Die Rückkehr des Wanderers. Wolfe Eldritch

Die Rückkehr des Wanderers - Wolfe Eldritch


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verlief.

      An und in dem dünn bewaldeten Gebiet lagen einige Grenzdörfer, die letzten Siedlungen in diesem Teil des Reiches. Zwei von ihnen hatten bereits vor Wochen ihre jährlichen Abgaben liefern sollen.

      Der Orden war als Gegenleistung für die Grenzsicherung dazu berechtigt, die örtliche Bevölkerung zu besteuern. Dabei war er konsequent, aber nicht sonderlich gierig. Man verlangte den ärmlichen Dörfern lediglich ein zehnt der Nahrungsproduktion ab. Das war auch in harten Jahren zu bewältigen und sorgte für wenig Unmut bei den Bauern. Nur ab und an, vielleicht einmal in einer Dekade und nach einer besonders schlechten Ernte, musste man das eine oder andere Dorf daran erinnern, dass Hunger im Vergleich zum Zorn Gottes, oder dem seiner Diener, das kleinere Übel war.

      In der Regel liefen diese Dinge jedoch reibungslos ab und die Dörfler lieferten brav ihre Abgaben, wenn es an der Zeit war. Für gewöhnlich kam allerdings auch Landvolk, das man zum Auskundschaften ins Hinterland schickte, zur Burg zurück. Nicht so in diesem Fall. Zwei Dörfer hatten die Woche, in der sie ihre Steuern abzuliefern waren, um fast einen Monat verstreichen lassen. Eine weitere Woche später hatte man einige zivile Kundschafter geschickt, wie üblich junge Burschen aus dem Umfeld der Ordensburg. Ab und an irrten sich die Dörfler schlichtweg in der Abgabezeit, oder erlitten auf dem Weg einen Unfall. Auch eine Plünderung durch gesetzlose Banden lag zumindest im Bereich des Möglichen. Seitdem man die beiden kleinen Gruppen von Spähern ausgesandt hatte, gab es weder von ihnen noch jemand anderem aus dem Osten ein Lebenszeichen. Damit war es an der Zeit zu handeln. Es würde nicht bei den paar Brüdern bleiben, die man für gewöhnlich zunächst losschickte, um solche Dinge zu untersuchen. Die Tatsache, dass sowohl zwei Dörfer zur gleichen Zeit abgeschnitten zu sein schienen, gab ebenso Anlass zur Besorgnis, wie das offensichtliche Verschwinden der ausgesandten Späher.

      Baldrics erste Amtshandlung als Marschall würde die Klärung dieser Situation sein. Dafür standen ihm ab dem morgigen Tage zwei Lanzen Reiterei, eine Lanze Kundschafter sowie vier Trupps Infanterie zur Verfügung. Dazu ein Tross bestehend aus sechs großen Wagen nebst Proviant und Ausrüstung. Alles in allem mehr als achtzig Brüder und zwei Dutzend Gefolgsleute, die bis zum Ende der Mission unter seinem Befehl stehen würden.

      Er sog die kühle, nachmittägliche Herbstluft ein und schaute himmelwärts. Das diesige Grau war eine makellose Fläche. Ein klarer Tag, vermutlich einer der wenigen dieses Herbstes. Es war bereits sehr kalt, roch aber noch nicht nach Frost, was mit etwas Glück eine recht ertragreiche Ernte bedeutete. Trotz des verhältnismäßig kühlen Sommers versprach das Wetter außerdem einen späten Wintereinbruch. Was das anging, war die Natur seit dem Grau allerdings tückisch.

      Er freute sich auf die bevorstehenden Tage. Überhaupt verspürte er zurzeit eine tiefe Zufriedenheit, was nicht zuletzt mit dem Erreichen des neuen Ranges zu tun hatte. Weiter als bis zum Marschall würde er es als Ausländer in der Ostmark und mit dem dunklen Fleck auf seiner Vergangenheit nicht bringen können. Aber das war so in Ordnung. Man hatte ihm damals deutlich zu verstehen gegeben, dass er außerhalb der Ostmark nie wieder einen Ordensrang bekleiden würde. Vielleicht war das auch das Beste für ihn. Der betagte, fettleibige Landmeister, dem er nun direkt unterstand, war natürlich eine Sache für sich. Aber selbst wenn der Alte ihm nie Sympathie entgegengebracht hatte, achtete er seine Tapferkeit und Zuverlässigkeit.

      Im Stillen war Baldric sicher, dass die Abneigung Zdravkos nur daher rührte, dass er über die Vorgänge vor all den Jahren in Stennward informiert war. Falls der Mann detaillierte Berichte darüber hatte, was damals vorgefallen war, konnte man ihm ein gewisses Misstrauen kaum verdenken.

      Das Einzige, was den jungen Marschall an seinem Leben in der Ostmark betrübte, waren die langen Phasen der Untätigkeit. Das Training half, aber es reichte nicht, egal wie erbarmungslos er seinen Körper verausgabte. Er absolvierte nicht grundlos nach wie vor ein Trainingspensum, das einem ehrgeizigen Anwärter zur Ehre gereicht hätte, der halb so alt war wie er. Er musste sich physisch erschöpfen, um ein Mindestmaß an Ausgeglichenheit aufrecht zu halten. Nervosität und Unruhe fütterten seinen Dämon.

      Der letzte richtige Kampf lag noch länger zurück als das letzte Mädchen, und so war er dankbar für die vor ihm liegende Aufgabe. Mit einer Truppe zu reisen war gut. Sich Gefahren und Unannehmlichkeiten auszusetzen, war sogar noch besser. Das höchstwahrscheinlich folgende Blutvergießen würde Balsam für seine Nerven sein. Was auch immer in den Dörfern geschehen war, irgendjemand würde bluten müssen. Dafür würde er notfalls sorgen. Der Orden hatte in diesem Teil des Reiches die Rechtsprechung inne, und nach dem Ordensrecht war jeder, der Kirche oder Orden schadete, als Ketzer zu behandeln. Ob es sich dabei um einen Gesetzlosen handelte, der eine Kapelle überfiel, oder um einen Bauern, der die Abgaben verweigerte, spielte keine Rolle.

      Eine Schlacht oder ein Mädchen, für Baldric machte das vom Prinzip her kaum einen Unterschied. Beides bedeutete das ab und an so dringend benötigte Blutvergießen. Die Sonne war hinter dem allgegenwärtigen Grau des Himmels verborgen. Für die meisten Menschen nur noch ein halb vergessener Traum, so wanderte sie langsam dem Horizont entgegen. Es wurde bereits allmählich wieder dunkler. Der hünenhafte Ordensmarschall legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

      Der Wind spielte in seinen langen, goldenen Haaren, die zu einem losen Zopf geflochten waren und bisher keine Spur von Grau zeigten. Er stand noch eine gute halbe Stunde so im schwindenden Tageslicht da und lächelte.

      Kapitel 4

       Dedra

      »Das sieht genauso aus wie der Baumstumpf, an dem wir schon vorhin vorbeigekommen sind. Ich will endlich nach Hause.«

      Die Stimme war leise und schien aus einiger Entfernung zu kommen. Sie war jedoch deutlich genug zu hören, dass sie den zugleich quengeligen und besorgten Unterton darin erkennen konnte.

      Dedra, die sich soeben langsam und ächzend aufgerichtet hatte, stützte sich mit der Linken an einen Baum und drehte den Kopf. Ihr alter Körper ließ sie heute wieder für jedes Stück Kraut und jeden Pilz, den sie vom Waldboden klaubte, teuer bezahlen. Sie streckte vorsichtig den leise knackenden Rücken und lauschte dabei in den Wald hinein, der sie zu allen Seiten hin umgab. Ihre Kniegelenke und Hüften fühlten sich nach einigen Stunden der Kräutersuche an, als hätte jemand Nägel hineingeschlagen. Sorgfältig zog sie den Riemen der Kräutertasche fester um die Schulter. Es war bereits Nachmittag und sie war schon seit einer Weile wieder auf dem Heimweg zu ihrer Hütte. Noch aber befand sie sich in einem dichtbewachsenen Teil des Waldes, in dem sie seit Jahrzehnten keine Fremden mehr getroffen hatte.

      Hier gab es nichts, das irgendjemanden interessieren mochte und es war leicht, sich zwischen den alten Bäumen zu verirren. Sie vermutete, dass der oder die Besitzer der Stimmen, die nun leise an ihre Ohren drangen, genau das getan hatten. Sie ging behutsam in die Richtung, in der sie die ungebetenen Gäste zur hören glaubte. Hohe, verwitterte Birken zogen sich hier in einem etwa hundert Metern breiten Streifen auf fast zwei Landmeilen entlang. Ansonsten bestand dieser Teil des Waldes aus Pinien, Buchen und einigen Ahornbäumen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Stimmen erneut hörte. Diesmal etwas lauter und eindeutig die von Kindern.

      »Ich weiß genau, dass wir da schon waren, der Baumstumpf hatte zwei Äste«, beharrte Clara quengelnd. Ihr Bruder merkte, dass sie schon wieder den Tränen nahe war. Thomas hatte selbst Angst, große Angst sogar, vor allem seit er die verendeten Tiere gesehen hatte. Es gab viel zu viele tote Eichhörnchen in diesem Wald. Am meisten aber hatten ihn die beiden Rehe beunruhigt, an denen sie vor einiger Zeit vorbeigekommen waren. Er wusste, wie das in der Natur war, dass manche Tiere andere töteten, um zu essen. Aber die aßen dann eben auch. Dass die Tiere totgebissen herumlagen und verwesten, weil sie niemand fressen wollte, war ganz sicher nicht in Ordnung. Thomas war aber auch zwei älter als die kleine Schwester und damit fast erwachsen. Das hieß, dass er auf sie aufpassen musste. Schließlich war sie gerade erst sechs Jahre alt geworden.

      »Ich glaube dir ja«, erwiderte er und versuchte seine Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen. »Wir gehen jetzt weiter in diese Richtung, bis die Birken aufhören. Dann bleiben wir am Rand, bevor der Wald wieder dichter wird. Das hätten wir von Anfang an machen sollen, aber ich wusste


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