Die Rückkehr des Wanderers. Wolfe Eldritch
war ein Bastard aus dem mittleren Adel, was an sich keine allzu bedeutende Schande darstellte. Besonders förderlich war es in der aristokratischen Welt freilich auch nicht unbedingt. Hier, in der Gesellschaft des eisernen Armes der Kirche, verloren weltliche Wertigkeiten jedoch fast völlig ihre Bedeutung. Mit dem Ordensschwur ließ der Anwärter sein bisheriges Leben zurück. Zum Guten, wie zum Schlechten. Baldric, der mit zweiunddreißig Jahren einer der jüngsten Marschälle des Ordens war, ließ die Vergangenheit vor seinem inneren Auge Revue passieren, während er durch die Gänge von Moorwacht schritt. Er kam gerade vom Gebet und fühlte sich so entspannt, wie es nur selten der Fall war.
Er ging nicht direkt zu seiner Kammer, sondern schlug einen Weg ein, der ihn quer durch die kleine Ordensburg führte. Er bewegte sich gerne durch die Wehranlage, die er seit einigen Jahren seine Heimat nannte. Die Ernennung zum Marschall lag wenige Tage zurück, und er würde bald zu einer längeren Mission aufbrechen. Es war eines seiner größten Kommandos und das Erste in dem kürzlich erworbenen Amt. Es gab Zeiten, in denen es gut war, einen ruhigen Blick auf die Vergangenheit zu werfen, um sich für die Zukunft zu wappnen. Er ging bewusst langsam, nickte dem einen oder anderen Bruder im Vorbeigehen zum Gruß und dachte an seine Jugend.
Die wilden, unsicheren Jahre. Den frühen, nicht ganz freiwilligen Eintritt in den Dienst für den Lichtbringer, der nicht im Orden selbst, sondern im Schoß der Kirche begonnen hatte. Fast fünfundzwanzig Jahre war das inzwischen her. Bereits nach kurzer Zeit war deutlich geworden, dass der geistliche Teil der Kirche nicht der Ort war, an dem der junge Baldric sein Leben würde verbringen können. Zwar war er, am Hofe seines Vaters im wahren Glauben erzogen, willfährig den Lehren des Herrn gefolgt. Auch mit der Disziplin kam er für einen sonst so unsteten Jungen gut zurecht, nachdem einige ebenso empfindliche wie lehrreiche Bestrafungen erfolgt waren. Er begehrte nie gegen Vorgesetzte auf und nahm die Strafen für Vergehen, die fast immer aus seinem Jähzorn heraus entstanden, nie aus Aufsässigkeit, ohne zu murren hin.
Doch eben dieser Zorn war es, gegen den weder Disziplin noch Gebet half, und der letztendlich zu seinem Ausscheiden aus der Kirche führte. Er war aggressiv und streitlustig, wie so viele Jungen, aber er war größer und stärker als die meisten anderen Initianten. Außergewöhnlich kräftig, brutal und leicht zu einer Wut entflammbar, die ihresgleichen suchte. Die Raufereien, an denen er beteiligt war, pflegten nur selten so zu enden, wie es unter Kindern für gewöhnlich der Fall war.
Allzu oft hatte einer der kleinen Kombattanten mehr als nur ein paar Schrammen, Prellungen und blaue Flecke zu beklagen. Mehr als einmal war ein gebrochener Knochen im Spiel. Einmal, das letzte Mal, hatte es einen anderen Novizen sogar ein Auge gekostet.
Bei der Sache mit dem schwer verletzten Jungen war Baldric erst elf Jahre alt gewesen. Die Kirche hatte ihn nach diesem Zwischenfall als nicht mehr tragbar angesehen, was ihr kaum jemand verübeln konnte. So war er der jüngste Anwärter, den der Templerorden je aufgenommen hatte.
Lag das Mindestalter für die Aufnahme im Orden bei dreizehn Jahren, fiel Baldric trotz der zwei Lenzen zu wenig nicht weiter auf. Sowohl sein Körperbau als auch sein Gebaren entsprachen dem eines älteren Kindes. Und wenn es ihm an einem nicht mangelte, dann an Durchsetzungsvermögen unter Gleichaltrigen. Der Eintritt in den Orden war nicht nur der Beginn einer nahezu beispielhaften Karriere, er rettete ihm auch das Leben.
Das erfuhr er freilich erst viele Jahre später. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm die Hintergründe, wie alle anderen weltlichen Belange, längst gleichgültig geworden. Baldric von Dunstan, der einfaches weißes Leinen und geschnürte Lederstiefel trug, während durch eine unbedeutende Grenzburg des Ordens schritt, war der Sohn des Barons Eadred III von Dunstan. Land und Titel der in der Nordmark gelegenen Baronie gehörten heute seinem acht Jahre jüngeren Halbbruder. Die fehlenden Jahre in der Erbfolge glich dieser dadurch aus, dass er reinen Blutes war und keinem außerehelichen Fehltritt entstammte.
Der alte Baron war etwa zu der Zeit von Baldrics Eintritt in den Orden gestorben. Mit der ungewöhnlichen Regelung, den ältesten Sohn der Kirche zu überantworten, waren Baldric zwei Dinge erspart geblieben. Zum einen der in gewisser Weise klangvolle, aber wenig schmeichelhafte Titel Baldric der Bastard, zum anderen ein früher Tod. Legitimierte uneheliche Sprosse kamen in den Kreisen des Adels immer wieder vor. Eadred hatte denn auch keine Sekunde gezögert, Baldric als seinen Sohn anzuerkennen. Zu dringend war die Notwendigkeit für einen Erben. Im mittleren Adel gehörte derlei auch im Grunde zum Tagesgeschäft und war kaum mit einem Skandal behaftet. Erklomm man erst den Rang eines Grafen oder gar den eines Herzogs, waren solche Dinge schon heikler. Ein Bastard als ältester Sohn war auf der anderen Seite nie besonders gern gesehen, war er doch nach der Legitimation dem Kronrecht zufolge uneingeschränkt erbberechtigt. Natürlich widerrief der Tod jedes Recht. Manche Gerichtsbarkeiten waren unantastbar, ob unter einfachen Bauern oder hohen Herren.
Den Baron kümmerte all das wenig. Für ihn zählte nur, dass die Geburt Baldrics ihn aus der peinlichen Situation erlöste, im Alter von vierzig Jahren noch immer kinderlos zu sein. Das war ungewöhnlich für einen verheirateten Mann, dem überdies zahllose Liebschaften nachgesagt wurden. Kenner des Hofes von Eadred verwunderte diese Tatsache freilich nicht.
Zum einen war seine attraktive Gattin in den Jahren ihrer Ehe so gut wie unberührt geblieben. Jedenfalls von ihrem Gatten. Zum anderen fanden seine Affären ausnahmslos mit Personen männlichen Geschlechtes statt. Ebenso blutjungen Alters, wie die Gemahlin es bei der Hochzeit gewesen war, verstand sich. Durchaus auch zumeist ansehnlich, aber eben dem Gesetz der Natur nach unfähig, auch nur einen Bastard als Nachfolger zustande zu bringen.
Und doch, in einer durchzechten Nacht, an die der Baron sich später nach eigener Aussage nicht einmal erinnerte, musste es passiert sein. Irgendwie hatte sich sein alter, treuloser Schwanz im Laufe einer der Orgien, die er regelmäßig abzuhalten pflegte, verirrt. Es gab amüsierte und mehr oder weniger diskrete Zeugen, und spätestens nach der Geburt des Kindes war jeder Zweifel dahin. Die Mutter Baldrics war nicht etwa die obligatorische Schankmaid, sondern die Cousine von einem Ritter Eadreds. Besagter Recke war denn auch schlau genug, der betreffenden Dame in seinem Haushalt Unterkunft und Schutz zu gewähren, bis die Niederkunft stattgefunden hatte. Im regen Treiben auf der Burg passierten einfach zu leicht Unfälle. Während die Mutter schwarzes Haar und dunkle Augen hatte, war Baldric mit weißblondem Flaum auf dem Kopf zur Welt gekommen. Die Augen so blau, wie der Sommerhimmel vor dem Grau gewesen sein mochte. Mit anderen Worten, er hatte das typische Aussehen eines männlichen Dunstan.
Eadred III legitimierte den kleinen Bastard ohne viel Federlesen. Von dem erbosten Gezeter seiner Gemahlin zeigte er sich gänzlich unbeeindruckt. Der Junge war nun einmal offensichtlich sein Sohn. Es wurde dringend ein Erbe gebraucht und wer die Mutter war, spielte im Grunde keine Rolle. Jedenfalls nicht für Eadred. Frauen waren ohnehin ein Gräuel, die eine wie die andere. Wie es der Lady von Dunstan im Laufe der folgenden Jahre gelungen sein mochte, den Geschlechtsakt mit ihrem Gatten doch noch einige Male zu vollziehen, war nicht bekannt. Eadred war ein ausschweifender, zügelloser und versoffener Mann. Vielleicht hatte das, was einmal unbeabsichtigterweise funktioniert hatte, es auch ein zweites Mal getan. Eine Menge Alkohol und ein dieses Mal absichtlich in die Irre geführter Schwanz waren das naheliegendste Szenario.
In jedem Fall kam acht Jahre nach der Geburt Baldrics der zweite Sohn des Barons zur Welt. Zum Glück für seine Mutter ebenso blond und blauäugig wie der alte Eadred. Kein Bastard zwar, aber eben acht Jahre zu spät. Da der Junge als einziger Abkömmling reinen Blutes nun schon nicht den Titel erben konnte, bekam er wenigstens Eadreds Namen und wurde damit der vierte Träger desselben. Als solcher erblickte er das Licht der Welt und läutete damit einen ehelichen Krieg ein.
Nach Monaten des Zankes, der Drohungen und Intrigen, kam Eadred zu der Einsicht, dass ihm zwei Möglichkeiten blieben. Entweder, etwas in dieser Sache zu unternehmen oder ein frühes Ende zu riskieren. Ein bitterer Geschmack im Wein, ein Dolch unter dem Hemd eines Liebhabers, es gab der Gelegenheiten viele. Er zweifelte am Ende nicht daran, dass seine Gemahlin zu derartigen Mitteln bereit war. Ebenso war ihm bewusst, wie gut ihre Chancen standen, unbeschadet damit durchzukommen. Er war sich darüber im Klaren, dass außer einigen Bettgespielen niemand eine Träne über sein Ableben vergießen würde. Mit anderen Worten, die Lady von Dunstan hatte ihm glaubhaft gemacht, dass nach den Jahrzehnten der Erniedrigung das Maß voll