfler schätzten sich glücklich, eine so fähige Heilerin zur Verfügung zu haben.

      Etwa zwanzig Jahre nach ihrer Ankunft, sie lebte längst in der Hütte am Waldrand, gab es keine Menschen mehr in Flusswalde, die ihr feindselig gegenüberstanden. Diese Sorte war meist jung, zumindest aber am Ende kinderlos, verstorben. Ein Lächeln, das die uralte Ruine ihres Gesichtes in tausend Falten legte, zog sich über die Züge der Greisin. Es hielt sich jedoch nur kurz, bis eine frische, siedende Welle Schmerz von ihrem linken Knöchel aus ihr Bein hinauf floss, nachdem sie auf eine Wurzel getreten war.

      Inzwischen behandelte sie die dritte Generation von Dorfbewohnern und war längst ein fester Bestandteil des Lebens in Flusswalde geworden. Schon die Großeltern waren zu ihr gegangen. Dass bereits diese die weise Frau vor fünfzig Jahren als die alte Dedra bezeichnet hatten, mochte vielleicht manch einem befremdlich erscheinen. Aber so war eben der Lauf der Dinge, einige Menschen starben jung, andere hielten sich länger. Davon abgesehen wollte sich niemand ausmalen, wie es sein würde, wenn die erfahrene Kräuterfrau nicht mehr da war. Schließlich kannte sie Medizin gegen unzählige Leiden und Gebrechen. Ob Magenverstimmung, gebrochene Knochen oder Fieber. Ob eine schwere Geburt anstand, oder Kinderkrankheiten umgingen, die alte Dedra wusste Rat. Und sie nahm noch immer kaum mehr als das Nötigste für ihre Dienste. Nicht wenige Menschen sahen in ihr den guten Geist des Dorfes. Sie mochte mit den Jahren etwas wunderlich werden, aber so waren alte Leute nun einmal.

      Dedra sah an diesem frühen Herbstnachmittag tatsächlich ein wenig wie ein Geist aus, und wie ein erschöpfter dazu. Sie schleppte sich gerade schnaufend über den Boden des Waldrandes vor ihrer Hütte. Mit einem erleichterten Grunzen nahm sie die letzten paar Schritte zur hinteren Veranda in Angriff. Sie war eine Hexe, eine der wenigen echten, die es noch gab, aber sie war ebenso eine leidenschaftliche Kräuterfrau, und zwar eine hervorragende.

      Alchemie und Kräuterkunde hatten ihr immer Freude bereitet, obgleich Menschen für sie nicht viel mehr waren als Nutztiere. Es war erheiternd, einem von ihnen einen Trank zu verabreichen, der ihn in Krämpfen verenden ließ. Es konnte jedoch auch durchaus befriedigend sein, sich um ihr Wohlergehen zu kümmern. Bei all dem war es für eine Hexe unabdingbar, über ein fundiertes Wissen in der Naturheilkunde zu verfügen, wenn sie längere Zeit an einem Ort leben und arbeiten wollte.

      Wer das, was die Ignoranten die dunkle Kunst nannten, öfter als unbedingt nötig gebrauchte, blieb nicht lange unentdeckt. Und dann waren immer rasch Leute mit Fackeln und Mistgabeln oder Hammer und Nägeln zur Stelle. Eben diese Kräuterheilkunde aber war in den Jahren seit dem Grau ständig schwieriger geworden. Durch die anhaltend kälteren Temperaturen und das Fehlen von direktem Sonnenlicht hatten sich Fauna und Flora verändert. Dabei schienen ihr die Veränderungen der Pflanzenwelt bis vor kurzem am gravierendsten zu sein. Vor den vielen Eichhörnchen und den Hirschen. In jedem Fall aber waren sie für ihre Arbeit problematischer. Sie hatte die neuen Umstände das eine um das andere Mal verflucht. Zum Glück war sie dank ihrer Kunst nicht ausschließlich auf die Natur angewiesen.

      Einige Kräuter waren während der kühlen Jahrzehnte einfach nur selten geworden oder ausgestorben. Andere Pflanzen wiederum gab es zwar noch, doch verloren sie im Laufe der Zeit teilweise oder vollständig ihre Wirkung. So heilte Dedra seit fast dreißig Jahren eine Blasenentzündung nicht mehr mit Grelenwurz, wie es in diesem Teil der Welt üblich war. Sie verwendete die Pflanze nicht mehr, weil sie früher in den warmen Monaten von Mitte Juni bis Mitte August geblüht hatte. Nur wenn es in seiner Blüte geerntet wurde, entfaltete das Kraut seine Heilkraft. Nun gab es aber seit sechzig Jahren keine warmen Sommermonate mehr. Und damit natürlich auch kein wirksames Grelenwurz. Sie heilte die Blasenentzündungen trotzdem, obgleich ihre übernatürlichen heilerischen Fähigkeiten vergleichsweise bescheiden waren. Sie war jedoch eine Hexe, und als solche hatte man Möglichkeiten. Es gab schließlich genug Kraut, das so ähnlich aussah. Die Dorfbewohner kannten sich mit diesen Dingen ohnehin nicht aus. Den meisten war es auch egal, was sie nahmen, solange es nur half. In jedem Fall wäre es für eine halb so alte Frau wie Dedra heuer mühsam gewesen, dieser Arbeit nachzugehen. Ob Hexe oder nicht.

      Sie erklomm die schmale Treppe zur Veranda mit kurzen, leisen Stoßseufzern, die sie im Takt ihrer Schritte ausstieß. Jede der drei Stufen war wie ein Messer in den Kniegelenken. Erleichtert schnaufend erreichte sie schließlich den verblassten Holzboden. Sie ließ den Korb mit den gesammelten Kräutern, den sie an einer Lederschlaufe über der Schulter getragen hatte, auf ein Tischchen aus grob gezimmertem Holz gleiten. Dann machte sie zwei weitere Schritte und plumpste mehr in ihren alten Schaukelstuhl, als sie sich hineinsetzte. Dedra war eine kleine Frau, knochig gebaut und vom Alter ausgemergelt. In jungen Jahren hatte sie durch ihre geringe Körpergröße und den grobschlächtigen Körperbau korpulent gewirkt, ohne es zu sein. Jetzt schien es, als zöge sich nur noch lederartige, faltige Haut über ihre Knochen und die meist geschwollenen Gelenke. Sie war spindeldürr, krumm wie ein alter Dornenbusch und runzlig wie eine blasse Rosine.

      Den knorrigen Stock in der Linken, die von der Arthritis gekrümmte Rechte auf der Stuhllehne, saß sie da und wartete darauf, dass sie wieder zu Atem kam. Sie war tiefer in den Wald hineingegangen, als sie es vorgehabt hatte. Weiter durch die nasskalte Luft, als sie es vor einigen Jahrzehnten für die spärliche Kräuterausbeute hätte tun müssen, die nun in dem Korb neben ihr lag. Das Leben wurde stetig härter und sie wurde immer älter und schwächer. Sie saß mit rasselndem Atem leise keuchend da und versuchte so viel der schweren, feuchten Waldluft in die Lunge zu ziehen, wie sie konnte. Die krampfartigen Schmerzen in jedem Gelenk und Muskel unterhalb der Körpermitte ließen langsam etwas nach. Sie rieb sich vor und nach ihren Ausflügen den Körper mit einer dicken Salbe ein, was zumindest ein wenig Abhilfe schaffte. Dass die Wirkung gleichermaßen immer länger auf sich warten ließ, wie sie kürzer anhielt, war eine andere Geschichte. Mit jedem mühsamen Atemzug entspannten sich ihre verdorrten Muskeln ein wenig mehr. Die Bronchen fühlten sich freilich nach wie vor so an, als wollten sie ausgekotzt werden. Aber das taten sie inzwischen jeden Morgen, obwohl Dedra seit Jahren fast völlig auf die Kräuterpfeife verzichtete, die sie so liebgewonnen hatte.

      Ihre alten, zu einer verwaschenen Farblosigkeit verblassten Augen streiften über den Wald, der einige Schritte vor der Veranda begann. Dieser Wald, die Hütte und das kleine Stück Land, auf dem sie stand, waren der einzige Ort, an dem sie sich je zu Hause gefühlt hatte.

      Obgleich sie auch im letzten Lebensabschnitt nicht zur Rührseligkeit neigte, schlich sich eine schmerzhafte Traurigkeit in ihr altes Herz, wenn sie daran dachte, dass sie ihr bescheidenes Glück bald verlieren würde. Denn das war das Leben hier gewesen, eine Zeit der Zufriedenheit, ihrem Verständnis von Glück so nahe, wie sie es sich vorzustellen vermochte.

      Sie lebte einfach und einsam, aber sie lebte gern. Das hatte sie schon immer getan, ganz gleich wie widrig ihre Lebensumstände gewesen waren. Sie hatte sich daran gewöhnt, für ihre Dörfler zu sorgen und wenn sie auch im Grunde wertlos waren, genoss Dedra doch den Respekt, den sie ihr entgegenbrachten. Sie mochte ihr einfaches Essen, das in den letzten Jahren zumeist aus Suppen bestand. Gemüse, teils wild gewachsen,


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